Krankenkassen bewerten Koalitionsvertrag zurückhaltend

Berlin – Im Koalitionsvertrag der Ampel sehen die Krankenkassen durchaus gute Ansätze, aber auch Weiterentwicklungsbedarfe und offene Umsetzungsfragen. Skeptisch wird vor allem bewertet, ob die vorgesehenen Maßnahmen zur Sicherung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausreichen.
„Die vorgeschlagene Reformagenda geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Es werden fast alle wichtigen Baustellen im Gesundheits- und Pflegebereich benannt“, so die erste Einschätzung des Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes Martin Litsch.
Dazu würden insbesondere die vorgesehenen Maßnahmen zur finanziellen Stabilisierung des Gesundheitswesens, zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, zur Reform der Krankenhaus- und Notfallstrukturen und zum Einstieg in eine sektorenunabhängige Versorgung gehören.
„Es ist gut, dass die Ampel die Finanzierungsprobleme der Sozialversicherungen auf dem Schirm hat und Verantwortung übernehmen will“, betonte Litsch.
Geplante Maßnahmen wie etwa die geplanten höheren Beiträge aus Steuermitteln für ALG II-Beziehende oder die regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses zur GKV seien zu begrüßen. Weitere denkbare Entlastungen, beispielsweise durch die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel oder die Anhebung des Herstellerrabatts, seien aber leider wieder gestrichen worden.
Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK), kritisierte, es würden „konkrete und unmittelbar wirksame Maßnahmen zur Ausgabenkontrolle“ fehlen. Hinzu komme, dass die Ampelkoalition Maßnahmen im Vertrag vorschlägt, die für die GKV teuer werden könnten. Im Zusammenspiel würden die benannten Schritte eher nicht ausreichen, um der drastischen Ausgabenentwicklung entgegenzuwirken, so seine Einschätzung.
Dass immer wieder Steuermittel für die Gegenfinanzierung eingeplant sind, berge finanzielle Risiken und bringe mehr Abhängigkeit vom Staat ins selbstverwaltete Gesundheitssystem, warnte Baas.
Ein nachhaltiges Finanzierungskonzept für GKV und Soziale Pflegeversicherung (SPV) forderte Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek). Die „vage Beschreibung von Maßnahmen“ werde nicht ausreichen, um das Gesundheitswesen durch die nächsten vier Jahre zu steuern.
„Ob die Finanzmittel für alle geplanten Vorhaben reichen, wird sich zeigen“, so Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes. Allerdings seien die avisierten Maßnahmen für eine Sicherung der GKV-Finanzen ein gutes Signal, da offensichtlich politisch der Handlungsbedarf spätestens für die Zeit ab 2023 erkannt worden sei.
Der Koalitionsvertrag lasse zudem hoffen, dass die großen Baustellen angegangen werden, sagte Knieps. Dies betreffe unter anderem sektorenübergreifende und spezifische Strukturverbesserungen, die Pflege sowie die Digitalisierung in allen Bereichen.
Die im Vertrag erkennbare Absicht, die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben, begrüßte auch Baas. Ein konsequenter Schritt sei insbesondere das Bekenntnis zur elektronischen Patientenakte (ePA) für alle GKV-Versicherten per Widerspruchslösung (opt-out). Erfreulich sei auch, dass die Koalition ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz plant und damit die wichtige Diskussion um die Nutzung von Gesundheitsdaten auf die Agenda komme.
„Unerfreulich viel Raum für Spekulationen“ lasse jedoch die Aussage der Ampelparteien, die gematik zu einer digitalen Gesundheitsagentur umbauen zu wollen, so Baas kritisch. Die neue Regierung sollte aus seiner Sicht zunächst vor allem dafür sorgen, dass die gematik ihrer Kernaufgabe nachkommt. Anstatt mit digitalen Produkten in den Wettbewerb mit anderen Anbietern zu treten, solle sie Krankenkassen und Leistungserbringern als Dienstleister bei der Entwicklung und dem Betrieb der Infrastruktur zur Seite stehen.
Auch bei der Thematik Krankenhauslandschaft bleibe die genaue Ausgestaltung abzuwarten. „Dass das Thema Qualitätsanreize beim Vergütungsmodell komplett fehlt, macht aus meiner Sicht deutlich, dass im Koalitionsvertrag hierzu nur erste Ansätze angerissen sein können und die angekündigte Regierungskommission, die Empfehlungen zur Krankenhausplanung und -finanzierung erarbeiten soll, hier noch ordentlich Hausaufgaben hat“, kommentierte Baas die entsprechenden Inhalte des Koalitionsvertrages.
Ähnlich bewertete AOK-Chef Litsch die Planungen für eine Krankenhausstrukturreform. Leider sei die zunächst angedachte Übernahme von Finanzierungsverantwortung durch den Bund bei den Investitionskosten im Krankenhaus wieder herausgefallen. Zudem sei der Blick dabei noch auf die Themen Erreichbarkeit und Demographie begrenzt. Im Interesse der Patientinnen und Patienten müssten aber zugleich Qualitätsanforderungen berücksichtigt werden.
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