Kein flächendeckender Lockdown im Kreis Gütersloh

Berlin/Gütersloh – Die Bundesregierung setzt auf umfassende Maßnahmen vor Ort, um die Ausbreitung von Infektionen mit SARS-CoV-2 rund um den Schlachtbetrieb von Tönnies in Westfalen einzugrenzen.
Es handele sich um einen „massiven Ausbruch“, der sehr ernst zu nehmen sei, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert heute in Berlin. Für die Region bestehe ein hohes Infektionsrisiko. Es sei nun alles zu tun, um diesen Ausbruch einzudämmen.
Laut Bundesgesundheitsministerium sind seit vergangenem Samstag auch drei Experten des Robert Koch-Instituts (RKI) vor Ort. Im Landkreis helfen demnach zudem 15 RKI-Mitarbeiter beim Nachverfolgen von Kontakten, im Nachbarlandkreis Warendorf drei Mitarbeiter. Laut Verteidigungsministerium unterstützen momentan 39 Mitarbeiter der Bundeswehr die Reihentests, auch mit eigenen Testteams.
Über die konkreten Maßnahmen zur Eindämmung entscheide das Land Nordrhein-Westfalen, betonte die Bundesregierung. Sie verwies auch auf schon örtlich verhängte Schließungen von Schulen und Kitas und Anordnungen von Quarantäne in den umliegenden Kreisen.
Laschet: Kein Lockdown
Die Behörden in NRW sehen derzeit keinen Grund für einen Lockdown im Kreis Gütersloh. Es gebe zwar „ein enormes Pandemierisiko“, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gestern nach einem Besuch des Krisenstabs im Kreishaus von Gütersloh.
Das Infektionsgeschehen sei aber klar bei der Firma Tönnies lokalisierbar und es gebe keinen „signifikanten Übersprung“ hinein in die Bevölkerung. Die Zahl der Infizierten in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück stieg bis gestern nach Angaben des Kreises auf 1.331.
An die Bevölkerung im Landkreis Gütersloh appellierte der Regierungschef, „mehr als sonst“ die Regeln einzuhalten. „Achten Sie auf Abstand, auf die Masken. Vermeiden Sie große Veranstaltungen. Veranstaltungen über 50 Teilnehmer sollten in der nächsten Zeit – wenn es geht – nicht stattfinden“, sagte Laschet.
Der SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag, Thomas Kutschaty, kritisierte den Verzicht auf schärfere Restriktionen. „Wo Entschlossenheit gefragt ist, reagiert der Ministerpräsident mit dem Appell, Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen möglichst zu vermeiden. Das ist angesichts des größten Coronahotspots in Europa verantwortungslos und zeugt nicht von konsequentem Handeln“, sagte er der Rheinischen Post heute.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) drohte einen schärferen Kurs der Politik gegen die Fleischindustrie an. Mit der Fleischwirtschaft könne es „keine freiwilligen Vereinbarungen geben, sondern nur klare gesetzliche Vorgaben, egal wer der Besitzer ist“, sagte Laumann, der Laschet in Gütersloh begleitete. Laumann forderte mehr Transparenz vor allem bei Meldepflichten und der Arbeitszeiterfassung.
Warnung vor Abreise
Laschet nahm den Unternehmer Clemens Tönnies in die Pflicht. „Wir werden auch Herrn Tönnies beim Wort nehmen, dass er gesagt hat, es kann keinen Zustand geben wie zuvor. Wir brauchen neue Regeln, neue Bedingungen – und das ist auch das, was wir vom Unternehmen erwarten.“
Der Ministerpräsident warnte die Arbeiter aus anderen Ländern vor einer überstürzten Abreise in ihre Heimat. Im Fall einer Infizierung bekämen die Arbeiter die „bestmögliche medizinische Behandlung“ in Deutschland, sagte er. Das liege auch im eigenen Interesse der Arbeiter. Es würden nun in unbegrenzter Größenordnung so viele Dolmetscher wie möglich in die Unterkünfte der Beschäftigten geschickt.
Das Problem sei, dass diese auf 1.300 Liegenschaften verteilt seien. Drei Hundertschaften der Polizei unterstützten die Ordnungsämter dabei, die Quarantäne durchzusetzen. Nach Angaben des Kreises ist „eine Reihe von Mitarbeitern ganz offensichtlich in die Heimat zurückgekehrt, unter anderem Personen, die negativ getestet worden sind und die die sich abzeichnende Quarantäne hier vermeiden wollten“.
Die Reihentestungen auf dem Gelände der Firma seien vorgestern abgeschlossen worden, hieß es. Insgesamt 6.139 Tests seien gemacht worden. 5.899 Befunde lägen bereits vor. Bei 4.568 Beschäftigten konnte demnach das Virus nicht nachgewiesen werden.
In den vier Krankenhäusern im Landkreis werden derzeit 21 COVID-19-Patienten stationär behandelt. Davon liegen sechs Personen auf der Intensivstation, zwei von ihnen müssen beatmet werden. Fünf der sechs sind nach Angaben des Kreises Tönnies-Beschäftigte.
Gestern seien 32 mobile Teams in den Städten und Gemeinden des Kreises unterwegs gewesen, um bei Haushaltsangehörigen von Tönnies-Mitarbeitern Abstriche zu machen und ihnen Unterstützung anzubieten. An den Teams beteiligt waren jeweils Mitarbeiter des Ordnungsamtes, des Deutschen Roten Kreuzes, der Bundeswehr und Dolmetscher. Einige Teams wurden auch von Polizisten begleitet.
Am Standort Rheda-Wiedenbrück, dem größten Schlachtereibetrieb Deutschlands, arbeiten nach Unternehmensangaben rund 6.500 Menschen. Rund die Hälfte aller Beschäftigten in der gesamten Tönnies-Unternehmensgruppe arbeiten nach Angaben eines Sprechers über Subunternehmen für Tönnies.
Insgesamt seien Menschen aus 87 Nationen für Tönnies tätig. Die mit Abstand größten Gruppen kommen aus Rumänien und Polen. Rund ein Drittel der Beschäftigten mit ausländischer Nationalität lebt den Angaben zufolge mit ihren Familien in Deutschland.
KV richtet Diagnosezentrum
Für die angekündigten kostenlosen Coronatests der Bevölkerung des Kreises Gütersloh richtet die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe ein Diagnosezentrum ein. Ort, Tag der Eröffnung und Öffnungszeiten stünden noch nicht fest.
„Wir hoffen, dass es kurzfristig klappt“, sagte KVWL-Sprecherin Vanessa Pudlo. Ob im Diagnosezentrum eine Anmeldung nötig sein werde, müsse ebenfalls noch geklärt werden. „Die Patienten können sich an den behandelnden Hausarzt wenden oder das Diagnosezentrum.“
In dem Zentrum sollen niedergelassene Ärzte die Testung von Menschen ohne Symptome einer COVID-19-Erkrankung vornehmen. Die KVWL sei damit vom Landkreis beauftragt worden.
Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) hatte das kostenlose Angebot für alle Bürger gestern angekündigt und es für die „nächsten Tage“ in Aussicht gestellt. Im Landkreis Gütersloh lebten Ende 2019 rund 365.000 Menschen.
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