Politik

Lauterbach kann sich mehr Vorbeugemedizin in Apotheken vorstellen

  • Mittwoch, 27. September 2023
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellte seine Pläne zur Apothekenlandschaft heute auch der Presse in Berlin vor. /picture alliance, Bernd von Jutrczenka
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellte seine Pläne zur Apothekenlandschaft heute auch der Presse in Berlin vor. /picture alliance, Bernd von Jutrczenka

Düsseldorf – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will mit einer Reihe von Vorschlägen die Versorgung mit Apotheken auf dem Land sicherstellen. Für seine Pläne gab es auf dem Deutschen Apotheker­tag viel Gegenwind.

Der Minister stellte seine Ideen heute in Düsseldorf den Delegierten vor, die aber zuvor die Details aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erfahren hatten. Lauterbach, der nicht persönlich vor Ort war, bestritt, dass dies geplant gewesen sei. Er wäre auch gerne persönlich in Düsseldorf gewesen, einzig die Haus­halts­beratungen im Gesundheitsausschuss des Bundestags und die Kabinettssitzung wären wichtiger gewe­sen, sagte er.

Der Minister hatte der FAZ gesagt, er wolle eine „Dringlichkeitsliste Kinderarznei­mittel“ schaffen. Das Vorha­ben wiederholte er auf dem Deutschen Apothekertag nicht. Der Zeitung zufolge will er damit be­stehenden Lieferengpässen entgegentreten. Über Änderungsanträge zum Pflegestudiumstärkungsgesetz soll das Sozial­gesetzbuch so ergänzt werden, dass Apotheker und Ärzte flexibler mit Medikamenten umgehen können, die auf der Liste stehen.

Konkret sollen demnach die Pharmazeuten ohne Rücksprache mit den Ärzten und ohne neue Rezepte die Darreichungsformen austauschen dürfen, wirkstoffgleiche Medikamente in anderer Form abgeben oder statt eines Fertigarzneimittels eine Rezeptur selbst anfertigen können.

Voraussetzungen seien, dass der Patient einverstanden ist und dass der Mediziner nicht ausdrücklich etwas dagegen habe, hieß es. Für die Substitution soll kein Privatrezepte notwendig sein, die Krankenkassen sollen in jedem Fall zahlen. Ärzte, die Präparate von der Mängelliste verordnen, bräuchten keine Wirtschaftlichkeits­prüfungen zu befürchten, schreibt die FAZ.

Lauterbach will darüber hinaus den Betrieb von Apotheken auf dem Land erleichtern, wie er den Delegierten des Apothekertags erläuterte. So sollen dort künftig Apothekenfilialen zugelassen werden, auch ohne dass dort ein approbierter Apotheker anwesend sein muss.

In Form von „Telepharmazie“ könnten Pharmazeutisch-Technische Assistenten in den Filialen den Apotheker vertreten und Beratungen allein anbieten, so der Minister. Die Zweigstellen müssten auch keine Labore vor­halten und weder an Not- noch an Nachtdiensten teilnehmen.

Lauterbach wiederholte mehrfach, dass es darum gehe, die Möglichkeiten für die inhabergeführten Apotheken zu erweitern. Diese sollten ein oder zwei Filialen mehr führen können und dort auch telepharmazeutische Leistungen anbieten. Er sprach sich auch mehrfach gegen investorengestützte Apotheken aus.

„Die Bundesregierung vertritt nicht die Position, dass wir zu viele Apotheken haben oder sich der Markt kon­solidieren müsste. Wir wollen nicht die Ausdehnung des Versandhandels und wir wollen nicht an das Fremd­besitzverbot heran“, erklärte der Minister. Er bezeichnete die jetzigen Strukturen als gut, aber „eine Flexibi­li­sierung ist notwendig“.

Vorsorgeleistungen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Lauterbach versprach den Apothekern auch, sie möglicherweise in die Verbesserung der Vorsorgeleistungen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen einzubinden. Die Vorbeugung sei in Deutschland „nicht zufriedenstellend“, so der Minister. Es gebe große Defizite.

„Dort könnte ich mir im Rahmen der Vorbeugemedizin eine aktivere Rolle der Apotheken vorstellen.“ Das habe er in der Vergangenheit immer gefordert und wolle es jetzt als Minister angehen.

Seine Position sei, dass er die Apothekerleistungen wie Beratungen, Vorbeugemedizin und Impfungen „in der Tendenz als unterhonoriert betrachte“. Ziel müsse es sein, für die Verteilung der Versorgung in der Fläche sicherzustellen. „Das Apothekensterben hat begonnen und dem müssen wir begegnen“, sagte er.

Die Ideen befinden sich derzeit noch in einem frühen Stadium. Entsprechende Gesetzesänderungen sollen bis zum Jahresende in den Bundestag eingebracht werden.

Für seine Vorschläge wurde der online zugeschaltete Minister von den Apothekern ausgebuht. Die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Overwiening, übte scharfe Kritik. Als erster Bundesgesundheitsminister sei der SPD-Politiker offenbar bereit, „das Apothekensystem, das unsere Bevölkerung seit Jahrzehnten sicher versorgt, gänzlich zu zerstören“.

Overwiening betonte, sie könne nicht einem einzigen Vorschlag des Minis­ters etwas Positives abge­winnen. Es sei zunächst über höhere Honorare und eine Ausweitung der Tätigkeiten der Apotheker zu reden. Zudem müssten die gemachten Vorschläge „komplett vom Tisch“.

Die Annahme des Ministers, dass seine Pläne zu mehr Filialgründungen insbesondere auf dem Land führen würden, sei an den Haaren herbeigezogen, sagte sie. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, dass die von Lauterbach geplanten neuartigen Filialapotheken fast ausschließlich in stark frequentierten Lagen und in Stadtnähe gegründet würden. „Auf dem Land wird das Apothekensterben zunächst unbegrenzt weitergehen.“

In der FAZ hatte sie von einer „Kampfansage gegenüber der gesamten Apotheker­schaft“ gesprochen. Der Gesundheitsminister verfolge das Gegenteil einer Stärkung der Vor-Ort-Apotheken. „Die Beratung durch approbierte Apothekerinnen und Apotheker wird zusammengestrichen“, so Overwiening. „Und für Notdienste müssten die Patientinnen und Patienten sehr lange Strecken fahren, bis sie versorgt werden können.“

Zum Streik aufgerufen

Die ABDA hatte ihre Mitglieder für heute erneut zum Streik aufgerufen. Zwischen 13 und 16 Uhr sollten die Geschäfte bundesweit geschlossen bleiben. In dieser Zeit hielt Lauterbach seine Rede vor dem Apothekertag.

Die Apothekerverbände fordern unter anderem eine Erhöhung der Apothekenvergütung um 2,7 Milliarden Euro pro Jahr. Während des Streiks solle die Akutversorgung durch Notdienstapotheken gewährleistet werden.

„Ich halte nichts davon, die Apotheken mit Horrorszenarien zu provozieren“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Andrew Ullmann, heute. Apotheken und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehörten zu einer guten Versorgungslandschaft.

Es müssten jedoch in allen Bereichen des Gesundheitswesen Versäumnisse der Vergangenheit nachgeholt werden. „Wir müssen gemeinsam neue Wege finden, um die Gesundheitsversorgung dauerhaft und kosten­effektiv durch alle Versorgungssäulen aufrechtzuerhalten“, so Ullmann.

Dazu gehöre für die Apotheken gerade bei bestehenden Lieferengpässe die Bürokratielast zu reduzieren, die pharmazeutische Versorgung im ländlichen Raum zu sichern und die Apothekenhonorare mindestens an die Kostenentwicklung zu koppeln.

Der FDP-Fachpolitiker Lars Lindemann sagte zu den neuen Plänen, dies seien „persönliche Gedankenspiele des Bundesgesundheitsministers“. In der Koalition seien sie bisher nicht Gesprächsgegenstand gewesen. Es sei notwendig, sich zur Sicherstellung der Versorgung Möglichkeiten der Liberalisierung und Entbürokratisierung zu erarbeiten.

kna/dpa/may

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