Lösung von Strukturproblemen liegt in besserer Versorgung von Hochaltrigen

Berlin – Die Versorgung von hochaltrigen Patienten muss deutlich verbessert werden. Das zeigt der aktuelle Krankenhausreport 2025 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Eine Stärkung der geriatrischen Versorgung hat dem Institut zufolge mehrere Vorteile. Sie könne eine Lösung bezüglich der Herausforderungen des Gesundheitswesens bieten – etwa hinsichtlich des steigenden Anteils von hochaltrigen Patientinnen und Patienten sowie der sinkenden Anzahl des Gesundheitspersonals.
Zudem könne eine Veränderung des Angebots für hochaltrige Menschen Kosten einsparen und die steigenden Gesundheitsausgaben eindämmen.
Die Altersgruppe der 20 bis 66-Jährigen sinke von 51,5 Millionen Menschen in diesem Jahr auf 45,9 Millionen Menschen im Jahr 2050, erklärte heute der stellvertretende Geschäftsführer des WIdO, David Scheller-Kreinsen. Auf der anderen Seite wachse die Altersgruppe von über 80-Jährigen von sechs Millionen in diesem Jahr auf 9,1 Millionen Menschen in 25 Jahren an.
Schon heute habe sich der Anteil von Hochbetagten (über 80-Jährige) an allen Krankenhausfällen im Vergleich zu 2005 verdoppelt. 22 Prozent aller Menschen, die 2023 stationär behandelt wurden, waren älter als 80 Jahre. Die demografischen Veränderungen werden dazu führen, dass dieser Anteil künftig noch größer werde.
Zudem lag die stationäre Verweildauer von Hochbetagten 2023 bei durchschnittlich 8,1 Tagen. Bei den unter 60-Jährigen liege dieser Wert bei rund 4,2 Tagen. Und: Die stationären Kosten der Behandlung von Hochbetagten sei siebenmal so hoch wie die von unter 60-Jährigen, erklärte Scheller-Kreinsen weiter.
Dies sei mit den besonderen Behandlungsbedarfen zu erklären. Hochbetagte litten häufig an mehreren Erkrankungen, seien häufiger pflegebedürftig oder könnten etwa aufgrund einer Demenz nur eingeschränkt kommunizieren.
Die Lösung: Hochbetagte müssten mehr ambulant behandelt werden und weniger im Krankenhaus. Die Vor- und nachklinische Versorgung müsse zudem verbessert werden.
Rund 1,4 Millionen entsprechende Krankenhausfälle hätten etwa 2022 vermieden werden können, errechnete das WIdO. Bei dieser Zahl handelt es sich um Pflegebedürftige, die bei einer besseren ambulanten oder pflegerischen Versorgung nicht ins Krankenhaus gemusst hätten. Dieser Anteil liegt bei rund 36 Prozent aller pflegebedürftigen Krankenhausfälle.
Blick ins Ausland zeigt Lösungen auf
Im Vergleich zu Nachbarländern wie etwa der Schweiz, den Niederlanden oder Dänemark werde in Deutschland zu viel Geld für die falschen Maßnahmen ausgegeben, kritisierte Clemens Becker, Leiter der „Unit Digitale Geriatrie“ am Geriatrischen Zentrum des Universitätsklinikums Heidelberg.
So gebe Deutschland mehr Geld für Gesundheit aus, erziele aber auch schlechtere Ergebnisse bei der Lebenserwartung im internationalen Vergleich, erklärte er. Andere Länder mit einer besseren ambulanten Versorgung schnitten demnach besser ab.
Statt dem aktuellen Fokus auf die stationäre Versorgung, müsste deshalb deutlich mehr Geld für Prävention aufgewendet werden. Beispielsweise Dänemark investiere mehr Geld in die Allgemeinmedizin, den ambulanten Sektor und in die Prävention, erklärte Becker.
Alle Menschen ab 75 Jahren erhielten in Dänemark etwa einen präventiven Hausbesuch, bei dem es unter anderem um Fragen rund um die richtige Ernährung oder Bewegung geht, so Becker. Auch in den Niederlanden stehe die hausärztliche Versorgung und Prävention im Fokus. Hier koste der stationäre Bereich deutlich weniger als in Deutschland.
„Wir müssen sehr viel ändern, nicht nur im Krankenhausbereich, sondern auch in der ambulanten Versorgung“, empfiehlt Becker. Neben der Stärkung der hausärztlichen Versorgung brauche es eine zügige Ausweitung von Delegationsmöglichkeiten von ärztlichen Leistungen an Pflegeberufe oder auch an die Physiotherapie. Wichtig sei auch, dass schnell die Kosten für Medikamente gesenkt werden.
Mehr Telemedizin ermöglichen
Ein wichtiger Faktor für Kosteneinsparungen sei zudem der Ausbau von Telemedizin. In Dänemark finde jede dritte ärztliche Beratung von Allgemeinmedizinern durch Videokonsultation statt, erklärte Becker. In Deutschland seien es noch weniger als drei Prozent.
Weiter schlägt Becker vor, dass man die Generation der Babyboomer auch stärker als Ressource wahrnehmen sollte. Man müsse darüber nachdenken, ob Allgemeinmediziner nicht bis zum Alter von 75 Jahren weiterarbeiten könnten. Viele seien dazu auch motiviert, so Becker.
Und: Die Verweildauer in Akutkrankenhäuser müsse verkürzt werden. Dies könne durch den Aufbau einer Prä-/Postakutversorgung vor allem zuhause ermöglicht werden.
So läuft gerade das Modellprojekt an der Charité „Stay@Home – Treat@Home (STH)“, das ein telemedizinisches Netzwerk aufbaut, um die Gesundheit von ambulant gepflegten Menschen zu verbessern und ungeplante Krankenhausaufnahmen zu reduzieren.
Diese Konzepte müssten nun dringend in der Fläche umgesetzt werden, forderte Becker. „Wir haben keine fünf bis zehn Jahre mehr Zeit Däumchen zu drehen und Projekte zu machen. Wir wissen was zu tun ist.“
Große Unterschiede zwischen den Bundesländern
Der Report zeigt zudem, dass es bei der Versorgung von Hochaltrigen deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt. Spitzenreiter bei der Zahl an potenziell vermeidbaren Hospitalisierungen (pflege-sensitiven Krankenhausfälle) ist Bayern mit 295 Fällen je 1.000 Pflegebedürftigen, gefolgt vom Saarland mit 293 Fällen. Am besten schneidet Bremen ab, dort sind es laut Wido-Zahlen 203 vermeidbare Fälle. Auch in Baden-Württemberg (218) sind bereits bessere Ergebnisse zu erkennen.
Wenn man die Krankenhausfälle insgesamt betrachtet, landen in Bremen und Baden-Württemberg zudem am wenigsten Hochbetagte im Krankenhaus (51, beziehungsweise 50 Fälle je 100 Einwohner pro Jahr). Nordrhein-Westfalen führt mit 68 Fällen die Statistik an.
„Das liegt daran, dass es in Baden-Württemberg eine viel stärkere ambulante Versorgung gibt“, sagte Scheller-Kreinsen vom WIdO. Das verdeutliche, die Angebotsstruktur beeinflusse stark das Versorgungsmuster. Und es zeige das Potenzial für die Gestaltung der Versorgung, erklärte Scheller-Kreinsen.
Dass es hier viel Gestaltungsspielraum gibt, zeigen etwa Berechnungen von unter anderem dem Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg von der Universität Hamburg. So seien nur rund 20 Prozent des Fallwachstums bei der älteren Bevölkerung auf Faktoren wie etwa Altersstruktur oder Veränderung der Morbidität zurückzuführen. Die restlichen 80 Prozent des Fallwachstums seien insbesondere durch die Angebotsstruktur bedingt. „Diesen Fakt muss man politisch nutzen“, betonte Scheller-Kreinsen.
Keine Anpassung an Bedarfe der hochaltrigen Patienten
Bundesweit habe es in den vergangenen zehn Jahren aber kaum Änderungen bei der sektoralen Zusammensetzung der Ausgaben für Hochbetagte gegeben, bemängelte er weiter. „In den letzten Jahren haben wir uns nicht auf die Bedarfe der Hochaltrigen eingestellt.“
Zudem finde medizinische Versorgung von Hochaltrigen in Kliniken zu häufig ohne die Expertise von ausgebildeten Altersmedizinerinnen und -mediziner statt, bemängelte Scheller-Kreisner weiter. Wenn diese Bedarfe künftig nicht berücksichtigt werden, sei mit drastischen Ausgabensteigerungen zu rechnen, heißt es in dem Krankenhausreport weiter.
Um die doppelte Belastung der Demografie meistern zu können, braucht es mehr Ambulantisierung, erklärte heute auch Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands. Diesbezüglich seien auch die geplanten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen wichtig, die im Zuge der Krankenhausreform eingesetzt werden sollen.
Allerdings bemängelte Reimann, dass diese nicht zwingend stationäre Krankenhausleistungen anbieten sollten. Stattdessen sollten sie sich auf die ambulante Versorgung mit Übernachtungsleistungen und auf eine gute Anschlussversorgung konzentrieren, forderte Reimann.
Weiter sieht Reimann es kritisch, dass die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag weitere Ausnahmemöglichkeiten von der Krankenhausreform für die Länder vorsieht. „Es ist zu befürchten, dass diese Ausnahmen zulasten der Patientensicherheit und der Versorgungsqualität gehen“, bemängelte Reimann.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) betonte heute die Notwendigkeit einer anderen strukturellen Organisation der Versorgung Hochaltriger vor und nach einem Krankenhausaufenthalt. „Sonst werden zukünftig die Klinikkapazitäten nicht mehr ausreichen, um alle versorgen zu können“, prognostiziert DGG-Präsident Markus Gosch.
Die Fachgesellschaft schlägt vor, mehr medizinisches Personal mit altersmedizinischen Kompetenzen außerhalb von Kliniken einzusetzen, um Betroffene besser in Praxen, Pflegeeinrichtungen oder zu Hause versorgen zu können. „Die Geriatrie schützt vor einer Pflegeflut in den Kliniken“, sagt Gosch.
Diese Struktur könnte Klinikaufenthalte verkürzen. Gosch fordert einen schnellen Ausbau der Digitalisierung, sowie eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung durch geriatrische Kompetenzen. Weiter werde ein flächendeckender Ausbau von geriatrischen Rehabilitationen benötigt.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnte vor einer verkürzten Sicht auf das vermeintlich hohe „Vermeidungspotenzial“ stationärer Behandlungen. „Wenn Pflegebedürftige ins Krankenhaus kommen, dann meist aus gutem Grund – oft, weil ambulante Strukturen nicht verfügbar oder überfordert sind. Wer Krankenhausaufenthalte reduzieren will, muss zuerst für flächendeckend erreichbare, gut finanzierte und personell ausgestattete Alternativen sorgen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß.
Die Kliniken selbst seien in aller Regel gut vorbereitet – doch sie könnten die Versäumnisse in der ambulanten Versorgung nicht dauerhaft kompensieren. Geriatrische Rehabilitation, koordinierte Kurzzeitpflege und funktionierende Übergänge zwischen ambulanter und stationärer Versorgung müssen gestärkt werden, um Versorgungslücken zu schließen, fordert deshalb auch die DKG.
Deshalb müsse die Krankenhausreform die Realität einer alternden Gesellschaft stärker einbeziehen, betonte Gaß. Hochaltrige würden in den kommenden Jahren einen immer größeren Teil der stationären Versorgung beanspruchen. Das müsse sich in der Finanzierung, in der Planung und in der Ausgestaltung der Leistungsgruppen widerspiegeln, erklärte Gaß.
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