Ärzte und Kostenträger kritisieren Lauterbachs Ambulantisierungspläne

Berlin – Ärzteschaft und Kostenträger kritisieren die Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur verstärkten Ambulantisierung bisher stationär erbrachter Leistungen. Den angekündigten Gamechanger sieht keiner der Verbände in den vorgestellten Plänen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßte hingegen die Empfehlungen der Regierungskommission zur Krankenhausreform als Schritt in die richtige Richtung, der mehr Flexibilität in die Behandlungsprozesse der Krankenhäuser bringe, und dem weitere Schritte folgen müssten.
„Für diese weitergehenden Reformschritte müssen jedoch frühzeitig die vorhandenen Vorschläge der verschiedenen Selbstverwaltungspartner berücksichtigt, analysiert und einbezogen werden“, forderte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß. Es sei nicht ausreichend, falls die Regierungskommission wie bisher ausschließlich zu Einzelfragen im Rahmen von kurzen Anhörungen Hinweise von den Selbstverwaltungspartnern einsammelt.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht das weniger positiv. „Ein großer Wurf sieht anders aus. Erneut wurde eine Chance vertan, eine echte Reform anzustoßen“, kritisierte der Vorstandsvorsitzende, Andreas Gassen. Die Mitglieder der Reformkommission würden das große Potenzial ambulanter Operationen auf ein undefiniertes „später“, also auf die lange Bank, schieben.
„Mal wieder drohen wir, wie bei vielen anderen Themen zum Beispiel bei der Digitalisierung, den Anschluss im internationalen Vergleich zu verlieren“, warnte Gassen. Der internationale Vergleich zeige nämlich, dass Deutschland beim ambulanten Operieren deutlich Luft nach oben hat.
Wichtige Reformschritte würden aus falscher Rücksicht auf reformunwillige Häuser unterlassen. „Statt einer aktiven Gestaltung neuer Versorgungsformen gemeinsam mit den Niedergelassenen, baut man Jägerzäunchen – zum Nachteil von Patienten und Beitragszahlern“, erklärte der KBV-Vorstandschef.
Eine Marktbereinigung werde sich durch ein solches Vorgehen ebenfalls nicht aufhalten lassen. „Der Koalitionsvertrag fordert eine stärkere Ambulantisierung ein. Das, was die Regierungskommission nun vorlegt, ist der perspektivisch zum Scheitern verurteilte Versuch einer Besitzstandswahrung.“
Warnung vor Missbrauch
Die Bundesärztekammer (BÄK) warnt wiederum davor, dass die Tagesbehandlung von Klinikbetreibern dazu missbraucht werden könnte, Personalengpässe auszugleichen oder den Profit zu steigern. „Hier darf es einzig und allein um das Wohl und die Sicherheit des Patienten gehen. Ebenso ist bei der Umsetzung darauf zu achten, dass kein Wettbewerb um medizinische Leistungen zwischen den Krankenhäusern und hochspezialisierten Fachärzten entsteht“, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt.
Positiv sei hingegen, dass die Empfehlung zur Tagesbehandlung im Krankenhaus das Klinikpersonal entlaste, weil die effektive Betreuungszeit verkürzt werde. Außerdem könne es eine sinnvolle Ergänzung sein, eine regelhafte Überprüfung der Tagesbehandlungen durch den Medizinischen Dienst auszuschließen, regte er an. Eine solche Regelung könnte demnach die Bürokratielast in den Krankenhäusern erheblich reduzieren.
Außerdem sei bei der Umsetzung darauf zu achten, dass kein Wettbewerb um medizinische Leistungen zwischen den Krankenhäusern und hochspezialisierten Fachärzten entsteht, warnte Reinhardt. Es müsse darüber hinaus auch gewährleistet sein, dass eine fachärztliche und gegebenenfalls pflegerische Weiterbetreuung der Patienten qualitativ hochwertig und verlässlich gewährleistet ist: „Ziel muss eine sektorenverbindende, indikationsgerechte und patientenorientierte Versorgung sein“, forderte Reinhardt.
Der Hartmannbund kritisiert, dass Krankenhäuser künftig auch ohne die Übernachtung ihrer vollstationär behandelten Patientinnen und Patienten eine „lediglich marginal abgeminderte DRG-Pauschale“ erhalten sollen.
Angesichts der bereits bestehenden vielfältigen Möglichkeiten, ambulante Behandlungen am Krankenhaus vorzunehmen, könne diese Maßnahme zwar die personellen Ressourcen partiell entlasten. Sie sorge aber im Wesentlichen „als erneutes Stückwerk einer überfälligen Reform eher für Verwirrung als für spürbare strukturelle Verbesserungen“, sagte die Vorsitzende des Arbeitskreises Stationäre Versorgung des Hartmannbundes, Galina Fischer.
Auch die vielleicht gut gemeinte Absicht einer zügigen Umsetzung von Einzelmaßnahmen könne nicht über den offenbar fehlenden konzeptionellen Ansatz des Ministers für seine Kommission hinwegtäuschen: „Was wir angesichts der schwierigen Situation der stationären Versorgungsstrukturen dringend brauchen, ist ein schlüssiges und tragfähiges Gesamtkonzept unter Einbeziehung aller Beteiligten – am Ende auch mit Blick auf den ambulanten Bereich“, erklärte sie.
„Es ist unzweifelhaft, dass der Krankenhaussektor dringend reformiert werden muss und dass Teil dieser Reform, wo sinnvoll, auch eine stärkere Ambulantisierung sein muss“, betonte Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Was vorgeschlagen werde, sei „nichts anderes als eine kurzfristige und völlig unkoordinierte Verschiebung von Arbeit aus dem stationären Sektor in den ambulanten Sektor“. Eine Verschiebung von Ressourcen geschweige denn Finanzmittel sei hingegen nicht vorgesehen.
Vorschläge gehen Kassen nicht weit genug
Der GKV-Spitzenverband teile die Analyse, dass in Deutschland überdurchschnittlich viele vollstationäre Behandlungen durchgeführt werden, erklärte Vorstandsmitglied Stefanie Stoff-Ahnis. Allerdings seien die vorgeschlagenen Ideen nicht geeignet, das Problem zu beheben, da sie bestehende Strukturen in der stationären Versorgung zementieren würden.
„Die Kommission verschenkt damit erhebliches Ambulantisierungspotenzial im Krankenhaus“, erklärt Stoff-Ahnis. Für geeignete Behandlungsfälle, beispielsweise Kurzliegerfälle, fehle jede Perspektive einer ambulanten Versorgung. Die Stärkung der Ambulantisierung durch die Erweiterung des Katalogs ambulant durchführbarer Operationen (AOP-Katalog) werde durch die Kommission gänzlich ausgeblendet, obwohl damit erhebliches Entlastungspotenzial für Krankenhäuser, Ärzteschaft und Pflegepersonal einhergeht.
„Die zudem vorgeschlagene Finanzspritze zur Notfallversorgung könnte zu milliardenschweren Mehrausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung führen, ohne dass die Versorgungssituation für die Patientinnen und Patienten verbessert wird“, warnte Stoff-Ahnis. Das sei angesichts der angespannten Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung völlig inakzeptabel.
„Eine Einführung derartig weitreichender Änderungen in der Krankenhausvergütung, wie sie die Pläne der Krankenhauskommission zur Folge hätte, bereits zum 1. Januar 2023 provoziert Chaos in den Versorgungsabläufen und bei der Finanzierung“, erklärt die Vorständin.
Auch der AOK-Bundesverband hält die Vorschläge der Krankenhauskommission für unpassend, um die erklärten Ziele zu erreichen: Weder Modernisierung noch Effizienz der Versorgung würden vorangebracht. Stattdessen schlägt der Kassenverband eine feste Quote für ambulante Behandlungen im Krankenhaus vor.
„Die Vorschläge laufen darauf hinaus, dass ambulant erbrachte Leistungen künftig auf dem bisherigen DRG-Niveau bezahlt werden sollen, ohne dass sich die Strukturen ändern und die Versicherten davon profitieren“, kritisierte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann.
Dass die Tagesbehandlungen mit einem Abschlag auf die DRG-Vergütung abgerechnet werden sollen, fördere weder die qualitätsorientierte Modernisierung der Krankenhaus-Strukturen, noch führe es zu mehr Effizienz der Versorgung, bemängelte Reimann: „Hier drohen neue, zusätzliche Ausgaben im Milliardenbereich, ohne dass die Beitragszahlenden dafür einen Mehrwert bekommen.“
Denn die Krankenhäuser könnten demnach zukünftig ihre Leistungen risikolos aus der ambulanten Vergütung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) in die DRG-Vergütung steuern. „Das bedeutet im Kern: Dieselbe Leistung für die Patientinnen und Patienten zum vielfachen Preis.“
Auch der Kommissionsvorschlag, dass die bisherige EBM-Vergütung von ambulanten Notfällen im Krankenhaus um Betreuungszuschläge in Höhe von bis zu 400 Euro ergänzt wird, sei eine Kostenfalle. Denn angesichts von etwa zehn Millionen ambulanten Notfällen pro Jahr in den Kliniken werde das zu Mehrausgaben in Höhe von bis zu vier Milliarden Euro führen.
„Hier wird einfach nur mehr Geld ins System gepumpt, ohne Anreize für Verbesserungen in den Strukturen der Notfallversorgung zu setzen. In der Konsequenz kann man sich die geplante Notfallreform damit komplett sparen“, sagte Reimann.
Wirtschaftlichkeitspotenziale könne man laut AOK heben, indem man die Neuordnung der ambulanten Leistungserbringung von Kliniken und Vertragsärzten nutzt. Angesichts der riesigen Defizite der Krankenkassen sei es zu kurz gesprungen, die Vergütung ambulanter Leistungen quasi auf DRG-Niveau anzuheben. „Eine solche dauerhafte und systematische Überfinanzierung von ambulanten Leistungen können wir uns nicht mehr leisten.“
Darüber hinaus werde die Leistungserbringung in der vertragsärztlichen Praxis für Ärztinnen und Ärzte durch die vorgeschlagenen Regelungen unattraktiv. Vertragsärzte könnten ihre Leistungen demnach zukünftig erheblich lukrativer im Krankenhaus erbringen. Die entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten seien vielfältig.
So könnten zum Beispiel Krankenhausträger Tagesbehandlungen in den Räumlichkeiten eigener Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) anbieten, warnt der Verband: „Überspitzt gesagt bedeutet der Vorschlag eine De-Ambulantisierung der Vergütung“, sagte Reimann. „Damit hat er das Potenzial, eine Erosion bewährter ambulanter Strukturen im vertragsärztlichen Sektor auszulösen.“
Zudem müsste bei Umsetzung des vorgeschlagenen Konzeptes auch weiterhin bei jedem einzelnen Patienten entschieden werden, ob er als ambulanter oder stationärer Fall einzustufen ist. „Die Prüfung, ob hier korrekt entschieden worden ist, bleibt damit auch in Zukunft bestehen und würde sogar noch komplizierter“, prognostizierte Reimann. „Es wäre besser gewesen, wenn man die Akteure, die die Vorschläge umsetzen müssen, von Anfang an in die Kommission eingebunden hätte.“
Die AOK schlägt hingegen vor, einen prozentualen, bundeseinheitlichen Zielwert für die Ambulantisierungsquote von zunächst 85 Prozent der Leistungen mit ambulantem Potenzial festzulegen. Es liege dann in der Entscheidung des einzelnen Krankenhauses, welche Behandlungen im Einzelnen ambulant oder stationär erbracht wird, und müsse nicht mehr im Einzelfall vom Medizinischen Dienst geprüft werden.
Aus Sicht der AOK müsse mittelfristig eine dauerhafte Vergütungsdifferenz zwischen ambulanter Leistungserbringung am Krankenhaus und der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen werden. Es müsse zeitnah eine gesetzliche Grundlage für die einheitliche Erfassung der Kostendaten von Leistungen mit Ambulantisierungspotenzial von Kliniken und Vertragsärzten geschaffen werden, um eine sektorenunabhängige Vergütung der Leistungen zu erreichen.
Ähnlich positioniert sich der Verband der Ersatzkassen (vdek). Zwar sei die Idee „gut gemeint, aber nicht gut gemacht“, sagt die Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner. Grundsätzlich würde der Verband alle Maßnahmen begrüßen, die zum Abbau vollstationärer Behandlungen beitragen und die Ambulantisierung der Krankenhäuser fördern. „Allerdings konterkarieren die Empfehlungen die Weiterentwicklung des neuen Katalogs für das ambulante Operieren und stationsersetzende Maßnahmen.“
Die vorgeschlagenen lukrativeren Vergütungen auf der Basis stationärer Vergütungen würden die Weiterentwicklung des AOP-Katalogs im Keim ersticken, so der vdek. Zusätzliche Milliarden an Kosten kämen noch durch Krankentransport und häusliche Krankenpflege hinzu. Damit belaste man erneut die Beitragszahler, ohne dass die neuen Empfehlungen die Versorgung der Patienten verbessern könnten, erklärt Elsner.
DKG widerspricht den Kassen
Die DKG wiederum weist die Kassenkritik zurück. Die in ersten Reaktionen geäußerten Bedenken hinsichtlich einer unkontrollierten Leistungsausweitung teile die DKG nicht, da die Kommission für dieses neue Behandlungsangebot die gleichen Voraussetzungen sehe wie für die vollstationäre Behandlung mit Übernachtung im Krankenhaus.
„Unkontrollierte Fallzahlausweitungen und die Leistungsverlagerung bisher außerhalb des Krankenhauses erbrachter ambulanter Leistungen sind auch wegen der unveränderten Prüfungsvorgaben des Medizinischen Dienstes unwahrscheinlich“, sagte Gaß.
Krankenhäuser würden auch für diese tagesklinischen Behandlungen bei der medizinischen Notwendigkeit die gleichen Maßstäbe anlegen wie für die bisher vollstationär versorgten Patienten. Anders als die Kassen vermuteten sei sogar davon auszugehen, dass das Gesamtvolumen der Ausgaben der Kassen für Krankenhausbehandlungen sinke, weil bei tagesklinischen Behandlungen regelhaft Abzüge bei der Abrechnung im Einzelfall von bis zu 30 Prozent vorgesehen seien.
Nach den Empfehlungen der Kommission seien diese Abzüge mit rund 140 Euro pro Tag kalkuliert. Aus Sicht der DKG lägen die potenziellen Einspareffekte bei den Krankenhäusern aber deutlich niedriger. „Bei der konkreten Umsetzung muss dieser Betrag überprüft werden, damit diese neue Behandlungsform auch aufwandsgerecht vergütet wird“, forderte Gaß.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: