Medizin

Nahrungsergänzungs­mittel: Alle 24 Minuten ein Anruf beim US-Giftnotruf

  • Mittwoch, 26. Juli 2017
Kind schluckt Pillen /S.Kobold, stock.adobe.com
/S.Kobold, stock.adobe.com

Columbus – In den USA registriert das National Poison Data System (NPDS) zuneh­mend Belastungen durch Nahrungsergänzungmittel, die nicht im Krankenhaus auftre­ten. Zwischen den Jahren 2005 und 2012 nahmen diese Fälle um fast 50 Prozent zu. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher vom Center for Injury Research and Policy und dem Central Ohio Poison Center in einer retrospektiven Studie, die im Journal of Medical Toxicology publiziert wurde (2017; doi: 10.1007/s13181-017-0623-7). Einen vergleich­baren Trend für Deutschland lassen zumindest die Daten des GGIZ (Gemeinsames Giftinformationszentrum der Länder Mecklenburg‑Vorpommern, Sachsen, Sachsen‑An­halt und Thüringen) nicht erkennen.

Alle 24 Minuten erreichen die US-Infor­mationszentralen für Vergiftungen einen Anruf aufgrund von Nahrungsergän­zungsmitteln. Sie können in den USA für etwa 1,4 Prozent der gemeldeten Expo­si­tionen im NPDS verantwortlich gemacht werden. An erster Stelle stehen mit 44 Prozent Nahrungsergänzungs­mittel mit verschiedenen Inhaltsstoffen, an zweiter Stelle stehen mit fast 32 Pro­zent pflanzliche und mit 15 Prozent hormon­haltige Produkte. Die meisten Anrufe beim Giftnotruf verursachen in den USA Schmerzmittel, Pflegeprodukte und Putzmittel, sagt Henry Spiller, Direktor am Central Ohio Poison Center des Nationwide Children’s Hospitals.

In 70 Prozent der Vergiftungsfälle mit Nahrunsgergänzungsmitteln handelt es sich um Kinder, die die Drogerie­pro­duk­te zu Hause versehentlich runter­schlucken. Bei 4,5 Prozent hat die Ver­gif­­tung ernsthafte medizinische Konse­quenzen – vor allem für jene, die älter als sechs Jahre sind. Zu den Produkten mit der toxischsten Wirkung zählen die Autoren Ma-huang (Ephedrakraut), Yohimbe und Energydrinks, die sowohl die körper­liche Kraft als auch mentale Fähigkeiten verbessern sollen. Die Autoren sprechen sich daher für eine Verpackung aus, die Kinder vor allem vor Energydrinks und Yohimbe schützt. Zudem fordern sie die Food and Drug Administration (FDA) dazu auf, diese gesundheitsgefährdenden Inhaltsstoffe zu regulieren.

Zahlen und Fakten aus Deutschland zum Vergiftungsgeschehen

Zwar steigt in Deutschland die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln. Sie ver­ursachen vermutlich aber weniger Anrufe beim Giftnotruf als in den USA. „Nahrungs­ergänzungsmittel spielen im Vergiftungsgeschehen des GGIZ zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle“, sagt die kommissarische Leiterin des GGIZ Dagmar Prasa dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). In den letzten zehn Jahren seien bei Expositionsfällen, die im GGIZ beraten wurden, 330 Nahrungsergänzungsmittel beteiligt gewesen. „Das ent­spricht einem Anteil von lediglich 0,16 Prozent aller im GGIZ in diesem Zeitraum registrierten Noxen“, erklärt Prasa und verweist auf die Statistik des Giftnotrufs aus den Jahren 2007 bis 2016. Den Hauptanteil unter den im GGIZ registrierten Nahrungs­ergänzungsmitteln bilden mit 66 Prozent die Mineral- und Vitaminpräparate, der Anteil der Pflanzenextrakte beträgt zehn Prozent.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) teilt mit, dass ihm im Zeitraum 2000 bis 2016 209 Vergiftungsfälle mit Nahrungsergänzungsmitteln gemeldet wurden. Das Spektrum der Produkte sei dabei weit gefächert: Die häufigsten Nennungen fallen auf Produkte zur Gewichtsreduktion, Multivitamin-Produkte und Präparate gegen Wechseljahresbeschwerden.

Diese Zahlen spiegeln jedoch nicht das nationale Vergiftungsgeschehen wider, da die meisten diesbezüglichen Fälle an die acht Giftinformationszentren Deutschlands gemeldet werden. Bisher würden diese Daten nicht zentral zusammengeführt, erklärt das BfR auf Anfrage des . Das soll sich jetzt mit dem Forschungsprojekt „Nationales Monitoring von Vergiftungen“ ändern. Dieses wird für bestimmte Produktgruppen von Sommer 2017 bis Sommer 2018 Fallberichte bei den Giftinformationszentren Deutschlands zusammengeführt und auswerten. Ein Teilprojekte umfasst die Gruppe der Nahrungsergänzungsmittel.

Yohimbin ist in Deutschland verschreibungspflichtig

Die stark von den USA abweichenden Zahlen erklärt sich die Apothekerin und Human­toxikologin auch durch unterschiedliche Kategorisierungen: „Yohimbe- und andere Präparate, die im Internet als Nahrungsergänzungsmittel gehandelt werden, aber aufgrund ihrer Inhaltsstoffe eher in die Kategorie illegales Arzneimittel fallen, sind im GGIZ nicht als Nahrungsergänzungsmittel registriert.“ In den USA und Deutschland gelten für Yohimbinsäure und ihre Ester (Yohimbin) unterschiedliche Regeln. Das BfR zählt sie zu den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Sie werden zur Behandlung von sexuellen Dysfunktionen inklusive Erektionsproblemen eingesetzt. Die medizini­sche Wirkung ist jedoch nicht erwiesen. In kosmetischen Mitteln sind Yohimbin und seine Salze hierzulande verboten. Hingegen ist Yohimbe in den USA als Nahrungs­ergänzungsmittel erhältlich.

Vor Ephedra-haltigen Produkten warnten Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin­produkte (BfArM) sowie das Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) bereits im Jahr 2002. Das aus der chinesischen Medizin bekannte Kraut von Meerträubelgewächsen sei weder als Arzneimittel zugelassen noch dürfe es als Lebensmitteln vertrieben werden. Auch die FDA hat den Vetrieb Ephedra-haltiger Nahrungsergänzungsmittel im Jahr 2004 verboten. Ma-huang ist laut Spiller das einzige bereits von der FDA regulierte Mittel auf der Studienliste, das seinen Status als Nahrungsergänzungsmittel abgeben musste.

gie

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