Ärzteschaft

Der Bürokratieaufwand in Arztpraxen steigt weiter

  • Freitag, 20. Oktober 2017
Hanna - stock.adobe.com
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Berlin – Die Arbeitszeit, die niedergelassene Ärztinnen und Ärzte für Bürokratie aufwenden, ist in den vergangenen zwölf Monaten leicht angestiegen. Derzeit werden 54,16 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr für administrative Pflichten in den rund 164.000 Praxen von niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten verwendet – das sind 115.000 Nettoarbeitsstunden mehr als 2016.

Damit ist der Bürokratieindex, den die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) heute zum zweiten Mal in Berlin vorstellte, um 0,2 Prozentpunkte gestiegen. Jede Praxis sei weiterhin mit rund 60 Arbeitstagen pro Jahr mit bürokratischen Aufgaben beschäftigt. Anlässlich der neuen Zahlen mahnte Thomas Kriedel, Mitglied des KBV-Vorstandes: „Mehr Zeit für ihre Patienten wünschen sich die niedergelassenen Ärzte. Deshalb darf die Belastung durch Bürokratie in den Praxen das notwendige Maß nicht übersteigen“, sagte er vor Journalisten in Berlin.

Transparenz schaffen

Mit dem Index, den die Fachhochschule des Mittelstandes in Bielefeld zum zweiten Mal für die KBV erstellt hat, sollen die Belastungen sichtbar gemacht werden. Denn: „Wirksame Bürokratiekostenkontrolle erfordert zunächst die Messung der bürokra­tischen Belastung. Mit dem entwickelten Bürokratieindex schaffen wir die nötige Transparenz für eine bessere Regulierung und den angestrebten Bürokratie­kostenabbau“, sagte Volker Wittberg, Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratie­abbbau (NZBA).

Nach seiner Studie sind die gestiegenen Bürokratiebelastungen auch durch neu eingeführte Pflichten sowie steigende Fallzahlen zu erklären. So ist beispielsweise die Zeit, die zur Verordnung von Krankenbeförderung benötigt wird, deutlich gestiegen. „Hier gehen wir von einer Fallzahlsteigerung aufgrund von demografischen Faktoren aus“, erklärte Wittberg vom NZBA. Er warnte davor, dass durch „Abwarten steigende Zahlen“ ent­stehen könnten. Auch die 2015 beschlossene Präventionsempfehlung an Erwachsene ist unter den Top drei der neuen Belastungen.

Überarbeitung der Chronikerbescheinigung ist eine große Entlastung

Aber auch Entlastungen konnten die Forscher feststellen: So gibt es deutlich weniger Aufklärungsarbeit für Patienten bei der Überschreitung der Festbetragsgrenze. Eine der größten Entlastungen ist die Überarbeitung der Chronikerbescheinigung (Muster 55), dessen Vereinfachung auf einen Vorschlag des Projektes im Formularlabor in der KV Westfalen-Lippe gemeinsam mit der Barmer GEK zurückgeht.

In dem Projekt wurde das Formular deutlich verschlankt und als genereller Vordruck zur Verfügung gestellt. Laut Index konnten dadurch rund 300.000 Stunden in der Praxis eingespart werden.  Allerdings räumte Kriedel auf Nachfrage ein, dass die „gute Arbeit der Mitglieder in den Formularlaboren“ auf Bundesebene nicht immer gewürdigt werde. „Die Vorschläge von dort kommen oft in Berlin nicht an. Ich erwarte, dass die Vorschläge künftig besser angenommen werden“, sagte er.

Zielvorgaben für einen Bürokratieabbau müssen in den Koalitionsvertrag

„Bürokratie ist wie eine Kugel auf einer flachen Ebene“, sagte Kriedel. „Wir müssen den Abbauprozess immer und immer wieder anschieben.“ Er forderte, dass künftig bei der Planung von neuen Vorgaben diese zunächst im Praxisalltag bei Ärzten aber auch Krankenkassen erprobt werden, bevor sie beschlossen werden. Über neue Digitali­sierungsprojekte allein sei dies nicht möglich. Dafür benötige es auch den Einsatz der Gesundheitspolitiker.

„Wir brauchen hier die Unterstützung aus der Politik und fordern für den Koalitions­vertrag, dass es auch im Gesundheitswesen zu einem verbindlichen Abbauziel von Bürokratie kommt“, sagte Kriedel. Er stellt sich hier einen Abbau von rund 25 Prozent vor. Dies hatte sich die Bundesregierung auch zum Ziel gesetzt und innerhalb von vier Jahren erreicht. „Für uns würde das heißen, dass mit einem Abbau von 25 Prozent 13 Millionen Arztstunden frei werden würden“, rechnete Kriedel vor.

Besonders viele Informationspflichten gibt es für die Dokumentation der Qualität in der Versorgung, 245 Pflichten nehmen 26 Prozent der Arbeitszeit für Bürokratie in Anspruch. Bei den 46 Pflichten im Bereich der Verordnungen und Bescheinigungen werden 38 Prozent der Arbeitszeit benötigt. Bei den 30 Auskünften der Kostenträger werden 20 Prozent der Arbeitszeit verbraucht.  Im Bereich der Überweisungen und der elektronischen Gesundheitskarte gibt es 18 verschiedene Informationspflichten, die allerdings 14 Prozent der Nettoarbeitsstunden in Anspruch nehmen.

„Hier ist besonders die Vielzahl der Überweisungen ausschlaggebend für diese hohe Zahl“, erklärt Forscher Wittberg. Mit 200 Millionen Überweisungen liegt das Ausstellen der Formulare auf Platz eins der 25 aufwendigsten Informationspflichten. Hierfür werden in Praxen rund sechs Millionen Arbeitsstunden benötigt.

bee

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