Vermischtes

Kindergrundsicherung muss tatsächlichen Bedarf decken

  • Dienstag, 4. Juli 2023
/EKKAPON, stock.adobe.com
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Gütersloh – Eine Kindergrundsicherung kann Armut nur wirksam vermeiden, wenn sie sich am tatsächlichen Bedarf von Kindern und Jugendlichen orientiert. Zu diesem Schluss kommt eine heute in Gütersloh veröffent­lichte Analyse der Bertelsmann Stiftung, in der Experten aktuelle Studien und Daten zusammenfassten.

Dieser Bedarf müsse „regelmäßig und umfassend“ unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen neu bestimmt werden.

„Mit der geplanten Einführung der Kindergrundsicherung in dieser Legislatur­periode besteht die große und vielleicht einmalige Chance, wirksam gegen Kinderarmut in Deutschland vorzugehen“, heißt es in dem Policy-Brief mit Handlungsempfehlungen. Dies sollte auch in einer angespannten Haushaltslage politisch Priorität haben“.

Die Kindergrundsicherung ist im Koalitionsvertrag vorgesehen, die Ampel­regierung streitet aber über die Ausgestaltung und die Finanzierung. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) meldete dafür zwölf Milliarden Euro ab 2025 an, was Finanzminister Christian Lindner (FDP) für deutlich zu viel hält.

Die Kindergrundsicherung muss der Bertelsmann-Analyse zufolge vor allem am unteren Einkommensrand wirken und nicht höhere Einkommensschichten weiter entlasten. Daher sollte die Leistung „mit steigendem Einkommen der Eltern abgeschmolzen“ werden – und zwar so, dass negative Erwerbsanreize möglichst gering blieben. Zudem müsse die Kindergrundsicherung „einfach, niedrig­schwellig und digital zu beantragen sein“. Nötig sei „ein echter Systemwechsel“.

„Nehmen wir dieses Geld als Gesellschaft hingegen nicht in die Hand, bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir weiter dabei zuschauen, wie mehr als ein Fünftel der jungen Generation seiner Lebenschancen beraubt wird“, warnten die Experten. Zugleich drohten mittel- und langfristig noch deutlich höhere Folgekosten, zum Beispiel im Gesundheitssektor und in den Sozialsystemen.

Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland sind von Armut betroffen. Im vergangenen Jahr waren demnach drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren oder 21,6 Prozent armutsgefährdet. Bei den jungen Erwachsenen von 18 bis 24 Jahren waren es 1,55 Millionen oder 25,3 Pro­zent. Als armutsgefährdet gelten Menschen, die in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Pro­zent des mittleren Einkommens haben.

Die Experten der Bertelsmann-Stiftung widersprachen zugleich Meinungen, Geldleistungen für Kinder wür­den häufig zweckentfremdet. Dafür gebe es keine Belege, weder in Deutschland noch international. Vielmehr zeigten zahlreiche Studien, dass Eltern in finanziell belastenden Lebenssituationen ihre Mittel eher den Kindern etwa für Sport und Musikerziehung zur Verfügung stellten, als dass sie sie für sich verwendeten.

Auch für Deutschland habe eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung keine Belege dafür gefunden, dass Eltern mehr rauchen, Alkohol trinken oder Elektronikgeräte erwerben, wenn Leistungen wie das Kindergeld erhöht werden. Es gebe zwar Fälle, in denen Eltern sich nicht gut um ihre Kinder kümmerten. Diese Familien bräuchten besondere Unterstützung und Kontrolle.

„Allen (armen) Eltern zu misstrauen und sie unter einen Generalverdacht zu stellen, ist jedoch weder ange­bracht noch zielführend, wenn es um die Ausgestaltung sozialpolitischer Leistungen geht", schreiben die Experten.

Die Kindergrundsicherung soll bestehende familienpolitische Leistungen zusammenfassen und ausbauen – neben dem Kindergeld auch das Bürgergeld, den Kinderzuschlag oder das Wohngeld. Die Pläne des Familien­ministeriums sehen vor, dass alle Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren einen Grundbetrag erhalten. Einen Zusatzbetrag soll es darüber hinaus für einkommensschwache Familien geben. Darüber wird noch verhandelt.

afp

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