Kommissionsgutachen zur reproduktiven Medizin löst unterschiedliche Reaktionen aus

Berlin – Nach der Vorlage des Berichts der Expertenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin treibt die Debatte um die Konsequenzen aus dem Bericht Bundes- und Landespolitiker sowie Verbände um. So kündigte der Freistaat Bayern heute an, an der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen festhalten zu wollen.
Der vor 30 Jahren gefundene Kompromiss stelle einen guten Zustand her, der Schwangeren helfe, eine Abtreibung straffrei vornehmen zu können, sagte Bayerns Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) nach einer Kabinettssitzung heute in München. Die Staatsregierung lehne eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – also eine Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch – deshalb ab.
Scharf sieht in der von der Bundesregierung angestoßenen Debatte einen Versuch zur Spaltung der Gesellschaft: „Sie gefährdet damit den Zusammenhalt und ich halte das für unverantwortlich“, sagte die Ministerin. Der Konsens sei nach mehr als 20 Jahren streiten und ringen gefunden worden und schaffe einen gesellschaftlichen Frieden. In den vergangenen 15 Jahren sei in der Bundesrepublik laut Scharf nur eine schwangere Frau wegen des Paragrafen 218 rechtskräftig verurteilt worden.
Bei der Vorstellung des Kommissionsberichts hatten die drei Bundesminister, Bundesfamilienministern Lisa Paus (Grüne), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) klar davor gewarnt, mit der Debatte nun gesellschaftlichen Unfrieden zu stiften. Dies adressierte Lauterbach besonders an die Unionsparteien.
Die CSU plant nun einen Dringlichkeitsantrag im bayerischen Landtag, in dem sich die Fraktion für den Erhalt des Paragrafen 218 ausspricht. Ebenfalls im Antrag enthalten ist die Forderung an den Bund, die „Pille danach“ auch für die Frauen über 22 zu bezahlen, die vergewaltigt wurden.
Aktuell haben nur Versicherte einen Anspruch auf die Kostenerstattung von verschreibungspflichtigen empfängnisverhütenden Mitteln, wenn sie nicht älter als 22 sind. Eine Ausnahme für Opfer von Vergewaltigungen sieht das Gesetz bisher nicht vor. Die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs werden in diesem Fall hingegen übernommen. Welche Regelungen auf Bundesebene aus dem 600-Seiten starken Gutachten folgen werden, das ließen die drei Bundesminister gestern noch offen.
In der Bundespolitik wurde das Gutachten von den drei Ampelparteien begrüßt: Die Grünen im Bundestag sahen die Empfehlungen als Auftrag, mit dem nun sorgfältig umgegangen werden sollte. „Wir wollen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken und haben uns schon lange für eine differenzierte Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches stark gemacht“, erklärten Maria Klein-Schmeink und Ulle Schauws von den Grünen.
Klein-Schmeink ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Schauws ist Sprecherin für Frauenpolitik der Fraktion. „Gleichzeitig muss das Schutzniveau für das werdende Leben je nach Phase der Schwangerschaft gewahrt werden. In dieser Haltung sehen wir uns grundsätzlich durch die Empfehlung der Kommission bestätigt.“ Auch müsse die Versorgung von Frauen in der Situation deutlich verbessert werden.
Ähnlich äußerten sich auch Vertreterinnen der SPD-Fraktion. „Das aktuell bestehende Schutzkonzept hat sich nicht bewährt“, erklärte die frauenpolitische Sprecherin der Fraktion, Leni Breymaier. Sie verwies darauf, dass auch immer weniger Ärztinnen und Ärzte bereit seien, vor dem Hintergrund der Rechtslage Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.
Die Linken-Abgeordnete Gökay Akbulut forderte, Schwangerschaftsabbrüche müssten „ein normaler Teil der gesundheitlichen Versorgung werden – ohne Zwangsberatung und Wartepflicht“.
Zustimmung zu den Vorschlägen kommt auch vom Ärztinnenbund. Der Ethikausschuss des Verbandes legte ebenso gestern eine Empfehlung zum Paragrafen 218 vor. „Wir freuen uns, dass die Kommission unsere Einschätzung teilt, dass die Stigmatisierung von ungewollt schwangeren Frauen durch die bisherige Regelung im Strafgesetzbuch enden muss“, sagte Christiane Groß, Präsidentin des Ärztinnenbundes in einer Mitteilung.
Der Ärztinnenbund fordert in der Stellungnahme ein Beratungsrecht statt einer Beratungspflicht für die Frauen, die eine Schwangerschaft beenden wollen. Ebenso beklagt der Verband die Versorgungslage für Frauen und verlangt, dass das Wissen um den Abbruch in der Aus- und Weiterbildung berücksichtigt werden muss. Zudem: „Wir stehen zu dem individuellen Selbstbestimmungsrecht von Ärztinnen und Ärzten, die sich frei entscheiden können, ob sie einen solchen Eingriff vornehmen wollen oder nicht.“
Skeptisch mit Blick auf die Streichung aus dem Strafrecht zeigte sich die religionspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Sandra Bubendorfer-Licht. „Deutschland verfügt bereits heute über einen gut austarierten Kompromiss zwischen der Selbstbestimmung der Frau und dem Schutz ungeborenen Lebens“, sagte sie der Mediengruppe Bayern.
Scharfe Kritik kam aus der Union: Die Kommission habe lediglich geliefert, „was die Ampel auch bestellt hat“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär (CSU), den Sendern RTL und ntv. Mit der bisherigen Regelung gebe es bereits die Möglichkeit, „straffrei abtreiben zu können“. Vor allem aber die Grünen wollten nun „ohne Not“ einen vor 30 Jahren vereinbarten Kompromiss aufkündigen.
Die Ampelregierung unternehme „den offenkundigen Versuch, den Schutz des ungeborenen Lebens zugunsten des Abtreibungsrechts auszuhebeln“, kritisierte die AfD-Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel. Die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werde „dabei völlig außer Acht gelassen“.
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) kritisierte die Kommissionsempfehlungen als „zu einseitig“. „Eine Relativierung der fundamentalen Würde jedes Menschen, auch des ungeborenen Kindes, und eine Relativierung, Einschränkung oder Abstufung des damit verbundenen Grundrechts auf Leben halten wir für falsch“, erklärte der DBK-Vorsitzende Bischof Georg Bätzing.
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