Ärzteschaft

KBV-Vertreter­versammlung: „Ärztliche Termine sind kein Konsumgut“

  • Montag, 27. Mai 2019
/Jürgen Gebhardt
/Jürgen Gebhardt

Münster – Ein hoher Takt bei der Gesetzgebung, schwindende Qualität sowie zu wenig ärztliche Expertise: Bei der Vertreterversammlung (VV) der Kassenärzt­lichen Bundes­vereinigung (KBV) kritisierten Vorstand und Delegierte den hohen Takt der „Pro­duktion von Gesetzesvorhaben“ aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) und die wachsende Anspruchshaltung in der Gesellschaft.

„Termine sind zum ärztlichen Konsumgut geworden – es herrscht die Krankheit Ich­eritis und Soforteritis“, analysierte die VV-Vorsitzende Petra Reis-Berkowicz. Wäh­rend beispielsweise mit dem Digitalisierungsgesetz schon neue Herausforderungen warteten, sei das gerade in Kraft getretene Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in vielen Details noch unklar.

Die ersten Gespräche mit den Krankenkassen über die offenen Sprechstunden oder das versprochene zusätzliche Honorar „lassen nichts Gutes ahnen“, sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV. „Es scheint Strategie zu sein, jedwede Re­ge­lung so zu verkomplizieren, dass es de facto nicht zu mehr Geld, aber dafür zu mehr Aufwand und Kontrolle führen wird“, sagte Gassen vor den Delegierten der Vertre­terversammlung.

„Es wäre fatal, wenn die Kassen dieses Gesetz in weiten Teilen ins Leere laufen lassen. Das Vertrauen der Ärzte und Psychotherapeuten in die Politik wäre damit nachhaltig gestört.“ Er warnte den GKV-Spitzenverband davor, die Gesetze nun zu verkomplizieren und die Absichten des Bundesgesundheitsministers zu konterkarieren.

Eine Frage der Verantwortung

Gassen kriti­sierte auch den geplanten Direktzugang zur Physiotherapie oder anderen Heilberufen. „Wer verantwortet die Versorgung, wenn die Medizin an Komplexität zu­nimmt?“, fragte Gassen. „Die ärztlich verantwortete Therapie soll erhalten bleiben, die Onlinesprechstunde wird dies nicht ersetzen können.“ Er warnte erneut die Kranken­kassen davor, die digitalen Versorgungsmöglichkeiten als „Medizin-Discounter“ zu verstehen. „Ich habe noch keinen Arzt gesehen, der durch den Laptop eine Bauch­decke abtasten kann.“

Auch für KBV-Vize Stephan Hofmeister stellen die Verhandlungen über die Detail­regelungen zum TSVG eine Herausforderung für die kommenden Wochen dar. „Der GKV-Spitzenverband weiß genau, wie er die Verhandlungsklaviatur bedienen muss, um die Intentionen des TSVG zu unterlaufen.“ Aus seiner Sicht sollten Ärztinnen und Ärzte auch ein Auge auf das Faire-Kassenwahl-Gesetz haben: Derzeit werde es zwar von dem Streit über das Verteilen von Geldern zwischen den Krankenkassen domi­niert – doch enthalte dieses Gesetz auch „Kollateralschäden“ für die ärztliche Versor­gung und Vergütung.

Streichung der DMP-Zuschläge nicht sinnvoll

Besonders das Vorhaben zur Streichung der Zuschläge für Disease Management Programme (DMP) kritisiert Hofmeister: „Nun haben wir es nach jahrelangem mühe­vollen Verhandeln im Gemeinsamen Bundesauschuss soweit gebracht, dass die DMP medizinischen Nutzen entfalten und langsam zu wirken beginnen. Und genau in diesem Moment wird ihnen der Hahn zugedreht“, so Hofmeister. Die „Unbeständigkeit politischer Festlegungen“ werde auch dadurch kontakariert, dass der Gesetzgeber selbst im Koalitionsvertrag zwei DMP gefordert habe – zu Rückenschmerzen und Depression.

Eine weitere geplante Patientensteuerung kritisierte Hofmeister: Im Digitalisierungs­ge­setz wird angedeutet, dass „Krankenkassen unter dem Deckmäntelchen der ‚digitalen Innovation‘ in die Lage versetzt werden, direkt in das Versorgungsgeschehen einzu­greifen. Das ist für mich der Casus Belli“, so Hofmeister.

Im vorliegenden Referenten­entwurf des Digitalisierungsgesetzes steht dazu unter Pa­ragraf 68, dass Krankenkassen „im Rahmen der Förderung von Versorgungsinnova­tionen ihren Versicherten insbesondere Informationen und Angebote zu individuell geeigneten Versorgungmaß­nahmen unterbreiten“ können.

Wie oft dies wahrgenommen wird, darüber soll der GKV-Spitzenverband eine Statistik führen und dem Bundesgesundheitsministerium vorlegen. Dieser aus seiner Sicht „An­griff auf die Grundfesten des Systems“ könnte in einem neuen Entwurf des Ge­set­zes noch dadurch geheilt werden, dass die Kassen­ärztlichen Vereinigungen oder die gemeinsame Selbstverwaltung als Angebotspartner einbezogen werden, so Hofmeis­ter auf der Pressekonferenz nach der Vertreter­versammlung.

Themen bei Telematikinfrastruktur nicht vermischen

Die technischen Voraussetzungen, die die Einführung einer elektronischen Gesund­heits­­karte sowie die weitere Digitalisierung der Versorgung mitbringt, führte Thomas Kriedel, zuständig im KBV-Vorstand für dieses Thema, aus: Er warnte, die einzelnen Komponenten und Teile der Diskussion zu vermischen.

„Wir haben drei Verantwortungs­ebenen für die Sicherheit der Telematikinfrastruktur (TI), das müssen wir aus­einanderhalten. Wir dürfen diese Ebenen nicht vermischen, damit wir unsere Kritik an der richtigen Stellen vorbringen“, betonte Kriedel. Dabei betrifft die erste Ebene den Konnektor und den Anschluss an die TI. „Hier liegt die Verantwortung eindeutig bei der gematik und den Herstellern der TI-Komponenten,“ erklärte Kriedel.

Die zweite Ebene sei die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie die Folge­abschätzung in Bezug auf die zentrale TI und deren Dienste. „Hierbei sind wir der klaren Auffassung, dass der Arzt für diese Folgeabschätzung nicht zuständig ist.“ Ärzte seien nicht die Betreiber der TI.

„Die gematik hat sich dazu bislang nicht geäußert. Deshalb hat die KBV in der Gesell­schafterversammlung erwirkt, dass sich die gematik nun endlich eindeutig positioniert und sich dafür mit den Datenschützern und dem BMG als neuem Mehrheitseigen­tü­mer abstimmt“, sagte Kriedel. Daher müsse die gematik diese Daten­schutzfolge­ab­schätzung selbst vornehmen oder beauftragen.

Arbeiten am digitalen Impfpass

Die dritte Verantwortungs­ebene betreffe die IT-Sicherheit in der Praxis und die der verwendeten Produkte. „Für den geschützten Internetzugang der Praxis, das regel­mäßige Update von Software und das Passwortmanagement sind die Ärzte und Psychotherapeuten selbst zuständig – und das war auch schon vor der TI so“, sagte Kriedel und verwies auf die bestehenden Empfehlungen der KBV.

Noch habe die KBV keine konkreten Zahlen, wie viele Praxen den Konnektor bestellt oder angeschlossen haben. Die KBV arbeite mit dem BMG daran, dass „realitätsnahe Lösungen“ für die Praxen gefunden werden, die zwar bestellt hätten, aber nicht bis zur Frist den Versichertenstammdatenabgleich (VSDM) durchführen können. Der Gruppe der Ärzte, die sich bislang dem TI-Anschluss verweigerten, rief Kriedel zu: „Wer sich bewusst der TI verweigert, verweigert sich einem elementaren Werkzeug der künfti­gen Versorgung. Das sollte jedem klar sein.“

Zuständig ist die KBV seit dem TSVG auch für die Standardisierung der medizinischen Informationsobjekte, kurz MIOs. „Wir denken diese Standardisierung aus der Versor­gung heraus und denken sie für die Versorgung. Wir werden die internationalen Stan­dards berücksichtigen und für Deutschland das Rad nicht neu erfinden“, so Kriedel. Da es aber auch international unterschiedliche Standards gibt „braucht es nun Fest­legungen.“

Mit rund 30 Akteuren habe sich die KBV bereits getroffen, eine Verfahrens­ordnung für die Abstimmung soll bis zum 5. Juli vorliegen. „Unsere Planung sieht vor, dass wir noch in diesem Jahr die ersten fünf MIOs veröffentlichen“, sagte Kriedel. Dazu gehöre auch der digitale Impfpass. Zur Einführung der elektronischen Patientenakte erwartet Kriedel, dass diese fünf MIOs vorliegen werden. „Ich möchte erinnern: Die MIOs sind auch Grundlage für die Arzt-zu-Arzt-Kommunikation. Die MIOs sind deshalb zentral für die arztgeführte Dokumentation.“

Digitalisierung, aber auch die Sorge vor zu vielen zentralistischen Interessen beschäftigte auch die KV-Vertreter in der VV: So warb der KV-Vorsitzende der KV Bayerns, Wolfgang Krombholz, dass die „zentrale Versorgung“ gestoppt werden solle. „Wir müssen gemeinsam mit den Kostenträgern vor Ort verhandeln können und nicht die Betrachtungen aus Berlin umsetzen müssen.“ Einem entsprechenden Antrag stimmten die Vertreter einstimmig zu.

Baumgärtner spricht von Elektroschrott

Deutliche Kritik an den Bemühungen um die Digitalisierung in der Arztpraxis äußerte Werner Baumgärtner. „Hier wird Elektroschrott in die Praxis reingepresst“, sagte der MEDI-Vorsitzende und Vertreter der KV Baden-Württem­berg. „Das ist absoluter Unsinn, der uns hier zugemutet wird.“

Er sei kein Gegner der Digitalisierung. „Aber das muss eine moderne Infrastruktur sein, die Kommunikation zwischen den Ärzten ermöglicht und sich gegen die zentrale Datenspeicherung richtet.“ Er kündigte an, dass demnächst Musterklagen gegen die Installation des Konnektors erfolgen werden. Auch zweifelte er die Sicherheit des Konnektors an. „Der Konnektor schützt die Praxis nicht vor Angriffen aus der TI“.

Kein Angriff von außen

KBV-Vorstand Kriedel hatte bereits darauf verwiesen, dass die gematik ausdrücklich bestätigt habe, dass die Konnektoren bei korrekter Installation Angriffe von außen und innerhalb der TI „zuverlässig verhindern“ könnten. Dazu habe Kriedel ihm ein Gespräch mit einem gematik-Spezialisten angeboten.

Baumgärtner bleibt bei seiner Kritik: „Wir können ja nicht sagen, die TI funktioniert. Das wäre wie: Die Waschmaschine funktioniert, weil wir die Anleitung zur Spülma­schine gelesen haben.“ Er forderte vom KBV-Vorstand, klarer die Interessen der Ärzte in dieser Frage durchzusetzen.

Einsatz für den Erhalt der DMPs forderte auch Carsten König von der KV Nordrhein. „Die Qualität der Versorgung wird immer sichtbarer. Wir müssen diese behalten. Es ist doch grotesk, wenn man die Programme jetzt abschaffen würde.“ Bei den DMP sollte auch die Beteiligung der Psychotherapeuten nicht vergessen werden, mahnte Anke Pielsticker, Bayern. „Auch wir sind an DMP wie beim Brustkrebs beteiligt, gerade befindet sich das DMP Depression im G-BA-Stellungnahmeverfahren. Diese Programme sind wichtig.“

„Für mehr Patientensicherheit bei der Verarbeitung von Daten in der elektronischen Patientenakte setzte sich Barbara Lubisch, Vertreterin der Psychotherapeuten und stellvertretende VV-Vorsitzende, ein. „Der unbefangene Umgang mit Patientendaten macht uns Sorgen. Die Dinge, die in unseren Berichten stehen, gehen keine andere Berufsgruppe etwas an.“ Einem Antrag zur Bewahrung der Schweigepflicht auch in der „gegenwärtigen, druckvollen Digitalpolitik des BMG“ stimmten viele Vertreter zu.

bee

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