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Klagen für den Klimaschutz: Erderwärmung beschäftigt zunehmend die Gerichte

  • Dienstag, 26. September 2023
/malp, stock.adobe.com
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New York – Der Kampf gegen den Klimawandel wird zunehmend weltweit vor Gerichten ausgetragen. Die Klagen gegen Regierungen und Unternehmen haben in den vergangenen Jahren explosionsartig zuge­nomm­en – und in manchen Fällen die Klimapolitik beeinflusst. Darauf setzen auch sechs Kinder und Jugendliche aus Portugal, die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen 32 Länder eingelegt haben.

Die Argumente der jungen Leute will das Straßburger Gericht in einer Anhörung am 27. September prüfen. Diese führen ins Feld, dass sie mit einem Klima leben müssten, das „immer heißer“ werde, eine wachsende Zahl von Umweltkatastrophen verursache und ihnen Sorgen um ihre Gesundheit bereite. Das Urteil des EGMR wird in einigen Monaten erwartet.

Insgesamt hat sich die Zahl der weltweiten Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Klimawandel zwischen 2017 und 2022 nach Angaben des UN-Umweltprogramms (UNEP) verdoppelt. In diesem September verzeichnete das Sabin Center for Climate Change Law der New Yorker Columbia University weltweit mehr als 2.500 vor Gerichten anhängige Fälle, in denen es um im Zusammenhang mit der Erderwärmung erhobene Vorwürfe gegen Regierungen, Behörden und die Privatwirtschaft geht, davon mehr als 1.600 Fälle in den USA.

Die Zahl der Klimaprozesse steige, „weil die Klimakrise in ihrer Intensität und Unmittelbarkeit zunimmt und weil die Maßnahmen der Regierungen und der Unternehmen nicht ausreichen“, sagte Michael Burger, Ge­schäftsführer des Sabin Center.

Gerichtsverfahren wirken sich „auf die Ergebnisse und Zielsetzungen der Klimapolitik aus“, heißt es in einem Bericht des Weltklimarats (IPCC) von 2022. Haben Klagen Erfolg, erhöhe das den Druck auf die Regierungen.
Die Umweltorganisation Urgenda errang 2019 einen bemerkenswerten Sieg vor dem Obersten Gerichtshof der Niederlande. Die Richter wiesen die Regierung an, die Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 um mindes­tens 25 Prozent zu reduzieren.

Auch junge Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht hatten 2021 Erfolg. Die Karlsruher Richter erklärten das deutsche Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig, da es die Freiheitsrechte künftiger Genera­tionen beeinträchtige.

Eine Reihe hochkarätiger Fälle blieb jedoch erfolglos. Und nicht nur Klimaschützer ziehen vor Gericht – son­dern genauso Unternehmen, die sich gegen Umweltauflagen wehren. „Diejenigen, die vom Status quo profitie­ren, werden alles tun, um ihre Vorteile zu behalten, und dazu gehört auch der Gang vor Gericht“, so Burger.

Auch Klimaaktivisten wie die der Letzten Generation sind mit ihren Protesten ins Visier der Justiz geraten. In Fällen von zivilem Ungehorsam hätten die Richter jedoch „im Allgemeinen die Klimakrise“ bei ihren Entschei­dungen berücksichtigt, heißt es in einem UNEP-Bericht.

Klagen gegen Unternehmen zielen darauf ab, dass diese klimaschädliche Praktiken ändern oder Entschädi­gung für entstandenen Schaden zahlen. In einer historischen Entscheidung verurteilte ein niederländisches Gericht den Ölkonzern Shell im Jahr 2021, seine CO2-Emissionen bis 2023 um 45 Prozent zu reduzieren. Shell legte Berufung ein.

Das Oberlandesgericht Hamm beschäftigt sich derzeit mit der Klage eines peruanischen Andenbauers gegen den deutschen Energieriesen RWE. Das Haus des Mannes ist von einem schmelzenden Gletscher bedroht. Als Mitverursacher der Erderwärmung solle das Unternehmen Gegenmaßnahmen finanzieren, fordert der Kläger.

Eine neue Strategie der Klimaschützer besteht darin, gegen sogenanntes Greenwashing juristisch vorzugehen. Firmen und und Organisationen – darunter etwa der Weltfußballverband FIFA – werfen die Aktivisten vor, mit irreführenden Praktiken ihren wahren ökologischen Fußabdruck zu verschleiern.

Dank des wissenschaftlichen Fortschritts ist es heute möglich, den Zusammenhang zwischen einem extremen Wetterereignis und dem Klimawandel zu belegen. Auch können Forscher abschätzen, wie groß die Verant­wor­tung der emissionsintensiven Industrien – von der Ölförderung über den Bergbau bis hin zur Zementher­stellung – für die Erderwärmung ist. Solche Daten werden mehr und mehr vor Gericht herangezogen.

Ein Bezirk im US-Bundesstaat Oregon verklagte im Juni mehrere internationale Ölkonzerne und forderte 51 Milliarden Dollar (48 Milliarden Euro) Schadenersatz für die extreme Hitze 2021. Ein großer Teil der einge­brachten Klagen argumentiert mit den Menschenrechten, dem Recht auf Leben, Gesundheit und eine intakte Umwelt – so wie die Kinder und Jugendlichen vor dem Gerichtshof in Straßburg.

afp

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