Leichter Rückgang bei Bürokratie in der Arztpraxis

Berlin – Der Zeitaufwand für Bürokratie ist in Vertragsarzt- und Vertragspsychotherapeutenpraxen erstmals seit drei Jahren etwas zurückgegangen: Aus den Daten des vierten Bürokratieindexes für Ärzte und Psychotherapeuten (BIX) geht hervor, dass der bürokratische Aufwand 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 1,93 Prozentpunkte gesunken ist und nun bei 55 Millionen Nettoarbeitsstunden liegt.
Damit verwenden Praxen 60,1 Arbeitstage auf Bürokratie. Im Vergleich zu 2018 wurde damit ein Arbeitstag für Papierarbeit eingespart. Im Report für 2018 wurden noch 61,3 Tage ausgewiesen. Gemessen wird im BIX nur die von der gemeinsamen Selbstverwaltung auferlegten Informationspflichten.
In der Erhebung nicht enthalten sind die Arbeitszeiten, die für Auskünfte oder Papierformulare von Bundes- oder Landesgesetzen sowie Vorgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen oder Kommunen aufgewendet werden müssen. Dazu gehört beispielsweise auch die neuen Pflichten aus der Europäischen Datenschutzgrundverordung (DSGVO), die seit Mai 2018 auch für Arztpraxen gilt, und im BIX nicht erfasst wurde. Auch die Auskünfte gegenüber privaten Krankenversicherungen werden hier nicht gezählt.
Der BIX wird jährlich im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von der Fachhochschule des Mittelstandes (FHM) erstellt. Zwischen 2018 und der Erhebung 2019 sind 29 Informationspflichten dazu gekommen, 15 wurden im Gegenzug abgeschafft. Damit gibt es inzwischen 410 Informationspflichten. Bei 125 Informationspflichten habe sich der Aufwand verringert, bei 123 Pflichten ist der Aufwand konstant geblieben.
„Dies zeigt, dass die Regulierungsdichte in der Selbstverwaltung weiter ansteigt“, heißt es in dem Bericht. Demnach lassen sich die Informationspflichten, die Praxisärzte erfüllen müssen in vier Themenfelder aufgliedern: 258 Pflichten gehören zum Bereich der „Qualität in der Versorgung“, die aber nur 28 Prozent der Arbeitsstunden ausmachen. Der Bereich „Verordnungen und Bescheinigungen“ umfasse 46 Pflichten, die „aufgrund hoher Fallzahlen und aufwendiger Pflichten“ mit 37 Prozent der Arbeitsstunden zu verbuchen sind.
Dazu gehört als Spitzenreiter seit Jahren: das Ausstellen von Überweisungen. In Arztpraxen werden mehr als 199,5 Millionen Formulare ausgestellt, das sind umgerechnet fast sechs Millionen Arbeitsstunden pro Jahr und etwa zwei Minuten Zeitaufwand pro Fall. Mit weitem Abstand dahinter folgen Auskünfte an Krankenkassen und den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) auf entsprechenden Vordrucken.
Trotz geringerer Fallzahl (26,7 Millionen) ist die Gesamtarbeitszeit bei diesen Vordrucken mit rund 5,7 Millionen Stunden höher als bei der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit (AU). Dafür werden über 80,7 Millionen Formulare jährlich ausgestellt, mit einer Arbeitszeit von etwa vier Minuten pro Fall und damit fünf Millionen Stunden insgesamt. Wie auch in den Jahren zuvor steigt die Zahl der AU deutlich an.
Hierbei handelt es sich um eine „fallzahlbedingte Entwicklung“, heißt es im BIX. Da es in Deutschland weiterhin eine steigende Beschäftigung gebe, steige die Zahl der Menschen, die eine Krankschreibung bekommen könnten. Hier wird für 2019 die zusätzliche Belastung um 31.000 Stunden auf insgesamt 4,96 Millionen Arbeitsstunden berechnet.
Besonders gestiegen ist der bürokratische Aufwand durch die Änderungen bei der Dokumentation des Hautkrebsscreenings: Durch einen Beschluss im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vom 18. Januar 2018 müssen insbesondere Dermatologen nun einen umfangreicheren Fragebogen ausfüllen. Laut BIX steigen somit bei einer jährlichen Fallzahl von 3,3 Millionen Screenings die Nettoarbeitsstunden um mehr als 32.000.
Eine weitere steigende Belastung verursacht die Verordnung von Krankenbeförderung, die jährlich 51,7 Millionen Mal ausgestellt wird. Aufgrund der höheren Fallzahlen ist der bürokratische Aufwand um 0,8 Prozentpunkte gestiegen. Das bedeutet zusätzliche 30.000 Arbeitsstunden im Jahr 2019. Insgesamt werden 3,9 Millionen Arbeitsstunden für diese Formulare verwendet. Hintergrund ist ebenfalls eine Entscheidung des G-BA sowie die steigende Morbidität der Bevölkerung.
Fünf Entlastungen
Der Bericht identifiziert auch fünf Entlastungen der vergangenen zwölf Monate: So wurde mit der Änderung der Gesundheitsuntersuchungsrichtlinie ab Oktober 2018 das Ausfüllen und Archivieren des Berichtsvordrucks der Gesundheitsuntersuchung (Muster 30) verändert. Damit wurden rund 500.000 Stunden eingespart.
Eine weitere Bürokratieentlastung haben die Studienautoren der FHM bei der „Erhebung Daten im Ersatzverfahren“ – sprich die Dokumentation von Versichertendaten aus der Patientenstammdatei per Hand, wenn die Karte im Quartal nicht vorlag – festgestellt: Hier seien 329.000 Arbeitsstunden eingespart worden.
„Es kann vermutet werden, dass der Rückgang der Fallzahl durch weniger fehlerhafte Gesundheitskarten, die Probleme beim Einlesen verursachen, oder weniger häufiges Vergessen der Karte durch den Patienten bedingt ist“, schreiben die Studienautoren rund um Volker Wittberg von der FHM und Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau.
Bei der Vorstellung gemeinsam mit der KBV betonte er, dass diese Studie insgesamt eine Signalwirkung hätte: So würde mit dem BIX zum ersten Mal in Deutschland die Betroffenen in einem Industriebereich zum Thema Bürokratie befragt.
Auch die Jahre zurückliegende Abschaffung der Praxisgebühr wirkt sich weiterhin auf einen Rückgang bei der Ausstellung der Überweisungen aus. Zwar sei dies prozentual gesehen nicht mehr viel, aber auch hier werden weiterhin jährlich 35.000 Arbeitsstunden eingespart.
Bei einer Zahl von fast 200 Millionen Überweisungen seien „kleinere Veränderungen in absoluten Zahlen nicht unerheblich.“ Denn insgesamt liege die Hauptlast der Dokumentationspflichten bei den Ärztinnen und Ärzten – und nur wenige Dokumentationspflichten können an Praxismitarbeiterinnen abgegeben werden.
Insgesamt kommen die Studienautoren zum Schluss, dass bei weiteren Bemühungen zum Bürokratieabbau bei den „Massenpflichten“, wie der Arbeitsunfähigkeit oder der Krankenbeförderung sowie Überweisungen, angesetzt werden müsse. Auch müssten die „Nutzung von Potenzialen der Digitalisierung unbedingt intensiviert werden, damit die Bürokratie spürbar zurückgefahren“ werden kann.
Für die KBV, die die Studie beauftragt hat, gibt es in diesem Jahr positive Signale: „Der Bürokratieberg konnte zumindest ein wenig abgebaut werden. Nach zwei Jahren des leichten Anstiegs konnte in diesem Jahr die Belastung durch Verwaltungsaufgaben im Vergleich zum Vorjahr endlich wieder gesenkt werden“, erklärte Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KBV und zuständig für Bürokratieabbau und Digitalisierung.
„Trotzdem haben wir noch viel Wegstrecke vor uns, um den Bürokratieabbau in den Praxen spürbar zu senken“, so Kriedel. Denn wie sich im Zuge der wachsenden Digitalisierung der bürokratische Aufwand weiterentwickelt, sei derzeit nicht absehbar. „Das hängt vor allem davon ab, wie die Digitalisierung in den Praxen umgesetzt wird. Hier liegt ein enormes Entlastungspotenzial“, so Kriedel.
Er sieht es momentan als Chance und kleines Zeitfenster, dass Bürokratische Vorgänge sinnvoll digitalisiert werden können. Allerdings müsse die Politik bei ihrer derzeitigen Gesetzgebung drauf achten, dass nicht zu viele sogenannte Ersatzverfahren in Papierform verlangt werden, wenn es digital nicht funktioniert. So ist beispielsweise bei der geplanten elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) neben der digitalen Variante auch noch ein Papierausdruck vorgesehen. Das wäre „genau das Gegenteil von dem, was eigentlich mit der Digitalisierung erreicht werden soll.“
Links
Bürokratieindex für Ärzte und Psychotherapeuten 2019
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Daher verlangt die KBV, dass mit der vollständigen Digitalisierung neben der eAU keine parallele Erstellung von Papierbescheinigungen stattfindet. Auch bei der Umsetzung des elektronischen Rezepts sollten Praxen nicht, wie derzeit vorgesehen, zusätzliche Geräte anschaffen müssen. Hier wolle sich die KBV für eine „leichtgängige und praktikable“ Lösung einsetzen.
Kriedel erwartet, dass im kommenden Jahr besonders die elektronischen Signaturen (eSignatur) viel Aufwand in den Praxen bringen werden. Hier könne es nicht sein, dass jedes Formular einzeln mit einer eSignatur unterzeichnet wird, das wäre im Praxisalltag nicht möglich. Daher diskutiere man derzeit mit der gematik über eine sogenannte „Komfort Signatur“ mit der ein Vertragsarzt mehrere Rezepte und Formulare unterschreiben kann.
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