Politik

Krankenhausreform würde Versorgung stark verändern

  • Montag, 13. Februar 2023
/picture alliance, Sascha Steinach
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Berlin – Eine 1:1-Umsetzung der Vorschläge der Regierungskommission für eine Krankenhausreform hätte eine enorme Umgestaltung der Krankenhauslandschaft zur Folge. Das ergab eine Analyse des Forschungs­ins­ti­tuts Institute for Health Care Business (hcb) in Kooperation mit Vebeto, die die Deutsche Kranken­hausgesell­schaft (DKG) in Auftrag gegeben hat.

Die Kommission hatte vorgeschlagen, alle Krankenhäuser in Deutschland einem Versorgungslevel zuzuord­nen: vom Level 1i für Grundversorger, in denen ambulante Leistungen erbracht werden, bis zum Level 3 für Maximalversorger.

Jedem Level sollen dabei Mindeststrukturvorgaben zugeordnet werden. Nur, wenn ein Krankenhaus die Struk­turvorgaben der jeweiligen Level erfüllt, darf es die entsprechenden Leistungen erbringen. Da noch keine Strukturvorgaben definiert wurden, fußt die Analyse unter anderem auf den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Notfallstufen.

Von den 1.697 Krankenhausstandorten, die es in Deutschland gibt, würden der Auswertung zufolge 150 dem Level 3 der Maximalversorgung zugeordnet werden. 82 Standorte würden dem Level 2 der Schwerpunktver­sorgung zugeordnet, 834 dem Level 1n der Grundversorgung mit Notaufnahme und 416 dem Level 1i der Grundversorgung mit ambulanten Leistungen. 215 Standorte würden keinem dieser Versorgungslevel zuge­ordnet werden.

Auswirkungen auf die Patientenströme

„Diese Einteilung der Standorte in Versorgungslevel würde zu großen Verschiebungen im Leistungsangebot der Krankenhäuser in Deutschland führen“, erklärte hcb-Geschäftsführer Boris Augurzky, der auch Mitglied der Re­gierungskommission ist.

„Das Fach Neurologie, zum Beispiel, gibt es heute an 317 Standorten. Nach der neuen Einteilung würden noch 187 übrigbleiben. 39 Prozent der Fälle müssten dann verlagert werden.“ Bei der interventionellen Kardiologie würde die Zahl der Abteilungen von 603 auf 223 sinken. 47 Prozent der Fälle müssten verlagert werden.

Und bei der Geburtshilfe würde die Zahl der Abteilung von 593 auf 227 sinken. 52 Prozent der Fälle müssten verlagert werden. Augurzky betonte dabei, dass es innerhalb der deutschen Krankenhauslandschaft eine gro­ße Heterogenität gebe. Insofern variiere das Ergebnis der Analyse je nach Region stark.

Die Vorschläge der Regierungskommission bilden die Grundlage für die Diskussion um die Ausgestaltung der Krankenhausreform. Bund und Länder haben sich darauf verständigt, bis zur Sommerpause einen Gesetzent­wurf vorlegen zu wollen.

Die Bundesländer, die für die Krankenhausplanung und damit für die Umsetzung eines Teils der Vorschläge zuständig sind, haben bereits angekündigt, diese nicht 1:1 übernehmen zu wollen. Insofern ist schon heute klar, dass es sich bei der vorliegenden Analyse nur um ein Zwischenergebnis handle, wie Augurzky erklärte, das so nicht eintreten wird.

Schwerpunktbildung befördern

Augurzky betonte, dass mit der anstehenden Reform die Schwerpunktbildung im stationären Bereich beför­dert werden solle. Künftig sollen die Krankenhäuser nicht nur in Level, sondern auch in unterschiedliche Leistungsgruppen eingeteilt werden, die ebenfalls Strukturvorgaben erhalten.

Die Krankenhäuser könnten zum Beispiel Schwerpunkte bilden, indem sich untereinander Leistungsgruppen tauschen, meinte Augurzky. Krankenhausträger könnten auch aus zwei oder drei Standorten ein großes Kran­kenhaus machen, um die Strukturvorgaben zu erreichen. Wünschenswert sei zudem eine Ansiedlung von Fachkliniken an einem Maximalversorger.

„Denkbar ist auch eine trägerübergreifende Kooperation, um ein höheres Level zu erreichen, das die Träger einzeln nicht erreichen können“, so der Gesundheitsökonom. Eine Kooperation sei dabei auch durch eine telemedizinische Anbindung denkbar.

In jedem Fall „sollte es in jeder Versorgungsregion mindestens eine Leistungsgruppe geben, um keine unver­sorgten Flächen entstehen zu lassen“. In Ballungsgebieten sollte es mindestens zwei Standorte einer Leis­tungsgruppe geben.

DKG: „Sehr tiefer Eingriff in die Krankenhauslandschaft“

„Die Auswirkungsanalyse von hcb und Vebeto hat gezeigt, dass der Vorschlag der Regierungskommission in seiner bisherigen Fassung zu einem sehr tiefen Eingriff in die Krankenhauslandschaft führen würde“, kom­mentierte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß.

„Sehr viele Kliniken würden ihren bisherigen Auftrag zur Patientenversorgung ganz verlieren oder müssten sehr weitgehend umgestaltet werden. Derart massive Veränderungen würden zu erheblichen Verwerfungen führen und sind sicher nicht erforderlich, um die Krankenhausversorgung zukunftsfest zu machen.“

Aus Sicht der DKG müssen deshalb weitgehende Anpassungen vorgenommen und Länderöffnungsklauseln eingebaut werden, um die durchaus richtigen Grundgedanken umsetzbar weiter zu entwickeln.

Gaß betonte dabei, dass es große Krankenhausreform richtig sei: „Die Auswirkungen des demografischen Wandels erfordern mutige, zukunftsorientierte Schritte zur Umgestaltung unseres Gesundheitswesens, nicht nur der Krankenhausversorgung.“

Es sei unstrittig, dass es nicht möglich sein werde, in den heutigen Versorgungsstrukturen die notwendigen Gesundheitsleistungen von morgen zu erbringen. „Wir werden die vorhandenen Strukturen im ambulanten und stationären Bereich nicht unverändert lassen und sie mit einer ausreichenden Zahl an Fachkräften ausstatten können“, sagte Gaß.

Finanzielle Unterstützung für den Umbau

Die DKG legte heute ein Positionspapier vor, in dem sie ihre Vorschläge für eine Krankenhausreform darlegte. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft befürworte eine gemeinsame Krankenhausplanung, bei der die Häuser nach gleichen Kriterien beplant werden, erklärte Gaß.

Zudem sei es der richtige Weg, Leistungsgruppen zu definieren, die den Krankenhäusern zugeordnet werden. „Allerdings brauchen wir keine 128 Leistungsgruppen, wie sie die Regierungskommission vorschlägt“, sagte der DKG-Vorsitzende. 60 Leistungsgruppen seien ausreichend – so viele, wie in Nordrhein-Westfalen vorgesehen seien.

„Wir plädieren dafür, Rahmenbedingungen zu erhalten, um Fusionen zu ermöglichen, die zu weniger Kranken­hausstandorten, aber dafür zu schlagkräftigeren Einheiten führen“, sagte Gaß. Der Umbau der Krankenhaus­landschaft müsse aber von Bund und Ländern finanziell unterstützt werden.

„Es gibt eine sehr große Veränderungsbereitschaft bei den Verantwortlichen der Krankenhäuser, die aber nur dann in konkretes Handeln münden kann, wenn auch klar ist, welche Zukunftsperspektiven von der Politik angeboten werden“, so Gaß.

In vielen Regionen hätten längst leistungsfähige Krankenhausstandorte mit attraktiven Beschäftigungs­bedin­gun­gen durch Fusionen entstehen können, wenn die dafür notwendigen Investitionsmittel zur Verfügung stünden. Auch die Umwandlung kleinerer Standorte in medizinisch-pflegerische Versorgungs­zentren sei bis heute daran gescheitert, dass es weder einen Rechtsrahmen noch eine Finanzierungs­grundlage dafür gebe.

Möglichst wenige Mitarbeitende verlieren

„Der Umbau der Krankenhauslandschaft, der im Ergebnis in vielen Regionen auch einen Abbau vollsta­tionärer Versorgungsstrukturen und eine Reduzierung der Anzahl der Krankenhausstandorte bedeuten wird, muss so gestaltet werden, dass er bei den Bürgerinnen und Bürgern keine Ängste hervorruft, sondern in einem kons­truk­tiven Miteinander von Politik, Krankenhausträgern und Krankenkassen die Chancen der Veränderung aufzeigt“, forderte Gaß.

Zudem müsse so vorgegangen werden, dass die Krankenhäuser im Rahmen der Umgestaltung der Kranken­hauslandschaft möglichst wenige Mitarbeitende verlören – gerade im Bereich der Pflege. Denn bei Pflegen­den sei die Bereitschaft deutlich geringer, über weite Strecken zu pendeln, als bei Ärzten.

Die Reaktionen auf das Gutachten kamen heute aus der Politik, von Ärzten, Krankenhausverbänden und auch Krankenkassen.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek forderte von der Bundesregierung Konsequenzen.„Das DKG-Gutachten übertrifft meine Befürchtungen noch“, sagte er heute. Die Bundesregierung dürfe dieses Alarm­sig­nal nicht ignorieren, sondern müsse jetzt rasch die Länder und Klinikvertreter zu einem Krankenhausgipfel einladen.

„Wir wissen alle, dass wir eine Krankenhausstrukturreform brauchen“, sagte die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein, Kerstin von der Decken (CDU), heute. Sie dürfe aber nicht dazu führen, dass bestehende gute Strukturen zerschlagen würden. Die Reform müsse den Bundesländern Gestaltungsmöglichkeiten offen lassen.

Schleswig-Holstein mit Inseln und Halligen sei nicht mit anderen Bundesländern zu vergleichen. Eine Folge der Reform wäre nach von der Deckens Angaben, dass es zum Beispiel weniger Krankenhäuser mit Geburts­hilfe­abteilungen in Schleswig-Holstein geben würde.

Aus Sicht des Katholischen Krankenhausverbands Deutschlands (kkvd) macht die Analyse der DKG deutlich, dass ins­besondere das Konzept von bundeseinheitlichen Versorgungsleveln realitätsfremd ist und die Pläne dramatische Aus­wirkungen auf die Versorgung der Patienten hätten. Der Verband fordert, sich bei der Reform auf die Einführung von Leistungsgruppen zu konzentrieren, die mit Mindeststrukturvorgaben die Qualität sichern.

Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEVK) befürchtet strake Unwuchten und weitreichende Verwerfungen in der bestehenden Krankenhauslandschaft. Unerwünschte Nebenwirkungen für die Patientenversorgung könnten die Folge sein. "Der Grund: die über Jahre entwickelte und von Bund, Ländern sowie Krankenhausträgern aufgebaute regionale Versorgungsstruktur läuft Gefahr ausgetrocknet und preisgegeben zu werden“, konstatiert der DEKV-Vorsitzende Christoph Radbruch. Er fordert einen transparenten und sozialverträglichen Transformationsprozess für alle Beteiligten.

Die Reform der Krankenhausversorgung werde nur gelingen, wenn sie von realistischen Annahmen ausgehe und die Folgen von Strukturveränderungen klar im Blick behalte, sagte Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes (MB). Die DKG-Analyse zeige, dass bei allen weiteren Überlegungen die Versorgungssicher­heit im Vordergrund stehen müsse.

Die sinnvolle Einführung von Vorhaltepauschalen muss nach Ansicht des MB unabhängig von der Anzahl der behandelten Patienten sein, um nicht erneute Mengenanreize zu setzen. Auch die Möglichkeit, durch Teleme­di­zin Spezialkenntnisse in die Fläche zu bringen, müsse bei allen Überlegungen zur Krankenhausreform berücksichtigt werden.

Der GKV-Spitzenverband betonte heute, dass es dringend einer gemeinsamen Auswirkungsanalyse mit Blick auf die zu beschließenden Reformeckpunkte und den anstehenden Transformationsprozess bedürfe. „Wir er­warten von allen Akteuren die Bereitschaft zur Veränderung“, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. Dass der Status quo – nachweisbare Qualitätsunterschiede bei steigenden Kosten – keine Option sei, sollte allen klar sein.

Aus Sicht der Kassen birgt die geplante Krankenhausreform die Chance, bundesweit die Versorgungsqualität auf gleiche Standards zu heben und die Leistungserbringung neu zu strukturieren. Ein bedarfsorientiertes und qualitätsgesichertes Versorgungsangebot für sämtliche Versicherte sei möglich, hieß es. Die Vorschläge der Regierungskommission gingen in diese Richtung. Umgesetzt könnten so die Krankenhausversorgung und –vergütung stabilisiert und sektorenübergreifend organisiert werden.

„Die heute von der Deutschen Krankenhausgesellschaft vorgestellte Analyse zeigt, dass sich die Patienten­strö­me durch die medizinisch sinnvolle Konzentration von Leistungen ändern werden“, sagte die Vorstands­vorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann. Von einem Kahlschlag der Krankenhauslandschaft durch die Reform könne aber „keine Rede sein“.

Der AOK-Bundesverband empfiehlt einen Blick nach Nordrhein-Westfalen: Die dort bereits festgelegten Leis­tungsgruppen könnten eine gute Ausgangsbasis für eine bundesweite Neuordnung der Krankenhausstruk­turen sein, hieß es. Die Versorgungsstufen sollten dagegen „nicht überbetont werden“.

Reimann bezeichnete den Versuch der DKG als „inakzeptabel“, die Qualitätssicherung im Krankenhaus auszu­hebeln. Angesichts der Qualitätsdefizite in einem Teil der Kliniken weise dieser Vorschlag „in die völlig falsche Richtung“.

Es ist gut, dass jetzt eine Diskussion beginnt um Fragen der Ausgestaltung wie etwa die Definition der Kran­ken­hausebenen (Level), die Zahl der Leistungsgruppen und den Anteil der Vorhaltekosten an der Vergütung, sagten heute Maria Klein-Schmeink, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende, und Armin Grau, Mitglied im Ge­sundheitsausschuss des Bundestags.

Einigkeit besteht darin, dass Krankenhäuser nicht einfach geschlossen werden sollten, sondern durch Um­strukturierungen, Aufwertungen oder Zusammenschlüsse neue Strukturen entstehen müssten. Eine kons­truktive Mitwirkung aller Seiten erhöhe die Chance, dass die Reform zu einem Erfolg werde, ein Scheitern könne man sich aber nicht leisten.

fos/may

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