Missbrauchsstudie im Bistum Mainz analysiert Fälle und Verfehlungen

Mainz – Im Bistum Mainz sind über Jahrzehnte Fälle von sexueller Gewalt verschwiegen, verharmlost und nicht vernünftig verfolgt worden. Zu diesem Ergebnis kommt eine heute in Mainz vorgelegte Untersuchung des Rechtsanwalts Ulrich Weber.
„Das Bistum als verantwortliche Institution hat durch unangemessenen Umgang und mangelnde Kontrolle in vielen Fällen sexuellen Missbrauch begünstigt“, sagte Weber heute. Pfarrgemeinden hätten mit einer Solidarisierung mit Beschuldigten und der Diskreditierung von Opfern eine Aufklärung erschwert und weitere Vorfälle ermöglicht.
Der Bericht des Anwalts umfasst 1.127 Seiten. Die Datenbasis bilden der Untersuchung zufolge umfangreiches und durch die Studienersteller recherchiertes Akten- und Archivmaterial – rund 25.000 Seiten. Darüber hinaus sind 246 persönliche Gespräche und Korrespondenzen mit Betroffenen, Wissensträgern, Verantwortlichen und Beschuldigten geführt worden.
Eine Umfrage für Pfarrgemeinden und Caritas-Einrichtungen ergänzt dem Bericht zufolge den Datenbestand. Über Methoden der qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse wurden die Daten analysiert und für die Berichtsverfassung aufbereitet, wie es hieß.
Für die statistische Analyse (Kapitel 2) wurden ab 1945 insgesamt 392 Beschuldigte und 657 Betroffene erfasst, wie die Kanzlei mitteilte. Nach Prüfung von Verantwortung, Tatbestand und Plausibilität seien für die weitere Untersuchung 181 Beschuldigte und 401 Betroffene verblieben.
Die Beschuldigten sind demnach sehr überwiegend männlich (96 Prozent). 118 Beschuldigte (65 Prozent) sind Kleriker, 63 (35 Prozent) Laien. Bei 54 Prozent der Beschuldigten wurden von einem Betroffenen Vorwürfe erhoben, bei 46 Prozent von mehreren.
Einmalige Vorfälle sind selten (19 Prozent), der überwiegende Teil (81 Prozent) sind Mehrfachtaten; das Tatspektrum erstreckt sich dabei von einer sexualbezogenen Grenzverletzung bis zu einer besonders schweren sexualbezogenen Straftat. 61 Prozent der Missbrauchsfälle dauern länger als ein Jahr.
Von den 181 Beschuldigten kam es bei 81 zu einer Strafanzeige. Vor 2002 erfolgten sämtliche Strafanzeigen durch Zeugen oder Betroffene, nach 2010 zum überwiegenden Teil durch das Bistum. Aus den Strafanzeigen folgten 27 Strafverfahren. Es wurden acht Haftstrafen verhängt, davon eine für einen Diözesanpriester.
„Es zeichnete sich bereits in anderen Bistümern ab, dass die Ergebnisse erschreckend sind, das gilt auch für die Situation im Bistum Mainz“, sagte heute der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Man habe sich bewusst in der Konzeption der Studie nicht für einen rein juristischen Ansatz entschieden.
Kleriker und andere hätten sich auf Kosten der ihnen Anvertrauten großgemacht, sie hätten andere in vielerlei Hinsicht schrecklich missbraucht, erklärte der Bischof. Er habe etwas erfahren über die systemischen Ursachen des Missbrauchs an Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen, so Kohlgraf.
Und es hätten Personen versagt. „Es hat in der Zeit von Kardinal Lehmann, Kardinal Volk und auch davor große Verfehlungen und Versäumnisse im Bistum an vielen Stellen gegeben. Es ist wichtig, dass das mit der EVV-Studie heute öffentlich wird“, sagte Kohlgraf.
Die Taten und Vergehen, die mit der Studie an die Öffentlichkeit kämen, gehörten genauso wie das Wegsehen und die Unfähigkeit Betroffenen Gehör und Glauben zu schenken, zur Geschichte des Bistums Mainz. Er wolle als Bischof, gemeinsam mit der Bevollmächtigten und dem Generalvikar sowie mit den verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles tun, um Vorsorge zu treffen.
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