Politik

Leistungserbringer und Kassen protestieren gegen Pläne für Ambulantisierung

  • Donnerstag, 29. September 2022
Tom Bschor, Leiter der Regierungskommission /picture alliance, Bernd von Jutrczenka
Tom Bschor, Leiter der Regierungskommission /picture alliance, Bernd von Jutrczenka

Berlin – Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und GKV-Spit­zen­verband wehren sich in einer konzertierten Aktion mit gleichlautenden Protestbriefen gegen die Vorge­hensweise der Krankenhauskommission für neue Reformvorschläge.

Die drei Verbände protestieren beim Koordinator der Kommission, Tom Bschor, dagegen, dass sie in die Arbeit bisher so gut wie gar nicht einbezogen worden seien – entgegen der Beteuerungen bei Vorstellung des Gre­miums, dass die Organisationen der Selbstverwaltung von Krankenkassen, Krankenhäusern und Vertragsärz­ten und -psychotherapeuten einbezogen werden.

„Nach nunmehr fünfmonatiger Arbeit müssen die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung feststellen, dass die Regierungskommission diesem Versprechen nicht nachkommt“, heißt es im Schreiben der KBV, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

Stattdessen würden sich die bisherigen Anhörungsverfahren durch „einen Ad-Hoc-Charakter, eine verkürzte Fokussierung auf Teilfragen und eine Intransparenz über den Beratungsstand in der Kommission“ auszeich­nen. So könne es nicht weitergehen: Angesichts der Komplexität der Themen, die für die Patientenversorgung von überragender Bedeutung sind, müsse künftig eine angemessene Diskussion sichergestellt sein, fordern sie.

Lauterbach geht mit seiner Vorgehensweise nach Sicht der Protestierenden neue Wege: So unterscheide sich die bisherige Form der Einbeziehung wesentlich von anderen praktizierten Anhörungsverfahren, die einen Be­zug zu gesundheitspolitischen Fragestellungen haben. „Für einen Austausch auf Augenhöhe lässt das Vorge­hen vor allem die erforderliche Transparenz vermissen“, kritisiert die KBV. „Es werden keinerlei Konzeptent­würfe vorgelegt, die eine Einordnung der übermittelten Fragen in einen Gesamtzusammenhang ermöglichen würden.“

Fragestellungen werden der Tragweite des Problems nicht gerecht

Zwar sei ein hohes Arbeitstempo aus KBV-Sicht grundsätzlich nachvollziehbar, schließlich herrsche dringli­cher Handlungsbedarf. „Allerdings wird die enge Fokussierung auf ausgewählte Fragen zu Einzelaspekten der Tragweite und Dimension der aufgeworfenen Fragestellungen nicht gerecht“, so die KBV.

„Notwendig ist vielmehr, im Verfahren eine Einordnung in den Gesamtkontext der Krankenhausversorgung zu ermöglichen.“ Deutlich werde dies auch bei der jüngsten Einladung zur Onlineanhörung zur Reform des Kran­kenhauswesens: Die solle anhand von gerade einmal vier Themenkomplexen beraten werden.

„Die Chance, die Organisationen der Selbstverwaltung mit ihrem umfassenden Sachverstand und ihrer Praxis­nähe unmittelbar in die Beratungen der Regierungskommission einzubeziehen, sollte künftig weitaus stärker als bisher genutzt werden“, fordert die KBV deshalb.

Nur ein wirklicher Dialog mit der gemeinsamen Selbstverwaltung im Rahmen von echten und transparenten Anhörungsverfahren ermögliche es, sachgerechte Lösungen zu erreichen. „Wir stehen hierfür jederzeit zur Verfügung“, betont die KBV.

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) kritisierte heute die gemachten Vorschläge zur Am­bu­lantisierung inhaltlich vehement. „Was wir brauchen, ist ein langfristig angelegtes, nachhaltiges Programm zur Ambulantisierung bisheriger stationärer Behandlungen“, fordert der Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried. „Die vom Bundesgesundheitsminister berufene Expertenkommission schlägt aber nur eine kurzfris­tige Intervention vor, die das eigentliche Problem nicht lösen, sondern eher verschärfen wird.“

Schon jetzt gebe es 19 verschiedene Rechtsformen ambulanter Krankenhausleistungen – von denen aber kei­ne bisher zu einer spürbaren Ambulantisierung geführt habe, da die Abrechnung der Leistung als stationärer Fall für Krankenhäuser stets vorteilhafter war.

Abgrenzungsprobleme werden vergößert

Somit handele es sich nun schon um das 20. Regelungsinstrument, mit dem eine ambulant erbrachte Leistung als stationärer Fall abgerechnet werden kann. Patientinnen und Patienten würden damit in den Strukturen der Krankenhausbehandlung gehalten.

„Ob die gewünschten Entlastungseffekte für das Krankenhauspersonal erreicht werden, ist zweifelhaft“, erklärt von Stillfried. „Sicher ist, dass derzeit bereits bestehende Abgrenzungsprobleme zwischen unterschiedlichen Abrechnungsvoraussetzungen vergrößert werden.“

Die zahlreichen Abrechnungsbedingungen aus den Empfehlungen – beispielsweise der Mindestverbleib von sechs Stunden – würden aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes des SGB V zu zusätzlicher Dokumenta­tion und damit Mehrbelastung des medizinischen Fachpersonals führen.

Auch die Anreizwirkung des vorgestellten Vergütungsvorschlags – die aus Sicht der Kommission allein zu einer Verlagerung in Tagesbehandlungen führen soll – führe nach wie vor nicht dazu, dass Ort und Dauer der Leistungserbringung nach medizinischen Kriterien gewählt werden. „Damit werden die Krankenhausstruk­tu­ren weiterhin unnötig durch wirklich ambulant behandelbare Fälle belastet“, erklärt von Stillfried.

Unterschiedliche Honorierung nicht nachvollziehbar

Es sei auch völlig unverständlich, warum für Leistungen, die auch Vertragsärztinnen und -ärzte erbringen, ein höherer Preis gezahlt werden soll, wenn die Leistungen ohne Übernachtung in einer Klinik durchgeführt wer­den. Deutlich schlüssiger sei hingegen das im Rahmen eines Innovationsfonds-Projekts erarbeitete Konzept für eine sektorengleiche Vergütung.

Zudem seien die Vorschläge zur zusätzlichen Vergütung bei über dreistündigem Aufenthalt in Notaufnahmen nicht nachvollziehbar. Bereits heute würden nach Auswertung des AKTIN-Notaufnahmeregisters ambulant be­handelte Patienten durchschnittlich 183,5 Minuten in einer Notaufnahme verbringen, stationär aufgenomme­ne und entsprechend vergütete Fälle durchschnittlich 247,4 Minuten.

„Auch hier entwickelt sich damit ein ökonomischer Anreiz, Entscheidungen nicht nach medizinischen Krite­rien, sondern nach Abrechnungsvoraussetzungen zu treffen“, erklärt von Stillfried. Deshalb werde es zu Ab­grenzungs- und Prüfschwierigkeiten kommen, etwa um reine Wartezeit von echter Behandlungszeit zu diffe­renzieren.

„Kurzum: Der Vorschlag der Regierungskommission gleicht einem Arbeitsbeschaffungsprogramm für Medi­zinjuristen. Eine Verbesserung der Versorgung von Patientinnen und Patienten ist hingegen nicht in Sicht.“

lau

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