Politik

Krankenhausreform würde Versorgung in Nordrhein-Westfalen massiv verändern

  • Dienstag, 14. Februar 2023
/picture alliance, Bodo Schackow
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Düsseldorf – Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) hat sich dafür ausgesprochen, medi­zi­nische Leistungsgruppen bei der zukünftigen Krankenhausplanung nicht an Versorgungslevel zu koppeln. Dies hatte die Regierungskommission vorgeschlagen, die im Auftrag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ihre Pläne für eine grundlegende Krankenhausreform vorgelegt hatte.

Demnach sollen die Krankenhäuser in Versorgungslevel eingruppiert werden, denen bestimmte Mindeststruk­turvorgaben zugeordnet sind. Können die Krankenhäuser diese Vorgaben nicht erfüllen, dürften sie die Leis­tungen in den jeweiligen Fachgebieten nicht mehr erbringen.

Die KGNW hat heute in einer Analyse aufgezeigt, welche Auswirkungen eine 1:1-Umsetzung der Vorschläge der Kommission auf die stationäre Versorgung in Nordrhein-Westfalen (NRW) haben würde. Demnach würden von den 358 Krankenhausstandorten in NRW nur noch 83 übrig bleiben.

Das Szenario könnte dann in Kraft treten, wenn alle Krankenhäuser der Grundversorgung, die 30 Fahr­minuten oder weniger von einem größeren Krankenhaus der Schwerpunkt- oder Maximalversorgung entfernt liegen, von der Versorgung ausgeschlossen würden, wie es die Krankenhauskommission der Regierung angedacht hat.

Die Auswertung fußt auf einer Analyse des Forschungsinstituts Institute for Health Care Business (hcb) in Ko­operation mit Vebeto, die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in Auftrag gegeben wurde. Be­reits gestern hatte die DKG die Ergebnisse für die Bundesebene vorgestellt.

Nur noch wenige Häuser der Schwerpunkt- und Maximalversorgung

Die Regierungskommission hatte vorgeschlagen, alle Krankenhäuser in vier verschiedene Level zu gruppieren: Level-3-Krankenhäuser der Maximalversorgung, Level-2-Krankenhäuser der Schwerpunktversorgung sowie Level-1n-Krankenhäuser der Grundversorgung, die über eine Notaufnahme verfügen. Grundversorger ohne Notaufnahme sollen, so der Vorschlag, als Level-1i-Krankenhäuser künftig nur noch ambulante Leistungen erbringen.

Der Analyse zufolge würden in NRW 22 Krankenhausstandorte dem Level 3 zugeordnet, 14 dem Level 2, 63 dem Level 1i und 233 dem Level 1n. Von diesen 233 liegen allerdings nur 47 mehr als 30 Fahrminuten von einem größeren Krankenhaus entfernt und könnten somit Teil der Versorgung bleiben.

Heruntergebrochen auf die Fachrichtung der Neurologie würde das bedeuten, dass von den heute bestehen­den 74 Krankenhäuser, die über eine Neurologie verfügen, 33 Standorte in den Level 2 oder 3 eingruppiert werden würden und weiterhin an der Versorgung teilnehmen könnten. In der Folge müssten 52 Prozent der Patientinnen und Patienten rechnerisch in ein anderes Krankenhaus umgeleitet werden.

KGNW ist zuversichtlich

Der Präsident der KGNW, Ingo Morell, betonte angesichts dieser Zahlen, dass sich die Versorgung der Patien­ten deutlich verschlechtern würde, wenn die Vorschläge der Regierungskommission 1:1 umgesetzt werden würden.

Er wies aber darauf hin, dass sich Bund und Länder bis zum Sommer auf eine gemeinsame Position zur Kran­kenhausreform verständigen wollen. „Ich gehe davon aus, dass sich Bund und Länder dabei darauf einigen werden, die Vorschläge der Regierungskommission anzupassen“, so Morell. Es könne schließlich niemand wollen, Patientenströme in einem so großen Ausmaß umzuleiten.

Aus Sicht der KGNW ist das Hauptproblem bei den Vorschlägen der Kommission die starre Kopplung der vor­gesehenen Leistungsgruppen an die Versorgungslevel. Denn dann dürften zum Beispiel Krankenhäuser mit einer großen Geburtsklinik keine Geburtshilfe mehr anbieten, weil sie zum Beispiel über keine Neurologie verfügen.

„Wenn man sich von dieser starren Kopplung lösen würde, lägen unsere Vorstellungen gar nicht so weit ent­fernt von denen der Regierungskommission“, sagte Morell. „Denn die Einführung von Vorhaltekosten und eine Planung über Leistungsgruppen wollen wir auch.“

Nordrhein-Westfalen arbeitet seit einigen Jahren an einer Umgestaltung der Krankenhausplanung, bei der nicht mehr nach Krankenhausbetten, sondern nach medizinischen Leistungsgruppen geplant wird. An diese Leistungsgruppen sind Mindeststrukturvorgaben gekoppelt. „Auch unsere Leistungsgruppen werden zu einer Konzentration der Versorgung im Bereich der High-End-Medizin führen“, betonte er. „Das ist ja auch gewollt.“

NRW ist mitten in der Umstrukturierung der Krankenhausplanung

Er erklärte, dass sich NRW derzeit mitten in dem neuen Planungsprozess befinde. Die Krankenhäuser hätten jetzt die Unterlagen eingereicht, in denen sie erklären, welche Leistungen sie künftig erbringen wollen. Die Krankenkassen bereiteten zurzeit ihre Stellungnahmen dazu vor. Dann werde die Diskussion in den Regionen beginnen. „Im Laufe des Jahres wird es dann zu ersten Entscheidungen kommen“, sagte Morell.

Der KGNW-Präsident lobte den in NRW eingeschlagenen Weg, weil dieser nicht über einen Algorithmus vor­gebe, welche Krankenhäuser noch welche Leistungen erbringen dürften, sondern dies in einem gemein­samen Diskussionsprozess entschieden werde.

„Wir werden auch in NRW Verlagerungen der Versorgung und Standortschließungen erleben“, betonte er. „Davor drücken wir uns auch nicht. Wir benötigen aber eine Flexibilität in der Krankenhausplanung, um auf die Bedürfnisse in den Regionen eingehen zu können. Und das wäre bei einer Umsetzung der Vorschläge der Regierungskommission nicht gegeben.“

Zugleich betonte Morell, dass Standortschließungen nicht dazu beitragen würden, den Fachkräftemangel zu beheben. Denn er glaube nicht, dass sich Mitarbeitende aus geschlossenen Standorten direkt in Kranken­häusern der Umgebung bewerben würden, mit denen die dort bestehenden offenen Stellen besetzt werden könnten.

„In NRW haben zuletzt mehrere Geburtskliniken geschlossen“, sagte er. Die Hebammen, die dort gearbeitet haben, hätten sich dann aber nicht in den umliegenden Krankenhäusern beworben. „Manche Mitarbeitende sagen auch: Ich möchte nicht in einem großen Haus oder in der Stadt arbeiten“, so Morell.

Laumann: Länder brauchen „Beinfreiheit“

Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) wiederholte heute seine Forderung, dass die Krankenhausplanung Sache der Bundesländer bleiben müsse. „Eine Reißbrettkranken­hausplanung, die mit der Brechstange an gewachsene Strukturen geht, wird weder bei den Ländern noch bei den Bürgerinnen und Bürgern Zustimmung finden“, sagte er der Rheinischen Post.

„Die Länder brauchen bei der Krankenhausplanung Beinfreiheit – die Pläne der Expertenkommission schließ­en solche Handlungsspielräume nahezu aus. Die Krankenhausplanung muss deshalb in den Ländern durch diejenigen gemacht werden, die politisch verantwortlich sind: die demokratisch gewählten Regierungen.“

Kritisch zu den Reformvorschlägen äußerten sich zudem die kirchlichen Krankenhausträger in NRW. Das Kon­zept würde deutlich weitere Fahrwege für die ländliche Bevölkerung bedeuten, erklärten Vertreter von Caritas und Diakonie in Nordrhein-Westfalen. Auch würden dann weniger Ausbildungsplätze in Gesundheit und Pflege angeboten.

Kirchliche Häuser kämen in die Grundversorgung

Mehr als 90 Prozent der rund 200 konfessionellen Krankenhäuser in NRW würden laut Caritas und Diakonie in der untersten Stufe der Grundversorgung landen. „Diese Kliniken dürften dann zukünftig nur noch eine Basis­behandlung und vielleicht eine Notfallversorgung erbringen – aber keine Geburten, keine Schlaganfall­versor­gung, keine Versorgung von Herzinfarktpatienten und keine Unfallchirurgie“, erklärte Christian Heine-Göttel­mann, Vorstand des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe.

Esther van Bebber, Vorstandsvorsitzende des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn, erklärte, die Reform dürfe die Vielfalt aus kommunalen, kirchlichen und privaten Krankenhausträgern nicht gefährden: „Dabei sichern die konfessionellen Krankenhäuser seit Jahrzehnten die flächendeckende Gesundheitsversorgung in NRW.“

Caritas und Diakonie betonten, dass auch die Pflegeausbildung dann an den freigemeinnützigen Häusern kaum noch stattfinden werde. Die Reduzierung von Ausbildungsangeboten habe Auswirkungen auf die ambu­lante und stationäre Altenpflege und konterkariere die erst vor wenigen Jahren eingeführte generalistische Pflegeausbildung.

Viele konfessionelle Krankenhäuser hätten sich in der Vergangenheit zu Verbünden zusammengeschlossen, um die Bevölkerung in der Fläche bedarfsgerecht zu versorgen. Solche Verbundstrukturen dürften nicht zer­schlagen werden, warnte Heine-Göttelmann. „Wenn bundesweit mehr als 600 Klinikstandorte schließen, reduziert die Reform die Trägervielfalt, verknappt die Ausbildungsmöglichkeiten, lenkt Patientenströme massiv um und zwingt Pflegepersonal, längere Strecken zu pendeln.“

fos/kna

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