Politik

Kritik an Spahns Plänen für Intensivpflege reißt nicht ab

  • Mittwoch, 11. September 2019
/Satjawat, stock.adobe.com
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Berlin – Die Kritik an der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplanten Neuregelung zur Intensivpflege hält an. Weitere Verbände äußerten heute anlässlich einer Anhörung im Ministerium genauso wie die Grünen ihre Ablehnung, Zustimmung kam dagegen vom Verband der Ersatzkassen.

Ein Referentenentwurf sieht vor, dass erwachsene Beatmungspatienten künftig nicht mehr zu Hause, sondern stationär in Heimen oder speziellen Wohngemein­schaften be­treut werden. Unter 18-Jährige sollen weiter in den eigenen vier Wänden versorgt werden können.

„Es darf niemand gezwungen werden, sein Zuhause zu verlassen, erst recht nicht rein aus finanziellen Gründen“, sagte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. „Pa­tienten müssen jederzeit ein Wunsch- und Wahlrecht darüber haben, wo sie leben woll­en.“ Das gebiete schon das in der Verfassung verankerte Recht auf Freizügigkeit. Die Plä­ne des Ministeriums würden in ihrer jetzigen Form „die Selbstbestimmung betroffener Menschen radikal verletzen“.

Von der Arbeiterwohlfahrt kam ähnliche Kritik. Vorstandsmitglied Brigitte Döcker sagte, der Entwurf „beschneidet die Rechte von Menschen mit Behinderungen, wirft das Be­mü­hen um Inklusion und Teilhabe weit zurück und kann in letzter Konsequenz sogar lebens­bedrohliche Auswirkungen haben“. Menschen mit einer fortschreitenden Erkrankung könnten eine nötige Beatmung hinauszögern, weil sie Angst haben, aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen zu werden. Döcker sprach von einem „Freiheitsentzug“.

Zustimmung von den Ersatzkassen

Die Vorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, Ulrike Elsner, begrüßte hingegen, dass monetäre Fehlanreize zwischen der ambulanten und stationären Versorgung in der Intensivpflege behoben werden sollen.

Beatmungspatienten hätten in der Vergangenheit oft nicht die optimale medizinische Be­handlung bekommen. Bei einem Krankheitsbild, bei dem es jederzeit zu lebensbedrohli­chen Veränderungen kommen könne, sei es richtig, Betroffene vorrangig in spezialisier­ten vollstationären Pflegeeinrichtungen zu versorgen. Ziel müsse es zudem sein, sie mög­lichst rasch von der künstlichen Beatmung zu entwöhnen.

Das Ministerium hatte die Pläne damit begründet, dass bei der ambulanten Versorgung von Beatmungspatienten von einer Fehlversorgung ausgegangen werden müsse. Zudem bestünden Fehlanreize in der Vergütung. Das verursache hohe Kosten für die Versicher­tengemeinschaft und Einbußen bei der Lebensqualität der Betroffenen.

Finanzen eigentlicher Grund

Kritik kam auch erneut aus der Politik. Das Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz stehe „im krassen Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention“, sagte Kordula Schulz-Asche, Grünen-Sprecherin für Pflegepolitik. Wo die Selbstbestimmungsrechte von Menschen beschränkt werden sollten, brauche es massiven Widerstand. Die fast 115.000 Unterschriften für eine Petition gegen das Gesetzesvorhaben sprächen eine deutliche Sprache.

„Wie immer bei Kritik zieht sich Jens Spahn darauf zurück, dass man alles debattieren könne. Wir meinen, dass die Selbstbestimmungsrechte von Menschen nicht zur Debatte stehen dürfen und fordern die Bundesregierung auf, im Sinne der betroffenen Menschen dringend und massiv nachzubessern“, sagte die Grünen-Abgeordnete.

Das Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz ist Schulz-Asche zufolge „ein Gesetz auf Zuruf und ein weiteres Beispiel für die handwerklich schlechte Politik des Bundesgesund­heitsministers“. Wirtschaftlichkeit dürfe niemals der Kompass sein, an dem Gesundheits­politik ausgerichtet werden dürfe.

Aufgrund der Debatte um den Referentenentwurf hatte auch die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer schriftliche Fragen ans BMG gestellt. Die Antworten, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegen, zeigten, dass in einem Bereich, in dem der Grundsatz „ambulant vor stationär“ wirklich zu gelten und zu greifen scheine, dieses Prinzip auf den Kopf gestellt werde, heißt es dazu als Einordnung.

Die Zahlen in der Antwort des BMG zeigen, dass die stationäre Versorgung deutlich güns­tiger ist als die ambu­lante Intensivpflege. So betrugen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für die ambulante Intensivpflege im Jahr 2017 rund 1,517 Milliar­den Euro. Für die stationäre Intensivpflege wurden 41 Millionen Euro aufgewendet. Für das Jahr 2018 beliefen sich die Ausgaben auf 1,855 Milliarden Euro für die ambulante Intensivpflege und auf 62 Millio­nen Euro für die stationäre Intensivpflege.

„Die ambulante Versorgung, insbesondere in der eigenen Häuslichkeit der Pflegebedürf­tigen, fordert wesentlich größere personelle und finanzielle Ressourcen als die Versor­gung in vollstati­onären Einrichtungen“, schreibt das BMG. In zunehmender Häufigkeit hätten Versicherte Schwierigkeiten, einen Pflegedienst zu finden, dem die erforderlichen Kapazitäten für die personalintensive und pflege­risch sehr anspruchsvolle Leistung zur Verfügung stünden.

Ziel des vom BMG vorgelegten Referentenentwurfs sei es deshalb auch, „die beschränkt vorhande­nen Ressourcen so einzusetzen, dass auch künftig allen Patienten die qualifi­zier­­te Versorgung zur Verfügung steht, die sie benötigen“. Zugleich solle mit einer Zu­mut­barkeitsregelung dafür Sorge getragen werden, dass kein Versicherter relevante Ein­schrän­kungen seiner Teilhabemöglichkei­ten hinnehmen müsse. Die konkrete Frage der Grünen, wie viele Verstöße es tatsächlich in der Versorgung gab, ließ das Ministerium offen.

kna/may

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