Politik

Krisen: Vorbereitet sein für den Ernstfall

  • Donnerstag, 27. November 2025
/Toowongsa, stock.adobe.com
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Berlin – Um auf künftige Krisen besser vorbereitet zu sein, sei noch viel zu tun. Es fehle etwa an klaren Rahmenbedingungen, Ablaufplänen und Finanzierung, hieß es gestern auf dem Tag der Hochschulmedizin.

Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen müssten sich alle Bereiche des öffentlichen Lebens nun entsprechend vorbereiten, betonte Claudia Major, leitende Vizepräsidentin für transatlantische Sicherheitsinitiativen der US-amerikanischen Stiftung German Marshall Fund of the United States (GMF).

Auf die Bestrebungen insbesondere von Russland und China, die Regeln der globalen Ordnung mit militärischer Gewalt, also Krieg, ändern zu wollen, müsse man sich so vorbereiten, um entsprechende Abschreckungswirkungen zu erzielen und im Notfall auch verteidigungsfähig zu sein, sagte Major. Darüber hinaus sei die Vorbereitung auch auf den Klimawandel oder Pandemien zentral.

Deutschland habe bis 2029 Zeit, erklärte sie. Denn für diesen Zeitpunkt müsse davon ausgegangen werden, dass Russland entsprechend aufgerüstet habe. „Das heißt nicht, dass Russland angreifen wird, aber es könnte in der Lage dazu sein.“ Mit entsprechender Vorbereitung signalisiere man aber Russland, dass es sich nicht lohne, anzugreifen und dass die Kosten größer wären als ein möglicher militärischer Gewinn, so Major.

Um sich auf die aktuellen Herausforderungen besser vorbereiten zu können, brauche es darüber hinaus kein binäres Krieg- oder Frieden-Denken, das heute in den deutschen Gesetzen angelegt sei, bemängelte Major. Die Notfallgesetze etwa im Zivilschutz seien alle auf diese zwei Boxen ausgelegt. Derzeit befinde sich Deutschland aber in einer Art Graubereich, da Drohnen über Flughäfen fliegen, Unterseekabel zerstört oder Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur erfolgen würden. „Das ist alles kein Krieg, aber es sind Versuche, das Vertrauen in den Staat zu zerstören“, sagte Major. Entsprechend müssten die Verwundbarkeiten erkannt und resilienter gestaltet werden, forderte sie.

Ausbildung im Hinblick auf Katastrophenmedizin erweitern

Im Hinblick auf die Vorbereitung im Gesundheitssystem, könne man Estland als Beispiel nehmen, sagte Major. Dort gibt es ein neues Zentrum für Kriegs- und Katastrophenmedizin in Tartu. Medizinisches Personal und Medizinstudierende würden entsprechend geschult und arbeiteten eng mit den estnischen Streitkräften zusammen. Zudem sei die Facharztausbildung Militärmedizin gerade aktualisiert worden, beschrieb Major.

Aus diesem Boxendenken, das klar zwischen Krieg und Frieden unterscheidet, komme man aber kaum weg, betonte Michaela Ramirez Schulschenk, Leiterin Referat Gesundheitssicherheit, Krisenmanagement national und europäisch im Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Einen weiteren Zustand „Konflikt“ hinzuzufügen, sei aus Verfassungsgründen schwierig. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht agieren können“, betonte Schulschenk.

Derzeit drehe man im BMG innerhalb dieser Box jeden Stein um. Wichtig sei, Verbesserungsbedarfe zu klären und neue Maßnahmen daraus abzuleiten und zu prüfen, ob daraus Regelungen benötigt werden. Ein Gesetz sei aber nicht unbedingt immer ein „Allheilmittel“. Dennoch arbeite das BMG mit Bund-Länder-Arbeitsgruppen derzeit an einem Gesundheitssicherstellungsgesetz, das diese Fragen adressieren soll.

Man müsse an diesem Gesetz jetzt arbeiten, forderte auch Generalstabsarzt Johannes Backus, Kommandeur des Kommandos Gesundheitsversorgung der Bundeswehr. Krisen würden zudem nur durch Netzwerke gelöst. Entsprechend arbeite die Bundeswehr mit Klinikverbünden auf der Bundes- oder Landesebene derzeit an einem solchen Netzwerkverbund. Dabei gehe es vor allem um die Frage, wie man die Grund- und Regelversorgung sicherstellen könne und die Kliniken parallel fit für die Krisenvorsorge bekomme.

Zudem werden auch Ausbildungsverbünde angestrebt, die Gesundheitsberufe auf andere Erkrankungs- und Wundbilder vorbereiten soll, die im Kriegsfall eintreten könnten, erläuterte Backus.

Für die Kliniken sei es wichtig, zunächst einen klaren Ablauf und Rechtssicherheit für den Krisenfall zu bekommen, sagte Reinhard Nieper, Vorsitzender der Geschäftsführung, BG Kliniken – Klinikverbund. Einerseits werde eine klare Zuordnung von Ressourcen oder Rollenverteilung benötigt, um zu wissen, wer wofür zuständig sei. Resilienz müsse auf der anderen Seite aber auch finanziert werden. Dafür braucht es Investitionen, so Nieper. Angesichts der Größe des benötigten Katalogs an Aufgaben bezweifelte Nieper allerdings, dass dies bis 2029 umgesetzt werden könne.

Jürgen Graf, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am Universitätsklinikum Frankfurt, stimmte ihm zu und erklärte an erster Stelle stehe die Aufgabe, zu prüfen, wer welche Aufgaben oder Verantwortlichkeiten im Krisenfall übernehme. Dies sei deutlich wichtiger als die Ressourcenfrage.

Ein weiteres Problem: Kliniken sind weitläufige und öffentlich zugängliche Gebäude, erklärte Graf weiter. „Backus hat uns empfohlen, dass wir einen vier Meter hohen NATO-Zaun mit zwei geschützten Zugängen um die Klinik bauen“, sagte Graf. Dies sei aber nur schwer umzusetzen.

Herausforderungen hätten die Kliniken auch hinsichtlich beispielsweise der Versorgung von Wasser und Strom. Kliniken würden im Krisenfall etwa nicht prioritär von kommunalen Versorgern behandelt, bemängelte Graf.

Hinsichtlich der geforderten Finanzierung, bremste Schulschenk vom BMG hingegen. Man müsse zwar für eine solide Finanzierung sorgen, allerdings könne das Gesundheitssystem nicht darauf warten, bis diese stehe. „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel“, sagte sie angesichts der knappen Haushaltslage des Bundes. „Wir müssen alle trotzdem jetzt loslaufen“, so Schulschenk.

cmk

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