Politik

Maskenpflicht im Handel: Kontroverse Diskussion entbrannt

  • Montag, 6. Juli 2020
/picture alliance, Henning Kaiser
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Berlin – Die Maskenpflicht im Kampf gegen die Coronakrise wird in Deutschland vorerst weiterhin gelten – auch im Einzelhandel. Die 16 Gesundheitsminister der Länder einigten sich heute darauf, die Maskenpflicht nicht aufzuheben, hieß es heute nach einer Schalte der Ressortchefs mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aus Kreisen der Ge­sund­heitsminister. Zur Begründung hieß es, es dürfe nicht der falsche Eindruck entstehen, die Pandemie wäre vorbei.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zuvor bereits einer Abschaffung der coronabe­ding­­ten Mas­kenp­flicht in Geschäften eine klare Absage erteilt. Sie hat dabei breite Unter­stüt­zung aus anderen Parteien und aus den Ländern.

„Überall dort, wo im öffentlichen Leben der Mindestabstand nicht gewährleistet sein kann, sind Masken ein wichtiges und aus heutiger Sicht auch weiter unverzichtbares Mitt­el“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert heute in Berlin. Dies sei nötig, um die Infek­tionszahlen niedrig zu halten und um die Mitmenschen und sich selbst zu schützen. „Also: Ob im Bus, in der U-Bahn oder im Einzelhandel soll es bei der Pflicht bleiben, Masken zu tragen.“

Diese Position wurde über Partei- und Ländergrenzen hinweg geteilt. So sprachen sich unter anderem die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD – Annegret Kramp-Karrenbauer, Markus Söder und Saskia Esken – sowie verschiedene Landesregierungen gegen eine Auf­hebung der Maskenpflicht aus. Dies hatte Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsmi­nis­ter Harry Glawe (CDU) in der Welt am Sonntag für sein Bundesland angeregt.

Seibert ergänzte, die Beibehaltung sei gerade jetzt in der Ferienzeit wichtig. „Auch Regio­nen, die womöglich jetzt sehr geringe Fallzahlen hatten, bekommen nun Zulauf aus an­de­ren Teilen des Landes.“ Die neue Mobilität sei zu begrüßen. „Aber sie muss einherge­hen mit der Beachtung der Regeln, die uns bisher in den vergangenen Monaten im Kampf gegen diese Pandemie so gut gedient haben, nämlich Abstand, Hygieneregeln und eben da, wo es nötig ist, Maskenpflicht.“

Das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes sei weiterhin notwendig und wichtig, damit Deutsch­land gut durch die Pandemie komme, sagte auch Kramp-Karrenbauer in einer Vi­de­oschalte der engsten CDU-Spitze nach Angaben aus Teilnehmerkreisen.

Söder sagte vor einer Videokonferenz des CSU-Vorstands, man werde die Maskenpflicht auf keinen Fall lockern oder abschaffen. Dies sei eines der ganz wenigen Instrumente, wenn es um den Schutz vor dem Coronavirus gehe. Die Maskenpflicht habe sich im Alltag auch bewährt.

Zumutbare Zumutung

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte in Calw, die Bedrohung sei bei weitem nicht über­wunden. Es sei weiter dringend nötig, Abstand zueinander zu halten und auf die Hy­gieneregeln zu achten, damit es keine zweite Welle und keinen zweiten Lockdown gebe.

„Da sind wir alle in hoher Verantwortung. Deswegen empfehle ich dringend, weiterhin auch bei der Maskenpflicht zu bleiben.“ Der Co-Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, betonte gestern Abend auf Bild live, „dass das Maskentragen in Geschäften eine Zumutung ist, aber eine zumutbare Zumutung“.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mahnte zur Vorsicht. „Ich verstehe die Un­ge­duld und den Wunsch nach Normalität. Aber das Virus ist noch da. Wo in geschlosse­nen Räumen der nötige Abstand nicht immer gesichert ist, bleibt die Alltagsmaske gebo­ten“, schrieb der CDU-Politiker auf Twitter.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte ebenfalls vor einer Aufhebung der Regelung. „Die Maskenpflicht im Handel ist eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen das Coro­navirus. Es wäre das völlig falsche Signal, diese Pflicht jetzt schon wieder aufzuheben“, sagte Lauterbach der Rheinischen Post. „Schafft eine Landesregierung die Maskenpflicht ab, experimentiert sie mit der Gesundheit der Menschen und erhöht das Risiko für eine zweite Infektionswelle.“

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene hat sich ebenfalls ge­gen die Aufhebung ausgesprochen. Sie sende das falsche Signal, dass die Situation im Griff sei. „Das können wir aber so nicht feststellen“, sagte Martin Exner. Das Robert Koch-Institut (RKI) verweist auf Anfrage darauf, sich generell nicht zu konkreten Maßnahmen vor Ort zu äußern.

FDP will Ausstiegsszenario

Die FDP hat die Bundesregierung hingegen aufgefordert, eine Aufhebung der Masken­pflicht für den Einzelhandel einzuleiten. Die Regierung müsse „gemeinsam mit dem Ein­zelhandel einheitliche Kriterien für ein regional differenziertes Ausstiegsszenario aus der Maskenpflicht erarbeiten", erklärte FDP-Vizefraktionschef Michael Theurer.

Die Masken­pflicht könne nicht von heute auf morgen wegfallen, sie könne aber auch nicht unendlich und ohne regionale Differenzierung aufrecht erhalten werden. Wo es kein Infektionsgeschehen gibt, ist auch eine Maskenpflicht nicht mehr verhältnismäßig, sagte Theurer.

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla forderte, die Maskenpflicht endlich abzu­schaffen. „Die Wirkung von Mund-Nasen-Masken ist nicht nur medizinisch umstritten, die Masken sind auch eine zunehmende Gefahr für den lokalen Einzelhandel“, argumentierte er. Er könne es gut nachvollziehen, dass viele Bürger mit Maske ungern ihre Einkäufe er­ledigten. Die Umsätze würden dann im Internet generiert.

Ein Sprecher des Handelsverbandes HDE stützte diese Argumentation. „Wir stellen fest, dass Masken die Shoppinglust der Kunden hemmen“, sagte er der Rheinischen Post. Die Entscheidung, ob die Maskenpflicht bestehen bleibe oder nicht, müssten aber Politiker und Mediziner treffen und nicht der Handel.

Auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann hatte eine Lockerung favori­siert, relativierte seine Forderung heute aber. „Ich spreche mich keinesfalls für eine völli­ge Aufhebung der Maskenpflicht aus“, sagte der CDU-Politiker auf NDR Info. Das wäre viel zu früh. Nach der Sommerpause werde die Landesregierung darüber beraten, wie mit der Maskenpflicht umgegangen werde.

Viele andere Länder lehnen eine Abschaffung rundweg ab. „Das Tragen einer Alltagsmas­ke hilft die Ansteckungsgefahr zu verringern“, teilte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in Mainz mit. „Masken sind also ein eher geringer Aufwand mit großer Wirkung und – in Verbindung mit Kontaktbeschränkungen und hohen Hygienestandards – ein wichti­ges, auch wissenschaftlich belegtes Mittel im Kampf gegen das Virus.“

Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne) kritisierte die jüngste Debatte und warnte: „Wir befinden uns nach wie vor in einer sehr fragilen Lage. Eine Aufhebung der Maskenpflicht wäre deshalb zum jetzigen Zeitpunkt das absolut falsche Signal.“ Die Diskussion um eine Lockerung vermittele den Eindruck, die Pandemie sei besiegt worden.

„Das ist mitnichten der Fall“, sagte Lucha. Das Virus breite sich nur nicht aus, weil die meisten Menschen diszipliniert seien. Gegen ein zeitnahes Ende der Pflicht für den Mund-Nasen-Schutz in Geschäften haben sich inzwischen neben Baden-Württemberg unter anderem auch Bayern, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Hamburg ausge­sprochen.

In Deutschland ist die Zahl der Neuinfektionen weiter auf relativ niedrigem Niveau. Die Gesundheitsämter meldeten dem RKI zufolge 239 neue Infektionen innerhalb eines Ta­ges (Datenstand 5.7., 0.00 Uhr). Weltweit wurde allerdings ein Rekord bei den nachge­wie­se­nen Neuinfektionen geknackt: Binnen 24 Stunden seien 212.326 neue Ansteckungen mit SARS-CoV-2 gemeldet worden (Stand 4.7. 10 Uhr), hieß es in einem WHO-Bericht.

dpa/afp/kna

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