Streit um Notfallversorgung findet kein Ende

Berlin – Der Streit um die Reform der Notfallversorgung geht unvermindert weiter. Zur heutigen Verbändeanhörung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bezogen abermals Befürworter und Kritiker öffentlich Position. Der Gesetzentwurf zielt darauf, Patienten stärker in eine passende Versorgung zu lotsen. Dadurch sollen sie auch seltener in überfüllten Notaufnahmen von Krankenhäusern warten.
Vorgesehen ist zum einen ein gemeinsames telefonisches Leitsystem, für das die Rettungsleitstellen mit der Notrufnummer 112 und der ärztliche Bereitschaftsdienst mit der Nummer 116117 zusammenarbeiten sollen. Zum anderem sollen in Kliniken zentrale Anlaufstellen eingerichtet werden, die je nach Dringlichkeit des Anliegens über die passende Behandlung entscheiden.
Am Wochenende stützte bereits der GKV-Spitzenverband die Pläne von Bundesgesundheitsminster Jens Spahn (CDU). Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sieht in den Plänen des Ministers eine deutliche Verbesserung bei der Patientenversorgung in akuten Fällen.
„Wer ambulant behandelt werden kann, gehört weder in die Notaufnahme noch in ein Krankenhausbett“, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. „Wer hingegen mit Blaulicht in die Klinik kommt, wird auch künftig ohne Umweg sofort in der Notaufnahme versorgt.“ Die vorgelegten Reformpläne böten große Chancen.
Solche „Integrierten Notfallzentren“ sorgten für klare Verhältnisse, sagte Stoff-Ahnis. Sie könnten ein Erfolgsmodell werden, wenn dort Kliniken und ambulant tätige Ärzte Hand in Hand arbeiten und sich gut abstimmen. Stoff-Ahnis betonte, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für die Zentren festlegen solle.
KBV sieht kleineren Korrekturbedarf
„Wir unterstützen das Ziel des Gesetzgebers, die ambulante und stationäre Notfallversorgung besser zu verbinden“, erklärte auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Andreas Gassen. Der Sicherstellungsauftrag für die ambulante notdienstliche Versorgung liege weiter bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Das sei richtig. „Eine Aufspaltung würde zu ineffizienten Doppelstrukturen führen und große Probleme mit sich bringen“, sagte er.
Einige Klarstellungen wünscht sich die KBV allerdings. „Die KVen haben zahlreiche regional passende Angebote und Strukturen auch an und mit den Krankenhäusern bereits eingerichtet. Es muss immer darauf geachtet werden, dass bei der Notfallreform auf diese bestehenden Strukturen aufgebaut wird“, erläuterte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister.
Das umfasse die bestehenden Portal- und Notdienstpraxen genauso wie das Angebot fachspezifischer Leistungen, beispielsweise von augenärztlichen Bereitschaftsdiensten. Zudem sollte aus Sicht der KBV eine Klarstellung hinsichtlich der Leitungsfunktion der integrierten Notfallzentren (INZ) durch die KV in der Weise erfolgen, dass sich diese auf die organisatorische Leitung der ambulanten – also der den Teil der Sicherstellung der ambulanten Versorgung betreffenden – Notfallversorgung des INZ bezieht.
Klärungsbedarf besteht aus Sicht der KBV vor allem auch im Hinblick auf eine vollständige Finanzierung der Leistungsangebote. Diese sei im Gesetzesentwurf nicht eindeutig festgelegt. „Die Haushalte der KVen dienen ausschließlich der Finanzierung der Verwaltungstätigkeiten und können nicht für medizinische Leistungsangebote für Versicherte verwendet werden“, sagte KBV-Vorstandsmitglied Thomas Kriedel. Deshalb sollten die Krankenkassen verpflichtet werden, zweckgebunden einen Beitrag zur Förderung der Strukturen der notdienstlichen Versorgung bereitzustellen.
Zi sieht Probleme bei Ersteinschätzungsverfahren
Für das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) enhält der Entwurf auch Schwächen. So weise der Gesetzentwurf medizinischen Ersteinschätzungsverfahren die Funktion zu, im konkreten Fall den zuständigen Kompetenzbereich zu identifizieren. Das sei grundsätzlich richtig und leistbar. Allerdings fehle die Notwendigkeit zur Einigung auf einheitliche Kriterien der Ersteinschätzung.
„Derzeit gibt es rund 250 Rettungsleitstellen in Deutschland. Jede einzelne soll künftig im Rahmen gemeinsamer Notfallleitsysteme individuelle Vereinbarungen mit den KVen über Endpunkte und Disposition der Versorgung schließen“, sagte Zi-Chef Dominik Graf von Stillfried. Zudem solle der G-BA Vorgaben zur Durchführung der Ersteinschätzung in den INZ machen.
Damit könnten laut Zi innerhalb der von den KVen zu verantwortenden Versorgung künftig unterschiedliche Ersteinschätzungsverfahren gleichzeitig wirken. Das sollte im Interesse einer effizienten Steuerung unbedingt vermieden werden, mahnt der Zi-Chef. Der Entwurf müsse sich noch stärker an den bereits erfolgreich aufgebauten Strukturen der KVen für die Akutversorgung orientieren.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) forderte eine grundsätzliche Kehrtwende bei den Planungen. Eine Konzentration ambulanter Notfallstellen auf deutlich weniger Kliniken würde Überbelastung und Wartezeiten noch verstärken.
Eine Umfirmierung bestehender Krankenhausambulanzen in eigenständige Betriebe schaffe neue Schnittstellenprobleme und unwirtschaftliche Doppelstrukturen. Niedergelassene Ärzte müssten die Notfallversorgung über Hausbesuche sicherstellen, damit es weniger vermeidbare Klinik-Einweisungen aus Alten- und Pflegeheimen gebe.
Arbeitsgemeinschaft Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) sieht das ähnlich wie die DKG. Der Gesetzentwurf zwinge Krankenhäuser und KVen einmal mehr zur Intensivierung der Zusammenarbeit bei der ambulanten Notfallversorgung vor Ort. „Die bloße Fortsetzung immer engerer Kooperationsverpflichtungen mit den überholten Rollenbildern und Strukturen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wird keine nachhaltige Verbesserung schaffen“, prognostizierte AKG-Geschäftsführer Helmut Schüttig.
Nur ein tatsächlich unabhängiger Leistungsbereich mit eigenständigem Finanzierungsrahmen werde zukunftsfähige und patientenorientierte Versorgungskonzepte hervorbringen und damit weit über die Notfallversorgung hinaus einen wertvollen Grundstein für die wichtigen Strukturreformen im Gesundheitswesen legen.
Um unnötige Krankenhauseinweisungen tatsächlich zu vermeiden, müssen der AKG zufolge die Behandlungsmöglichkeiten der Krankenhäuser in die Versorgung mit eingebunden werden können. So könnten diagnostische Untersuchungen oder temporäre Überwachungen im Auftrag eines unabhängigen Notfallzentrums und vor einer stationären Einweisung realisiert werden.
Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEKV) und die Diakonie halten grundsätzlich Neuregelungen für sinnvoll. Dabei müssten die Bedürfnisse der Patienten berücksichtigt werden, sagte der DEKV-Chef Christoph Radbruch. „Menschen wünschen sich, im Notfall qualifiziert versorgt zu werden und zeitnah die Notaufnahme zu erreichen.“
Daher lehne der Verband eine Konzentration der geplanten INZ auf wenige Standorte an großen Häusern ab. Wichtig sei es, insbesondere die Bedürfnisse älterer und kognitiv eingeschränkter Menschen einzubeziehen, meinte Radbruch. Schon heute sei jeder dritte Patient in der Notaufnahme älter als 70 Jahre.
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