Medizinstudierende im Praktischen Jahr sind stark belastet

Berlin – Die Situation der Medizinstudierenden im Praktischen Jahr (PJ) ist unverändert kritisch: Für ihre Vollzeittätigkeit in der Klinik – oft inklusive von Diensten in der Nacht und an Wochenenden – erhalten sie meist nur sehr geringe Aufwandsentschädigungen, die bundesweit variieren.
Krankheitstage müssen sie durch maximal 30 mögliche Fehltage pro Jahr abdecken. Auch bundesweite Lehrstandards fehlen für diesen letzten Abschnitt des Medizinstudiums immer noch, Studien- und Lernzeiten werden den Studierenden bundesweit nur sehr heterogen eingeräumt. Dies geht aus dem heute in Berlin vorgestellten „PJ-Barometer 2023“ des Marburger Bundes hervor.
„Die Lehrkrankenhäuser und Unikliniken sind eigentlich zu einer guten praktischen Ausbildung gesetzlich verpflichtet. Wir erwarten, dass sie diesen Auftrag erfüllen und Studierende im Praktischen Jahr nicht wie billige Hilfskräfte behandeln“, forderte Pauline Graichen, Vorsitzende des Sprecherrates der Medizinstudierenden im Marburger Bund, heute bei der Präsentation der Online-Umfrage.
„Es geht im PJ um die Vertiefung der im Studium erworbenen ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten und nicht darum, uns als Lückenbüßer zu missbrauchen“, sagte die Marburger Medizinstudentin. Eines der größten Anliegen der Studierenden sei es, im PJ mehr fachliche Anleitung und Mentoring zu bekommen und nicht als „Hakenhalter“ oder „Blutabnehmer“ im Dauereinsatz zu sein.
Die Realität sieht jedoch anders aus: Dem aktuellen „PJ-Barometer 2023“ des Marburger Bundes zufolge, für das im März/April dieses Jahres rund 1.700 Medizinstudierende im Praktischen Jahr (PJ) sowie Ärztinnen und Ärzte, deren PJ nicht länger als drei Jahre zurückliegt, befragt worden, verbringt derzeit mehr als die Hälfte der PJ-Medizinstudierenden 40 bis 50 Stunden pro Woche in der Klinik.
Dabei komme ihnen jedoch angesichts der schwierigen Personallage in den Kliniken meist die Rolle des „Lückenbüßers“ zu, die überall dort zum Einsatz kommen, wo es gerade an Personal mangelt, kritisierte auch Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes (MB).
Besonders bedenklich sei, dass ein Großteil der PJler ärztliche Kernleistungen ohne Anleitung und Aufsicht der Ausbilder übernehmen würde. Zwar sollen Studierende bestimmte ärztliche Verrichtungen in Abhängigkeit von ihrem Ausbildungsstand durchführen, dies müsse aber nach Zuweisung sowie unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes oder der ausbildenden Ärztin geschehen, betonte die MB-Vorsitzende.
Aus aktuellen Online-Umfrage geht hervor, dass diese Vorgaben nicht immer eingehalten werden: Ohne Anleitung und Aufsicht einer Ärztin oder eines Arztes führen 77 Prozent der PJler ärztliche Kernleistungen durch. Dazu gehören Anamnesen, Untersuchungen, Diagnosestellungen und Aufklärungsgespräche.
Am häufigsten führen PJler jedoch delegationsfähige Leistungen wie Injektionen, Verbandswechsel oder Blutentnahmen (97 Prozent) aus oder erledigen auch nichtmedizinische Aufgaben, wie Botengänge (83 Prozent), die kein anderer machen will oder kann.
Angesichts der hohen Belastung im PJ hätten viele ihrer Kommilitonen nicht ausreichend Zeit zum Selbststudium neben der praktischen Ausbildung, erklärte Graichen. Zwar werde die Qualität der Lehre im PJ überwiegend als sehr gut (16 Prozent) und gut (35 Prozent) bewertet, die Unterschiede zwischen den Kliniken seien jedoch groß. „Noch längst nicht alle Kliniken haben verstanden, dass sie mit guten Lehr- und Arbeitsbedingungen im PJ auch ärztliches Personal halten können“, bedauerte die Studentin Graichen.
Ein weiteres Problem ist für viele Studierende im PJ die Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts. Da Nebenjobs aufgrund der hohen Arbeitsbelastung im PJ scher zu realisieren sind, ist ein Großteil der Befragten (78 Prozent) auf elterliche Zuwendungen angewiesen, an zweiter Stelle rangiert die monatliche PJ-Aufwandsentschädigung (Geld- und Sachleistung). Bei 52 Prozent der Befragten setzt sich die Finanzierung des Lebensunterhalts hauptsächlich aus der Kombination von Aufwandsentschädigung und familiäre Unterstützung zusammen.
Zwar habe sich in den vergangenen Jahren in Sachen Aufwandsentschädigung einiges getan, räumte Graichen ein. Doch in der Regel liege sie immer noch deutlich unterhalb des BAföG-Höchstsatzes von derzeit 934 Euro. Knapp 17 Prozent der PJ-Studierenden erhalten der Umfrage zufolge nur bis zu 300 Euro Aufwandsentschädigung während des PJ und 11 Prozent gar keine Geld- oder Sachleistung der Ausbildungsstätte. Bei den meisten (62 Prozent) liegt sie zwischen 301 und 649 Euro, dem vormaligen BAföG-Höchstsatz.
„Diese heterogene Praxis der Lehreinrichtungen kann nur durch eine obligatorische, bundesweit einheitliche, existenzsichernde Aufwandsentschädigung für alle Studierenden im PJ beendet werden“, fordert der MB. Auf seine hatte der Deutsche Ärztetag bereits 2018 in Erfurt eine obligatorische, bundesweit einheitliche, existenzsichernde Aufwandsentschädigung für alle Studierenden im PJ gefordert (Rechtsanspruch auf Geldleistung).
An der aktuellen Umfrage, dem PJ-Barometer 2023, haben sich 1700 Studierende und/oder junge Ärztinnen/Ärzte beteiligt. Davon waren zwei Drittel weiblich. Der überwiegende Teil der Befragten absolvierte das erste PJ-Tertial in einem akademischen Lehrkrankenhaus (60 Prozent), rund ein Drittel (32 Prozent) in einem Universitätsklinikum und knapp sieben Prozent der Befragten waren während des ersten Tertials im Ausland.
Ihre weitere berufliche Zukunft sehen die PJler zunächst im stationären Versorgungsbereich (88 Prozent), wo überwiegend die Weiterbildung zur Fachärztin oder zum Facharzt stattfindet. Spitzenreiter bei den gewünschten Fachgebieten war die Anästhesiologie: 16 Prozent der Befragten streben eine Weiterbildung in diesem Fach an. An zweiter Stelle rangierte die Innere Medizin ohne Schwerpunkt (elf Prozent), auf dem dritten Platz die Allgemeinmedizin (zehn Prozent).
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