Geriatrie: Wunsch nach flächendeckender Versorgung

Berlin – Um die künftig weiter ansteigende Zahl an alten und hochaltrigen Menschen in Deutschland entsprechend medizinisch behandeln zu können, schlägt der Bundesverband für Geriatrie ein bundesweites Versorgungskonzept vor. Das Konzept hatte die Mitgliederversammlung des Verbands Ende März 2022 beschlossen.
„Bisher ist die Struktur und Versorgung der Geriatrie auf der Länderebene geregelt“, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands, Michael Musolf gestern bei einer Pressekonferenz in Berlin. In den kommenden Jahren würden aber die Babyboomer den Gesundheitsmarkt zunehmend prägen und in Anspruch nehmen.
Die steigende Zahl von Betagten und Hochbetagten brächten zudem andere Herausforderungen an das Gesundheitssystem mit sich, so Musolf. Deshalb schlage der Bundesverband nun ein Konzept vor, dass die aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen aufgreife und die spezifischen Versorgungsbedarfe sowohl medizinisch als auch therapeutisch abbilde.
Konkret soll das Konzept weg von der Orientierung auf Länderebene, hin zu einer bundesweiten, flächendeckenden Struktur gehen, so Musolf. Erstmals hat der Verband Planungsgrößen berechnet und benannt, auf deren Grundlage eine einheitliche Bedarfsplanung erfolgen könnte.
Künftig sollte es laut den Verbandsplänen eine Klinik für Geriatrie in jedem Landkreis, kreisfreien Stadt oder einer vergleichbaren Planungsgröße in einem Stadtstaat geben. Zudem sollte bundesweit ein Fahrzeitradius von 25 Minuten zu einer Klinik für Geriatrie gelten. Der Bedarf liege dabei bei mindestens 38 Betten je 10.000 Einwohner über 70 Jahre.
Für dieses Konzept werden voraussichtlich zusätzliche Kliniken notwendig, sagte Dirk van den Heuvel, Geschäftsführer des Bundesverbands für Geriatrie auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes. Schließungen werde es diesbezüglich aufgrund des künftigen höheren Bedarfs kaum geben, prognostizierte er.
Um auch die Vernetzung mit anderen medizinischen Fachbereichen zu fördern, soll im Krankenhausbereich die sogenannte spezialisierte geriatrische Versorgungseinheit (SGV) geschaffen werden. Diese soll eine vertiefte fachgebietsübergreifende Behandlung ermöglichen und einer möglichen Fehlversorgung der älteren Patientinnen und Patienten entgegenwirken.
Auch im Bereich der geriatriespezifischen Rehabilitation sollte laut Verbandsplänen künftig ein Fahrzeitradius von 45 Minuten gelten. Auf einen Landkreisbezug wie bei der Krankenhausplanung solle aber verzichtet werden. Für den Bedarf in den Rehabilitationseinrichtungen hat der Verband zwölf Betten je 10.000 Einwohner über 70 Jahre angegeben.
Zusammenfassung bestehender Strukturen
Ein wesentlicher Bestandteil des neuen Konzepts soll auch die Umstrukturierung der nicht stationären oder teilstationären geriatrischen Versorgungsformen betreffen. Derzeit bestehen verschiedene Angebote nebeneinander, darunter die Tagesklinik, die ambulante und mobile geriatrische Rehabilitation sowie die geriatrische Institutsambulanz.
All diese Formen sollen künftig in sogenannten ambulanten geriatrischen Zentren (AGZ) zusammengefasst werden, schilderte van den Heuvel. Diese Zentren sollen die Versorgung der entsprechenden Patienten übernehmen und flexibler gestalten.
„Am Anfang einer Behandlung wird vielleicht eine akute medizinische Behandlung in der Tagesklinik benötigt, nach vier oder fünf Tagen steht die Reha im Vordergrund und anschließend kann eine mobile Rehamaßnahme helfen, die Übungen zuhause zu verfestigen“, erläuterte van den Heuvel.
Eine solche sektorenübergreifende Versorgung gebe es heute noch nicht. Optional könnte ein solches Zentrum auch unter anderem Präventionsangebote für Über-70-Jährige anbieten oder es könnten auch Pflegeheimkonsildienste angeknüpft werden.
Hinsichtlich der Finanzierung sollen die Kliniken für Geriatrie weiterhin über das diagnosebezogene Fallpauschalensystem (DRG) finanziert und abgerechnet werden. Allerdings fordert der Verband auch die Möglichkeit die Leistungen der Kliniken im Sinne der besonderen Einrichtung zu vergüten.
Damit werde eine sachgerechte Analogie zu den Palliativstationen geschaffen, heißt es. Auch die Rehabilitationskliniken sollen wie bislang auch über tagesgleiche Pflegesätze finanziert werden. Allerdings gebe es hier derzeit eine strukturelle Unterfinanzierung. Deshalb müsse die Höhe der Pflegesätze entsprechend angepasst werden, fordert van den Heuvel.
Künftig müssten sich Krankenkassen, die Politik sowie die Gesellschaft deutlicher um die medizinische Versorgung betagter und hochbetagter Menschen widmen, so der Verband. „Die demografische Entwicklung ist eindeutig. Zudem müssen wir soziale Sicherungssysteme wie die Pflegeversicherung entlasten“, so Musolf. Der Geriatrie werde dabei im medizinischen Bereich eine Schlüsselrolle zukommen. Erfreulicherweise nehme die Zahl der Ärzte mit geriatrischer Weiterbildung aber zu, die in den Kliniken und Einrichtungen arbeiten könnten.
Der Bundesverband für Geriatrie überarbeitet derzeit auch für die bessere Bedarfsplanung die vierte Auflage des „Weißbuch Geriatrie“. Dieses soll im Januar 2023 veröffentlicht werden. Die erste Auflage ist 2010 erschienen. Ziel ist es, den Versorgungsbedarf der geriatrischen Patienten darzustellen und gleichzeitig einen objektiven Blick über die geriatrischen Strukturen in Deutschland zu geben.
Im Bundesverband Geriatrie sind Klinikträger organisiert, die hierzulande etwa 400 geriatrische Kliniken beziehungsweise Rehabilitationseinrichtungen betreiben. Mehr als 23.000 Betten und Rehaplätze sind bundesweit verfügbar.
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