KBV führt Forschungsprojekt zur Rolle der Vertragsärzte in NS-Zeit fort

Berlin – In der Zeit des Nationalsozialismus hat es ein klar erkennbares Zusammenspiel zwischen „Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung“ der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands (KVD) gegeben. Das hat der Historiker Ulrich Prehn im Rahmen der Präsentation erster Ergebnisse des Forschungsprojektes „KBV übernimmt Verantwortung“ betont.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte das Projekt im Jahr 2018 initiiert, um die Rolle der KVD, als ein Zusammenschluss der 1932 vom Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) gebildeten regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen der Vorläufer der KBV, bei der Vertreibung jüdischer Kollegen systematisch aufarbeiten zu lassen.
Anlässlich der Vertreterversammlung der KBV am 12. Juni in Berlin wurde die finanzielle Förderung seitens des KV-Systems einstimmig um ein weiteres Jahr verlängert – zudem stellte Prehn vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin den Abschlussbericht zur ersten Projektphase vor.
Die Erschließung der Gesamtbestände mittels Durchsicht, Anlage einer Datenbank mit Verschlagwortung und auch, je nach Zustand der Archivalien, Digitalisierung von Dokumenten konnte vom Team der TU zu rund 70 Prozent abgeschlossen werden.
Dieser Bearbeitungsstand zeige bereits eine „beeindruckende Bandbreite“ der relevanten Themen auf, so Prehn. Deshalb sei von der Ausarbeitung einer Wanderausstellung über eine per Internet zur Verfügung gestellte kommentierte Quellendokumentation bis hin zur Berücksichtigung in Ethikinhalten der ärztlichen Aus- und Weiterbildung eine Vielzahl von Auswertungsmöglichkeiten des reichen Quellenmaterials denkbar.
Bedrückende Ergebnisse
Petra Reis-Berkowicz, Vorsitzende der Vertreterversammlung der KBV, dankte dem Wissenschaftlerteam der TU Berlin und sprach von „bedrückenden“ Erkenntnissen zur Beteiligung der Ärzteschaft am NS-Unrecht. Dies müsse unbedingt weiter aufgearbeitet werden – Ideen zur Aufbereitung und Nutzung der gewonnenen Informationen werde man gerne aufgreifen.
Es stelle eine „bittere Erfahrung“ dar, dass die in heutigen Zeiten geschätzte Selbstverwaltung offenbar auch gefährdet ist, in regimeunkritische Verhaltensmuster abzugleiten – so fasste KBV-Vize Stephan Hofmeister die zentrale, zugleich erschreckende und wichtige Erkenntnis zusammen.
Der nächste Deutsche Ärztetag wäre Hofmeister zufolge einen guten Anlass für die Präsentation der endgültigen Ergebnisse des Projektes und die Ausarbeitung von Nutzungskonzepten. Es müsse, egal für welche Instrumente man sich entscheide, darum gehen, das gewonnene Wissen möglichst Vielen zur Verfügung zu stellen.
Prehn hatte in seinem Vortrag eindringlich die schrittweise Annäherung der deutschen Ärzteschaft an das nationalsozialistische Regime dargelegt. In der Folge habe die KVD antijüdische Maßnahmen unterstützt und auch selbst ergriffen – beispielsweise in der Gestalt methodischer Ausschlüsse jüdischer Ärzte aus der kassenärztlichen Versorgung.
Zudem seien Restriktionen bei der medizinischen Versorgung bestimmter Bevölkerungsgruppen erfolgt – und im Gegenzug die Vorzugsbehandlung von sogenannten „deutschblütigen Patienten“.
Die KVD war ein Zusammenschluss der regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Sicherstellung der ambulanten Versorgung gewährten und die medizinischen Leistungen zwischen Kassenärzten und Krankenkassen abrechneten.
Nach der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten 1933 stand die KVD unter der Aufsicht des Reichsarbeitsministers, führte das Reichsarztregister und regelte die Kassenzulassungen. So konnte die KVD unter anderem sowohl politisch oppositionellen als auch jüdischen Kassenärzten die Zulassung entziehen.
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