Ärzteschaft

KV Sachsen: Heckemann mit Rücktrittsforderung konfrontiert

  • Mittwoch, 28. August 2024
Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen /KV Sachsen
Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen /KV Sachsen

Berlin – Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS), Klaus Heckemann, sieht sich nach Äußerungen im eigenen KV-Blatt zur Humangenetik mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.

Heckemann hatte in einem Vorwort der Ausgabe eine Zukunftsvision skizziert und betont: „Ganz deutlich: Dies ist eine Vision, die möglich wird, wenn genetische Untersuchungen sehr viel preiswerter zu erbringen sind. Die gesellschaftliche und ethische Diskussion darüber ist natürlich vorher zu führen!“

In dem Szenario hatte er unter anderem ein Kosten-Nutzen-Abwägung von humangenetischen Untersuchun­gen von Schwangeren – mit entsprechenden möglichen Konsequenzen – dargestellt. Dabei schrieb er unter anderem, „besonders das Leid der betroffenen Eltern könnte vermieden werden“.

Am Ende betonte er: „Aber auch wenn das skizzierte Procedere die Diskussion eines ansonsten möglicher­weise erforderlichen Abruptio generell obsolet macht, werden auch ethische Aspekte berührt, denn die Nut­zung einer solchen Chance wäre natürlich zweifellos Eugenik. Allerdings in ihrem besten und humansten Sinn.“

Zum heutigen Zeitpunkt gebe es „allerdings noch gar nicht die Notwendigkeit, diese Diskussion zu führen, denn eine solche Idee würde momentan noch an den immensen Kosten scheitern. Das muss jedoch nicht so bleiben“, schrieb Heckemann.

Die Wortwahl und Ansichten dieser „Zukunftsvision“ des KVS-Chefs sind auf heftige Kritik gestoßen.

Die Sächsische Landes­ärzte­kammer distanzierte sich heute. „Unabhängig vom grundgesetzlich geschütztem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 I GG) existiert auch das Recht eines jeden auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG)“, betonte die Kammer.

Dabei dürften die vorgenommenen Kostenkalkulationen keine Rolle spielen, ja muteten in diesem Zusamm­enhang geradezu zynisch an, zumal solche Berechnungen nicht zu den Aufgaben des KV-Vorsitzenden gehör­ten.

Den Begriff der „Eugenik“, also die Lehre der vermeintlich guten Erbanlagen, in der heutigen Zeit ausdrücklich ins Spiel zu bringen, überschreitet aus Sicht der Sächsischen Landesärztekammer eine Grenze und dient nicht dem nachvollziehbaren Anliegen, zu bestimmten Themen eine breite gesellschaftliche Diskussionen anzusto­ßen. „Die Ausführungen wecken automatisch Erinnerungen an die deutsche Vergangenheit und sind mit dem ärztlichen Ethos unvereinbar.“

Das Editorial der KVS-Mitteilungen 05-06/2024, in der sich der Vorstandsvorsitzende Klaus Heckemann zum Thema Humangenetik geäußert habe, stelle „eine persönliche Meinungsäußerung dar, von der sich der Haupt­ausschuss der KV Sachsen hinsichtlich Stil, Wortwahl als auch inhaltlicher Positionierung nachdrücklich dis­tanziert“, hieß es heute vom Hauptausschuss der Vertreterversammlung der KV Sachsen.

Der Vorstandsvorsitzende habe ein Mitgliedermedium nutzend eine Grenze überschritten, die vom Hauptaus­schuss missbilligt werde. „Bei allen Leserinnen und Lesern, die sich dadurch verletzt, missachtet oder in Ihrem Wirken nicht gewürdigt fühlen, bitten wir um Entschuldigung. Der Hauptausschuss wird mit der Vertreterver­sammlung den Vorgang ausführlich aufarbeiten und notwendige Konsequenzen diskutieren.“

Es sei „absolut unverständlich“, dass dieses Gedankengut in einem Publikationsorgan einer ärztlichen Stan­desvereinigung unter dem Deckmantel einer „Zukunftsvision“, die „lebhafte Diskussionen auslösen“ soll, ver­breitet werde, beklagte die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM).

Auch das Sozialministerium distanzierte sich von den Aussagen Heckemanns, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. „Das Sozialministerium und ich schließen uns ausdrücklich der Kritik der Verbände und Fachge­sellschaften an“, sagte Sozialministerin Petra Köpping (SPD) demnach.

Die Vielzahl entsetzter Reaktionen zeigten, dass diese Aussagen der KVS und den dort organisierten Ärztinnen und Ärzten schaden. „Wir haben heute das persönliche Gespräch mit Dr. Klaus Heckemann gesucht und unsere Position zum Ausdruck gebracht.“

Die Gemeinsame Einrichtung von Medizinischer Fakultät an der Technischen Universität Dresden und Uni­versitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden hatten sich in einem Schreiben an Sachsens Gesundheitsminis­terin Petra Köpping (SPD) gerichtet. Darin verurteilen die Ärzte die öffentlichen Äußerungen des KV-Vorsitzen­den.

In der Zeit des Nationalsozialismus sei dieser Begriff für Maßnahmen zur Rassenhygiene verwendet worden, um „lebensunwertes Leben“ zu reduzieren oder zu eliminieren. Aussagen, die diese Begrifflichkeiten aufgrei­fen würden, diskreditieren nicht nur den Autor selbst, sondern schadeten der Kassenärztlichen Vereinigung, den dort organisierten Ärztinnen und Ärzten, der Ärzteschaft insgesamt und nicht zuletzt dem Freistaat Sachsen.

Noch befremdlicher sei die Idee einer negativen Selektion von Menschen mit Anlageträgerschaften für gene­tisch bedingte Krankheiten, die mit der Solidargemeinschaft als Grundprinzip der gesetzlichen Krankenversi­cherung und dem Ziel der Kosteneinsparung begründet werde.

Es sei „schockierend und unverständlich, dass ein prominenter Vertreter der sächsischen Ärzteschaft und Therapeuten ein solches Gedankengut in einem Organ der KVS vertreten und öffentlich verbreiten dürfe“, schreiben die Ärzte der Unikliniken. Man halte Heckemann als Vorsitzenden der KVS für nicht mehr tragbar.

Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) distanzierte sich ebenfalls eindeutig und klar sowohl von den Inhalten als auch der Form des Editorials des Vorstandsvorsitzenden der KV Sachsen. Die darin getroffenen Aussagen seien „untragbar und mit der ärztlichen Ethik unvereinbar“.

Auch die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) reagierte mit einem Protestbrief und forderte die sofortige Abberufung Heckemann. Es seien „nicht zuletzt Artikel wie der von Dr. Heckemann, die neben ökonomischen Zwängen und den andauernden, zermürbenden Kämpfen darum, gesetzliche Ansprüche in unserem komplexen Gesundheitssystem geltend zu machen und berechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erlangen, die die Betroffenen als unwürdig und degradierend empfinden“, heißt es darin.

may

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