Ärzteschaft

Gassen wehrt sich gegen staatliche Eingriffe in die Selbstverwaltung

  • Montag, 27. Mai 2019
Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV. /Jürgen Gebhardt
Andreas Gassen /Jürgen Gebhardt

Münster – Gegen zunehmende staatliche Eingriffe in die Selbstverwaltung hat sich heute in Münster erneut der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesver­einigung (KBV) ausgesprochen. Bei der KBV-Vertreterversammlung knüpfte Andreas Gassen dabei an die Wahl zum Europaparlament am Wochenende an.

Er betonte, das Prinzip der Europäischen Union sei die Subsidiarität. Dahinter stecke die Überzeugung, dass jeder in seinem Land und in seiner Region am besten wisse, wie gemeinsame europäische Ziele umgesetzt werden. „Das deutsche Gesundheits­wesen ist ebenso organisiert und fährt seit Jahrzehnten exzellent damit“, sagte Gassen. Wer meine, dirigistisch in die Versorgung vor Ort hineinregieren zu müssen, setzte auf das falsche Pferd.

In diesem Zusammenhang erneuerte Gassen die Kritik an Teilen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG), das vor zwei Wochen in Kraft trat, und mit denen der Gesetzgeber in die Praxisabläufe der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte eingreife.

Regeln wie verpflichtende offene Sprechstunden für bestimmte Arztgruppen oder Honorarzuschläge für die Versorgung neuer Patienten bergen nach Ansicht des KBV-Chefs durchaus die Gefahr, Abläufe in den Praxen zu behindern und die Versorgung für bestimmte Patientengruppen wie chronisch Kranke zu verschlechtern.

Krankenkassen betreiben Obstruktion

Allerdings beinhalte das TSVG auch sinnvolle Lösungen wie die Möglichkeit, Patien­ten besser durch das Gesundheitssystem zu steuern, so Gassen. Dazu komme die Zusage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Mehrarbeit der Vertragsärzte auch zusätzlich zu vergüten. Die ersten Gespräche mit den Kranken­kassen darüber ließen jedoch nichts Gutes ahnen.

„Es scheint Strategie zu sein, jedwede Regelung so zu verkomplizieren, dass es de facto nicht zu mehr Geld, aber dafür zu mehr Aufwand und Kontrolle führen wird“, kritisierte Gassen. Er forderte die Krankenkassen auf, diese „Obstruktionspolitik“ zu stoppen. „Es wäre fatal, wenn die Kassen dieses Gesetz in weiten Teilen ins Leere laufen lassen“, meinte der KBV-Vorstand. Das Vertrauen der Ärzte und Psychothe­ra­peuten in die Politik würde damit nachhaltig gestört.

Angesichts politischer Bestrebungen, Gesundheitsberufen unter anderem durch eine Akademisierung mehr Kompetenzen und Handlungsspielräume zuzugestehen, wies Gassen darauf hin, wie wichtig es sei, dass die Gesamtverantwortung für die Patien­ten­behandlung auch weiterhin in der Hand der Ärzte liege.

„Noch steht in unserem System der Arzt im Zentrum. Er koordiniert, er behält den me­dizini­schen Überblick, er haftet juristisch und mit seinem Privatvermögen, er trägt die Budgetverantwortung“, sagte Gassen. Er betonte zugleich, dass er die Aufwertung von Gesundheitsberufen wie Hebammen oder operations- und anästhesietechnischen Assistenten befürworte. Die sinnvolle Koordination medizinischer Leistungen müsse aber den Ärzten überlassen bleiben.

Digitalisierung ist kein Heilsversprechen

Ähnlich sehe es mit der IT und Telemedizin in der Versorgung aus. Die Digitalisierung habe unbestreitbar großes Potenzial, „prophetische Heilsversprechen“ seien aber fehl am Platz. „Wir prüfen vorurteilsfrei und wenn es unseren Patienten hilft, setzen wir es ein“, meinte der KBV-Chef mit Blick auf telemedizinische Anwendungen: „Sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit.“

Entscheidend sei, dass telemedizinische Angebote in den Praxen gemacht würden und nicht durch Callcenter, die womöglich in der Hand der Krankenkassen liegen oder von profitorientierten internationalen Großkonzernen betrieben werden. Telemedizini­sche Angebote müssten zudem angemessen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgebildet sein, sonst werde sich kein Kollege in diesen zusätzlichen Bereich einbringen.

Gassen hob außerdem die Bedeutung der Vertragsärzte für die Sicherstellung der Patientenversorgung hervor. Drohende Versorgungsengpässe in strukturschwachen oder ländlichen Regionen durch eine Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu beheben, hält er für unrealistisch. „Wo sind die neurologischen, der­matologischen und augenärztlichen Stationen in diesem Land?“, fragte Gassen.

„Welches Landkrankenhaus kann noch mit mehr als zwei, drei Fachabteilungen auf­warten? Wo müssen Abteilungen schließen, weil die Stellen nicht besetzt werden können?“ Das KV-System setze sich aber auch hier für Lösungen ein, zum Beispiel durch die Umwandlung von unrentablen kleinen Krankenhäusern in integrierte Ge­sundheitszentren. „So kann mit vereinten Kräften aus ehemaliger stationärer Ver­sorgung und ambulanter Versorgung etwas entstehen, dass den Menschen in unserem Land hilft“, sagte Gassen.

HK

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