Neurologen kritisieren Richtlinie zur Ersteinschätzung in Notaufnahmen

Berlin – Neurologische Fachgesellschaften warnen vor den Plänen zur Ersteinschätzung von Hilfesuchenden in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Hintergrund ist die „Richtlinie zur Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfes in der Notfallversorgung“, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Juli verabschiedet hat.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI), die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) befürchten, dass Patienten mit neurologischem Versorgungsbedarf nicht korrekt zugeordnet und daher gefährdet werden.
Die Fachgesellschaften weisen daraufhin, dass die Qualität und Zuverlässigkeit des Systems vom konkreten Ersteinschätzungsverfahren abhänge – dieses Verfahren zur Patientenzuordnung stehe aber bislang nicht zur Verfügung und könne daher auch nicht beurteilt werden.
„Insbesondere für neurologische Patientinnen und Patienten ist zu befürchten, dass akute oder subakute neurologische Symptome durch ein unzureichendes Ersteinschätzungsverfahren falsch zugeordnet werden und erst spät – und in manchen Fällen womöglich zu spät – die erforderliche Diagnostik und Behandlung durchgeführt wird“, warnen die Fachgesellschaften.
Sie weisen daraufhin, dass bestehende Ersteinschätzungsverfahren für neurologische Erkrankungen nicht validiert seien. Zudem falle es insbesondere Patientinnen und Patientinnen mit neurologischen Symptomen schwer, ihre Beschwerden adäquat zu artikulieren.
Bei gleichem Leitsyndrom fänden sich zudem sehr unterschiedliche Diagnostik- und Behandlungsdringlichkeiten. Beispielsweise könne sich hinter dem sehr häufigen neurologischen Leitsymptom Kopfschmerzen eine eher harmlose Ursache wie eine Migräne bis hin zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie einer Hirnblutung oder Meningitis verstecken.
„Zusammengefasst ist aus Sicht von DGNI, DGNC und DGN eine Umsetzung des G-BA Beschlusses für Patientinnen und Patienten mit neurologischen Symptomen gefährlich“, warnen die Fachgesellschaften.
Der G-BA hatte am 6. Juli ein standardisiertes Verfahren zur Einschätzung der Behandlungsdringlichkeit von Hilfesuchenden in Notaufnahmen definiert. Handelt es sich laut Ersteinschätzung um einen medizinischen Notfall, sollen Patienten ambulant im Krankenhaus weiterversorgt oder auch stationär aufgenommen werden.
Ist ein sofortiger Behandlungsbedarf nicht angezeigt, soll die weitere Versorgung in einer Vertragsarztpraxis erfolgen. Dafür hat der G-BA weitere Abstufungen festgelegt, bei der Patienten zwei Dringlichkeitsgruppen zugeordnet werden.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) sieht die Richtlinie kritisch. „Es geht offenbar darum, möglichst viele Menschen, die sich selbst ins Krankenhaus einweisen, von dort wieder wegzuschicken, ohne dass sie angemessen ärztlich begutachtet wurden“, sagte der DGINA-Präsident Martin Pin.
Ebenso hält die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) die neue Richtlinie für nicht geeignet, um in Notaufnahmen medizinische Notfälle schnell von weniger drängenden Fällen zu unterscheiden.
„Es ist weder ein klarer Mehrwert noch eine mögliche Verbesserung der Akutversorgung oder eine bedarfsgerechte Steuerung von Notfallpatienten erkennbar“, sagte der DIVI-Präsident Felix Walcher, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg.
Die Richtlinie ist zwar vom G-BA beschlossen worden, aber ist noch nicht abschließend in Kraft getreten. Derzeit prüft das Bundesgesundheitsministerium die Richtlinie.
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