Krankenhausreform: Debatte über Verschärfung oder Lockerung von Qualitätsvorgaben

Berlin – Fachgesellschaften und Ärzte sorgen sich um die Qualität der Patientenversorgung. Die Krankenkassen und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) warnen vor einer Verwässerung der Krankenhausreform und plädieren für strengere Qualitätsvorgaben. Die Krankenhäuser drängen hingegen auf mehr Flexibilität und Möglichkeiten, von den vorgesehenen bundesweiten Vorgaben abweichen zu können.
Das zeigte die gestrigen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags zum Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG). Das KHAG soll aus Sicht der schwarz-roten Koalition das Ende 2024 beschlossene Krankenhausreform nachbessern. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte mehrfach betonte, das Gesetz solle die ursprüngliche Krankenhausreform praxistauglicher machen und Anpassungen im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) vornehmen.
In der Anhörung erkundigte sich die Unionsfraktion etwa bei den Krankenhäusern, wie sie die geplanten Änderungen im KHAG einschätzen würden. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), sorgte sich vor zu engen Einschränkungen im stationären Bereich, die innovative Prozesse behindern könnten. Zudem hätte sich die DKG gewünscht, dass mehr Ergebnisqualität als Strukturqualität im Gesetzentwurf betont werde.
Problematisch sei aber vor allem die aktuelle Vorhaltevergütung. Diese werde in ihrer vorgesehenen Form nicht das politische Ziel erreichen, Krankenhäuser auskömmlich zu finanzieren, prognostizierte Gaß. Auch die vorgesehenen Ausnahmegenehmigungen für die Länder von den Vorgaben abweichen zu können, werden dafür nicht ausreichen, warnte er.
Dies kritisierte auch Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands (kkvd). Die Vergütung müsse fallzahlunabhängig gestaltet sein. „Sonst laufen wir Gefahr, dass weite Teile der Bevölkerung insbesondere in ländlichen Regionen von der Versorgung abgeschnitten werden“, befürchtete Rümmelin. Denn vor allem kleine und ländliche Krankenhäuser würden damit in die Enge getrieben.
Zudem sei die Vorhaltefinanzierung zu komplex und bürokratisch angelegt. Sie riet dazu, die geplante Änderung der Vergütungssystematik im nächsten Jahr nochmal grundsätzlich neu aufzustellen.
Die Gewerkschaft Verdi setzte sich für die „Ausgestaltung einer echten Vorhaltefinanzierung ein“, in der mindestens die Personalkosten vollständig refinanziert werden müssten. Zudem plädierte die Gewerkschaft auch für eine bedarfsgerechte Personalausstattung, die durch entsprechende Instrumente gemessen werden müssten.
Noch deutlicher wurde Thomas Bublitz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken (BDPK). Er erklärte, die Vorhaltepauschalen sollten ganz gestrichen werden, ebenso wie der vorgesehene Fixkostendegressionsabschlag. Zudem setzte er sich dafür ein, dass besondere Einrichtungen aus der Leistungsgruppensystematik herausgenommen werden müssten. Denn diese Kliniken hätten ein spezielles Patientenklientel, die man den Leistungsgruppen nicht so einfach zuordnen könnten.
Streit um die Standortdefinition
Für weitere Flexibilität in den Kliniken sprach sich ebenfalls der Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEKV) aus. Vorsitzender Christoph Radbruch forderte die Erweiterung der Standortdefinition von derzeit 2.000 Meter auf 5.000 Meter. Die Regelung besagt, dass verschiedene Gebäude nur als ein Krankenhausstandort gezählt werden dürfen, wenn sie nicht mehr als 2.000 Meter auseinander liegen. Dies bilde die Versorgungsrealität vieler Krankenhäuser nicht ab, erklärte Radbruch.
Für die Beibehaltung dieser 2.000-Meter-Regelung sprach sich hingegen Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin beim GKV-Spitzenverband, aus. „Organisatorische und technische Strukturen setzen räumliche Nähe voraus“, sagte sie. Wenn dies auf fünf Kilometer erweitert würde, würde die Versorgung über mehrere deutlich getrennte Einheiten ablaufen.
Den Forderungen nach mehr Freiheit standen gestern deutliche Warnungen vor der Abschwächung der Qualitätskriterien entgegen. Der Einzelsachverständige und Intensivmediziner Christian Karagiannidis von der Universität Witten/Herdecke erklärte, das vorliegende KHAG konterkariere die ursprünglichen Ziele der Krankenhausreform. Karagiannidis war Mitglied der ehemaligen Regierungskommission Krankenhäuser, die den Grundstein der Reform erarbeitet hatte.
Leistungsgruppen beibehalten
Die Länder bekämen nun viel zu viele Ausnahmemöglichkeiten. Wenn die vier Leistungsgruppen wie im KHAG vorgesehen zudem gestrichen würden, würden diese Bereiche in den nächsten beiden Dekaden in der Vergütung nicht mehr relevant werden, schätzt Karagiannidis. Er nannte diesbezüglich vor allem die Infektiologie, die gestrichen werden soll, sowie die Angiologie. Er hoffe zudem, dass die spezielle Kinder- und Jugendmedizin erhalten bleibt, unabhängig vom Vergütungsaspekt.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) sowie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sprachen sich für die Beibehaltung der beiden speziellen Leistungsgruppen in der Pädiatrie aus.
Der Einzelsachverständige und Kinder- und Jugendmediziner Florian Hoffmann vom Klinikum Dritter Orden in München-Nymphenburg befürchtete, dass Kinder künftig in den Erwachsenenabteilungen behandelt werden würden, obwohl dort keine pädiatrische Kompetenz vorhanden sei. Er setzte sich zudem dafür ein, die finanzielle Förderung für die Pädiatrie auch über 2028 hinaus beizubehalten, um eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherstellen zu können.
Ähnlich plädierte die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) für die Beibehaltung der Leistungsgruppe Infektiologie. Das KHAG sieht vor diese im KHVVG zunächst angelegte Leistungsgruppe wieder zu streichen. Wenn man die Expertise von Infektiologen entsprechend einsetze, würde dies aber Behandlungen verbessern und dadurch Kosten im Gesundheitssystem senken, argumentierte die Fachgesellschaft.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft (DSG) mahnte darüber hinaus die Einführung einer Leistungsgruppe Schmerzmedizin an. Ohne diese würden Versorgungsangebote wegbrechen und die Weiterbildung leiden, hieß es.
Patientensicherheit gefährdet
Die geplante Ausweitung von Ausnahmen in den Leistungsgruppen lehnte Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, hingegen deutlich ab. Dies gehe zulasten der Patientensicherheit, bemängelte sie. Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sollten nur an entsprechenden Häusern eingesetzt werden, wo es für benötigte Behandlungen auch entsprechende Expertise gebe, forderte sie.
Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, kritisierte zudem die geplanten unbefristeten Ausnahmen für die Sicherstellungskrankenhäuser. Dies gefährde die Patientenversorgung und sei auf Dauer nicht hinnehmbar, sagte er.
Die SPD fragte G-BA und Krankenkassen, wie diese die geplanten Kooperationen zwischen den Kliniken einschätzen. Im KHAG ist vorgesehen, dass die Krankenhäuser künftig Vorgaben der Leistungsgruppen auch in Kooperation erfüllen können.
Dies sieht G-BA Vorsitzender Hecken sehr kritisch. Im Einzelfall könnten sie etwa zur Unterstützung oder Ergänzung von Leistungen sinnvoll sein, sagte er. Aber wenn zentrale Qualitätskriterien der Leistungsgruppen ganz woanders erfüllt werden als benötigt, sei das sehr kritisch. „Für Patientinnen und Patienten ist es entscheidend, dass im Falle einer Behandlung die strukturelle und personelle Kompetenz vor Ort ist“, sagte er.
Engere Leitplanken für Kooperationen
Stoff-Ahnis plädierte ebenfalls für die Streichung der geplanten Kooperationsregelungen. Sollte das nicht in Betracht kommen, brauche es eine strenge Eingrenzung von Kooperationen, etwa wenn dies für die Sicherstellung benötigt werde oder nur für einen engen Entfernungsradius.
Die Krankenkassen sollten zudem diesen Kooperationen zustimmen müssen, ähnlich wie bei den anderen Ausnahmen, sagte Stoff-Ahnis. Zudem sah sie es kritisch, dass die Bundesländer relativ frei definieren können, was eine Fachklinik sei. Dies führe zur Fragmentierung der Qualität und Qualitätsstandards, befürchtete Stoff-Ahnis.
Zudem bestünde damit die Gefahr, dass es mit dieser Regelung künftig deutlich mehr Fachkliniken geben werde, weil sie die Qualitätsvorgaben nicht erfüllen müssen. Sie setzte sich für eine bundeseinheitliche Definition ein. Entsprechende Leitplanken müsste am besten der G-BA formulieren.
Auch der Sozialverband VdK drängt auf die Zurücknahme der geplanten Streichung der Erreichbarkeitsvorgaben von Kliniken. Nicht alle Menschen wären in der Lage mit dem eigenen PKW eine Klinik zu erreichen und insbesondere in ländlichen Regionen sei der Öffentliche Nahverkehr häufig nicht gut ausgebaut, lautete die Begründung. Verdi setzte sich zudem für die Wiederaufnahme der Pflegepersonaluntergrenzen als Qualitätskriterium in den Leistungsgruppen ein.
Als weiteres Qualitätskriterium in den Leistungsgruppen wird die ärztliche Rufbereitschaft genannt. Hier müsse nachgebessert werden, erklärte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt. Denn ein Arzt könne nicht an zwei verschiedenen Standorten Rufbereitschaft leisten.
An einem Standort könnten Ärzte hingegen aber auch die Rufbereitschaft von mehreren Leistungsgruppen in einem entsprechenden Fachbereich übernehmen. Das Gesetz sollte sich deshalb bei dieser Frage auf diese beiden Kriterien konzentrieren (Standort und Fachgebiet). Das reine Aufzählen von mehreren Leistungsgruppen sei hingegen für die Rufbereitschaft nicht sinnvoll, sagte Reinhardt.
Um die ärztliche Weiterbildung sorgte sich vor allem der Marburger Bund (MB). Susanne Johna, erste Vorsitzende, forderte die Berücksichtigung der Arbeitnehmerüberlassung, um Weiterbildungsverbünde und Rotationen besser gangbar zu machen.
Weitgehend wurde es zudem gestern begrüßt, dass der Anteil des Bundes beim Transformationsfonds nun durch Bundesmittel bezahlt werden soll. Allerdings forderte Stoff-Ahnis vom GKV-Spitzenverband, dass künftig Entscheidungen über Förderungen im Sinne des Transformationsfonds zwingend im Einvernehmen mit der GKV getroffen werden müssten. Denn wer entsprechende Folgekosten trage, müsse auch über diese Entscheidung mitbestimmen können, sagte sie.
Weitere Nachbesserungen werden zudem bei den Hybrid-DRG benötigt, erklärten die Sachverständigen. Gaß von der DKG möchte etwa mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) über die Vergütung sprechen. Perspektivisch soll diese sinken, die Fälle aber weiter steigen. Ziel müsse sein, dass künftig auch komplexere ambulante Fälle am Krankenhaus behandelt werden könnten, sagte Gaß. Dafür brauche es eine auskömmliche Finanzierung.
Der Intensivmediziner Karagiannidis sieht den derzeitigen Leistungskatalog der Hybrid-DRG kritisch. Bei einigen darin gelisteten Fällen könnte es zu schweren Komplikationen kommen. Entsprechend müsse man den Katalog nochmal sehr deutlich überdenken, betonte er.
Die BÄK sprach sich für die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in die Hybrid-DRG-Fälle ein. Nach ambulanten Behandlungen seien Kinder am besten im häuslichen Umfeld aufgehoben, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. Ab 2026 müssten Kinder entsprechend ebenfalls ambulant werden können, forderte er. Dies ist derzeit nicht vorgesehen. Auch Menschen mit Behinderungen sind von den Hybrid-DRG derzeit ausgenommen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: