Koalition will schwer erkrankte Flüchtlingskinder aufnehmen

Athen/Istanbul/Brüssel – Angesichts der Not der Flüchtlinge in Griechenland wollen Union und SPD besonders schutzbedürftige Kinder in Deutschland aufnehmen. Das entschied der Koalitionsausschuss gestern Abend in Berlin.
Konkret sieht das 14-seitige Beschlusspapier vor, dass es um die schwierige humanitäre Lage von etwa 1.000 bis 1.500 Kindern auf den griechischen Inseln geht. Es handelt sich laut Koalitionsbeschluss um Kinder, die schwer erkrankt oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre seien.
Auf europäischer Ebene werde derzeit verhandelt, um in einer „Koalition der Willigen“ die Übernahme dieser Kinder zu organisieren. „In diesem Rahmen steht Deutschland bereit, einen angemessenen Anteil zu übernehmen“, teilte die Koalition mit. Das Bündnis geht auch auf die Kämpfe im syrischen Idlib ein. Dringend benötigte humanitäre Hilfe müsse vor Ort gebracht werden – Deutschland habe 125 Millionen Euro dafür bereitgestellt.
SPD-Chefin Saskia Esken zeigte sich auf Twitter „froh“, dass Deutschland sich nun an einer EU-Koalition der Willigen angemessen beteiligen werde. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer geht davon aus, dass sich neben Deutschland noch weitere Länder einer europaweiten Koalition der Willigen anschließen werden.
Es gebe Anzeichen dafür, dass sich noch weitere Länder beteiligten. Darunter sei augenscheinlich auch Frankreich. Daher sei sie sehr zuversichtlich, dass die Koalition der Willigen aus mehr als zwei Länder bestehen werde, sagte sie im Deutschlandfunk.
In Griechenland leben derzeit nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) rund 116.000 Flüchtlinge und Migranten, mehr als 42.000 von ihnen in und um die völlig überfüllten Flüchtlingslager auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos in der östlichen Ägäis. Auf Lesbos mobilisieren sich zunehmend Einwohner gegen Flüchtlinge und Hilfsorganisationen. Viele freiwillige Helfer haben die Insel bereits verlassen.
Erdogan heizt die Lage weiter an
Die Migrationskrise bleibt unterdessen angespannt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Griechenland gestern aufgerufen, die Migranten an der gemeinsamen Grenze durchzulassen. „Hey Griechenland, diese Menschen kommen nicht zu dir und bleiben, sie kommen zu dir und gehen in andere Länder Europas. Warum störst du dich daran?“, sagte Erdogan gestern auf einer Veranstaltung in Istanbul. „Mach du doch auch die Tore auf“, sagte Erdogan.
Er selbst hatte am 29. Februar verkündet, die türkische Grenze sei für Migranten geöffnet. Tausende hatten sich darauf hin auf den Weg gemacht – und wurden mit Bussen an die Grenze gebracht. Viele harren immer noch im Grenzgebiet aus – umnebelt von Tränengas und Rauchbombenschwaden.
Zur Entschärfung des Migrationsstreits mit der EU reist Erdogan heute zu Gesprächen nach Brüssel. Dort werde er um 18 Uhr EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel treffen, teilte dessen Sprecher auf Twitter mit. Es solle um Angelegenheiten zwischen der EU und der Türkei gehen – unter anderem auch um Migration und die Lage im Bürgerkriegsland Syrien.
Michel und von der Leyen dürften bei den Gesprächen versuchen, die Türkei wieder zur Einhaltung des 2016 geschlossenen EU-Türkei-Abkommens zu bewegen. Erdogan dürfte auf weitere finanzielle Hilfen dringen. Michel hatte Erdogan am vergangenen Mittwoch bereits in Ankara getroffen.
Nachdem Ankara am 29. Februar die Grenze zur EU für offen erklärt hatte, ist das Verhältnis beider Seiten äußerst angespannt. Die EU wirft Erdogan vor, gegen das gemeinsame Flüchtlingsabkommen zu verstoßen und die Staatengemeinschaft erpressen zu wollen. Zugleich signalisierten mehrere EU-Staaten zuletzt weitere Hilfsbereitschaft – vorausgesetzt, die Türkei kehre zum Abkommen zurück.
Die Vereinbarung sieht vor, dass die Türkei gegen illegale Migration in die EU vorgeht. Brüssel hatte Ankara im Rahmen des Flüchtlingspakts 6 Milliarden Euro zugesagt. Laut EU-Kommission sind bislang 4,7 Milliarden Euro vertraglich vergeben und rund 3,2 Milliarden ausbezahlt. Erdogan dringt auf weiteres Geld.
Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis bezeichnete den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei als tot. „Ganz ehrlich? Im Moment ist die Vereinbarung tot“, sagte Mitsotakis in einem CNN-Interview. „Womit wir es zu tun haben, ist kein Migrations- oder Flüchtlingsproblem. Es ist der bewusste Versuch der Türkei, Flüchtlinge und Migranten als politische Bauernopfer zu benutzen, um die eigenen politischen Interessen zu verfolgen.“
Mitsotakis wird heute zu einer deutsch-griechischen Konferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin erwartet. Gestern Abend befasst sich ein Koalitionsgipfel in Berlin neben dem Hauptthema Corona auch mit der Lage an der griechisch-türkischen Grenze. Die Situation an der türkisch-griechischen Grenze war indes weiter extrem angespannt.
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