Neuer Streit um Notfallversorgung

Berlin – Um die Notfallversorgung von Patienten ist nach Äußerungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ein neuer Streit entbrannt. Hintergrund ist die anstehende Reform der Notfallversorgung, die bislang unvollendet auf dem Tisch von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) liegt. Ein neuer Entwurf könnte dem Vernehmen nach aber in den nächsten Wochen kommen.
Die DIVI hatte gestern betont, dass die Notaufnahmen der Krankenhäuser auch während der COVID-19-Pandemie erste Anlaufstelle für Akut- und Notfallpatienten gewesen seien. Es scheine, die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) hätten sich als Vertretung der niedergelassenen Ärzte „oftmals aus der Verantwortung zurückgezogen“, kritisierte André Gries, Sprecher der Sektion „Strukturen Klinische Akut- und Notfallmedizin“ der DIVI.
Er betonte, wer während besonderer Ereignisse wie der aktuellen Pandemie Praxen schließe und für Patienten nicht erreichbar sei, verspiele seine Glaubwürdigkeit, auch in Zukunft eine tragende Rolle übernehmen zu können. Gries meint mit Blick auf die ausstehende Reform der Notfallversorgung und die geplante Einrichtung von Integrierten Notfallzentren (INZ): „Die Kliniken haben klare Führungskompetenz bewiesen – das muss die Politik jetzt berücksichtigen!“
Streit gibt es nach wie vor zwischen Kliniken und KVen darüber, wer künftig für die Sicherstellung der Notfallversorgung verantwortlich ist – und somit den Hut aufhat. Ein erster Gesetzesentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sieht für die an der Notfallversorgung teilnehmenden Krankenhäuser zukünftig die Einrichtung eines Integrierten Notfallzentrums (INZ) vor. An diesem zentralen Anlaufpunkt soll dann die Weiterleitung in den KV-Bereich beziehungsweise die Behandlung in der Zentralen Notaufnahme und gegebenenfalls die stationäre Aufnahme in das Krankenhaus erfolgen.
„Grundsätzlich eine gute Idee, allerdings lässt die aktuelle Coronasituation mit der Nichtwahrnehmung des Versorgungsauftrags seitens der KV erwarten, dass in großem Umfang die Patientenversorgung selbst bei den weniger kritischen Fällen doch bei den Kliniken bleiben wird“, sagte DIVI-Präsident Uwe Janssens. Die Leitung der INZ könne nicht wie im Gesetzentwurf vorgesehen, den KV übertragen werden. Das sei „inakzeptabel“.
DIVI-Behauptungen völlig absurd und schlichtweg falsch
Als „völlig absurd und schlichtweg falsch“ bezeichnet der Bundesvorsitzende des NAV-Virchowbundes, Dirk Heinrich, die Verlautbarungen. Für die Behauptungen gebe es keine einzige belastbare Zahl. Bemühe man jedoch die Daten, werde schnell das Gegenteil der DIVI-Behauptungen sichtbar.
Dem NAV zufolge seien zu Beginn der Pandemie erhebliche Fallzahlrückgänge von etwa 25 Prozent in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser festgestellt worden. Zeitgleich seien die Hausbesuche im organisierten Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen in den letzten beiden Märzwochen des Jahres 2020 um rund 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Das gehe aus einer Auswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) hervor. Grund ist demnach der Ausbau des fahrenden Bereitschaftsdienstes der KVen.
Zeitgleich haben laut NAV im März 113 und im April 868 Krankenhäuser Kurzarbeit angemeldet. Viele Kliniken haben darüber hinaus die Kurzarbeit umgangen, indem ein Überstundenabbau bei Ärzten und Pflegepersonal angeordnet worden sei. „Eine Notfallversorgung ohne Vertragsärzte fährt direkt an die Wand“, stellt Heinrich fest.
Fakt sei vor allem, dass die Bewältigung der Pandemie in Deutschland nur durch das wirkungsvolle Miteinander von starken ambulanten Strukturen und einer leistungsfähigen Kliniklandschaft bislang so erfolgreich gewesen sei, fährt Heinrich fort. Nur durch den ambulanten Schutzwall, in dem sechs von sieben Coronapatienten behandelt worden seien, sei ein schnelles Überlaufen der Kliniken, so wie in vielen anderen Ländern, verhindert worden.
Heinrich konstatiert aber auch, dass es bei den DIVI-Äußerungen im Kern nicht um Corona gehe. Vielmehr werde die Pandemie „benutzt“, um den zu erwartenden und notwendigen Abbau von Klinikstrukturen zu verhindern.
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