Vermischtes

Kinderschützer starten Kampagne gegen Babyschütteln

  • Mittwoch, 19. Juli 2017
/Nik, stock.adobe.com
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Berlin – „Schreien kann nerven. Schütteln kann töten“. Mit einer emotionalen Kam­pagne wollen Kinderschützer in Berlin auf die Gefahren eines Schütteltraumas bei Babys aufmerksam machen. In diesem Jahr seien in Berlin und Brandenburg bereits 13 Fälle bekannt geworden, sagte Saskia Etzold, Vize-Leiterin der Gewaltschutzambulanz der Charité, heute bei der Präsentation der Kampagne. Oft hätten Eltern oder Lebenspartner schreiende Säug­linge und Kleinkinder aus Überforderung so stark geschüttelt, dass die Kinder blei­bende Schäden davontrugen. Zwei der 13 Babys seien gestorben.

„Das Schütteln eines Babys entspricht der Krafteinwirkung eines sechs Meter großen und zwei Tonnen schweren Riesen auf einen Erwachsenen“, erläuterte Etzold. Schütteltraumata bei Säuglingen blieben oft unbemerkt, weil Symptome ähnlich wie bei Fieberkrämpfen, Vergiftungen, Magen-Darm-Problemen oder Erbrechen wirkten. Die Folgen wie Einblutungen im Inneren des Schädels, Hirnschwellungen und Hirnschädigungen seien äußerlich nicht zu erkennen.

Michael Tsokos, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Charité und des Landes­instituts für gerichtliche und soziale Medizin Berlin und Ärztlicher Leiter der Gewalt­schutzambulanz der Charité, betonte, es sei Zeit, dass das Thema Schütteltrauma endlich verstärkt in den Fokus von Öffentlichkeit und Politik gerate.

„Nur mit einer solchen Kampagne, wie sie jetzt vom Deutschen Kinderverein initiiert wird, können die gefährdeten Säuglinge besser geschützt und vor dem Schlimmsten bewahrt werden“, sagte Tsokos. Er führt einen Teil von Lernbehinderungen bei Schulkindern auch auf Schütteltraumata in den ersten beiden Lebensjahren zurück.

Im Berliner Bezirk Neukölln gibt es nach tragischen Todesfällen durch Schüttel­traumata eine Schreiambulanz, die Eltern mit Schreibabys Tipps gibt. Experten raten unter anderem zu Schallschutzkopfhörern, Pausen und Hilfe bei der Kinderbetreuung und Arztbesuchen zur Abklärung der Ursachen. „Es schadet einem Baby nicht, wenn es lange schreit“, sagte Tsokos. Wichtig sei, dass die Eltern von ihrem hohen Stresslevel herunterkommen und es nicht schütteln. Ein Schreikind sei nicht die Schuld der Eltern.

„Schütteltraumata sind leider seit vielen Jahren ein bekanntes Phänomen“, betonte Rainer Rettinger, Geschäftsführer Deutscher Kinderverein. Er kritisierte, es sei ein Armutszeugnis und ein Skandal, dass sich das Bundesfamilienministerium erst auf Druck des Bundestags und einiger engagierter Abgeordneten um eine Aufklärungs­kampagne bemühe. „Weil uns dieses Thema wirklich wichtig ist, starten wir schon jetzt mit einer Kampagne, die sensibilisieren, vor allem aber aufrütteln soll“, sagte er.

Da für die Kampagne aber nur 800.000 Euro aus Mitteln des Bundesfamilien­ministeriums zur Verfügung stünden, könne sie nicht bundesweit laufen, bedauerte Rettinger. Die Plakate der Kampagne, die vom Deutschen Kinderverein gestartet wird, sind unter anderem in U- und S-Bahnhöfen zu sehen. Im Film verstummen Babyschreie ganz plötzlich und hinterlassen eine gespenstische Stille.

Wie viele Kleinkinder in Deutschland pro Jahr durch Schütteln sterben, wird statistisch nicht erfasst. Anders als in den USA oder der Schweiz gebe es keine Meldepflicht, sagte Etzold. Nach Angaben von Rechtsmediziner Tsokos sterben in Deutschland statistisch gesehen jede Woche drei Kinder durch körperliche Gewalt. Sind sie jünger als zwei Jahre, sei oft ein Schütteltraum die Ursache, sagte er. Viele Kinder behalten laut Berliner Gewaltschutzambulanz schwere Behinderungen wie Lähmungen, Erblindung oder Epilepsie zurück. Nur rund jedes zehnte erholt sich vollständig.

dpa/may

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