Politik

Kein Anspruch auf Sachleistung bei versäumter Kassenfrist

  • Dienstag, 26. Mai 2020
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Kassel − Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat ganz erheblich den Druck auf die Krankenkassen vermindert, zügig über Leistungsanträge zu entscheiden. Hält die Kasse die gesetzlichen Fristen nicht ein, besteht nach einem heute verkündeten Urteil (Az: B 1 KR 9/18 R) zwar weiterhin Anspruch auf Kostenerstattung, der bisherige Anspruch auf Sachleistung fällt aber weg.

Fehlen zunächst Geld oder Gelegenheit, sich die Leistung selbst zu beschaffen, geht da­her der Anspruch durch eine spätere Ablehnung durch die Krankenkasse verloren. Der Sozialverband VdK sieht das Gleichheitsgebot verletzt und will eine Verfassungs­be­schwer­de prüfen.

Laut Gesetz müssen die Krankenkassen „zügig“ über Leistungsanträge entscheiden, spä­tes­tens innerhalb von drei Wochen. Schaltet die Kasse den Medizinischen Dienst ein und informiert sie den Versicherten rechtzeitig, verlängert sich die Entscheidungsfrist auf fünf Wochen.

Bei Zahnleistungen gilt generell eine Frist von sechs Wochen. Die Krankenkassen können auch Verzögerungsgründe nennen. Schweigt sie, „gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt“, heißt es im Sozialgesetzbuch.

Seit 2016 legte das BSG dies sehr scharf aus. In neuer Besetzung unter BSG-Präsident Rainer Schlegel gab der zuständige erste BSG-Senat diese versichertenfreundliche Recht­sprechung nun weitgehend auf.

Danach verschafft die sogenannte Genehmigungsfiktion nur das Recht, sich die beantrag­te Leistung selbst zu beschaffen, sofern der Versicherte „gutgläubig“ annehmen darf, dass die Leistung erforderlich ist. Die Krankenkasse bleibt aber aufgerufen, inhaltlich über den Antrag zu entscheiden. Mit einer Ablehnung entfällt der Anspruch, soweit der Versicherte sich die Leistung nicht schon vorher „gutgläubig“ selbst beschaffte.

Im Streitfall leidet der Kläger unter einer sogenannten Kleinhirnatrophie, die unter an­derem zu einer Gangstörung führt. Zunächst auf private Kosten versuchte sein Arzt die Behandlung mit einem Medikament, das nur für Gangstörungen bei Multipler Sklerose zugelassen ist.

Als sich Erfolge zeigten, beantragte er eine Behandlung mit dem Medika­ment auf Kassen­kosten. Ein solcher „Off-Label-Use“ abseits der Zulassung wird ohne Genehmigung nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bezahlt.

Weil die Krankenkasse fast drei Monate für ihren Ablehnungsbescheid brauchte, war das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz in Mainz noch von einer Genehmigungsfiktion ausgegangen. Dies hob das BSG nun auf.

Spätestens seit der Ablehnung durch die Krankenkasse sei der Patient nicht mehr „gut­gläubig“, so dass jedenfalls wegen einer Genehmigungsfiktion kein Anspruch mehr be­stehe. Allerdings soll das LSG Mainz nun noch prüfen, ob auf anderer rechtlicher Grund­lage eine Behandlung mit dem Medikament erfolgen kann.

afp

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