Ärzteschaft

Neurologen kritisieren Richtlinie zur Ersteinschätzung in Notaufnahmen

  • Montag, 4. September 2023
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Berlin – Neurologische Fachgesellschaften warnen vor den Plänen zur Erstein­schätzung von Hilfesuchenden in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Hintergrund ist die „Richtlinie zur Ersteinschätzung des Versorgungs­be­darfes in der Notfallversorgung“, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Juli verabschiedet hat.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI), die Deutsche Gesellschaft für Neuro­chirurgie (DGNC) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) befürchten, dass Patienten mit neurolo­gischem Versorgungsbedarf nicht korrekt zugeordnet und daher gefährdet werden.

Die Fachgesellschaften weisen daraufhin, dass die Qualität und Zuver­läs­sig­keit des Systems vom konkreten Ersteinschätzungsverfahren abhänge – dieses Verfahren zur Patientenzuordnung stehe aber bislang nicht zur Verfügung und könne daher auch nicht beurteilt werden.

„Insbesondere für neurologische Patientinnen und Patienten ist zu befürch­ten, dass akute oder subakute neu­rologische Symptome durch ein unzurei­chendes Ersteinschätzungsverfahren falsch zugeordnet werden und erst spät – und in manchen Fällen womöglich zu spät – die erforderliche Diag­nostik und Behandlung durchge­führt wird“, warnen die Fachgesellschaften.

Sie weisen daraufhin, dass bestehende Ersteinschätzungsverfahren für neurologische Erkrankungen nicht vali­diert seien. Zudem falle es insbeson­dere Patientinnen und Patientinnen mit neurologischen Symptomen schwer, ihre Beschwerden adäquat zu artikulieren.

Bei gleichem Leitsyndrom fänden sich zudem sehr unterschiedliche Diagnostik- und Behandlungsdringlichkei­ten. Beispielsweise könne sich hinter dem sehr häufigen neurologischen Leitsymptom Kopfschmerzen eine eher harmlose Ursache wie eine Migräne bis hin zu einer lebensbedroh­lichen Erkrankung wie einer Hirnblu­tung oder Meningitis verstecken.

„Zusammengefasst ist aus Sicht von DGNI, DGNC und DGN eine Umsetzung des G-BA Beschlusses für Patien­tinnen und Patienten mit neurologischen Symptomen gefährlich“, warnen die Fachgesellschaften.

Der G-BA hatte am 6. Juli ein standardisiertes Verfahren zur Einschätzung der Behandlungsdringlichkeit von Hilfesuchenden in Notaufnahmen definiert. Handelt es sich laut Ersteinschätzung um einen medizinischen Notfall, sollen Patienten ambulant im Krankenhaus weiterversorgt oder auch stationär aufgenommen werden.

Ist ein sofortiger Behandlungsbedarf nicht angezeigt, soll die weitere Versorgung in einer Vertragsarztpraxis erfolgen. Dafür hat der G-BA weitere Abstufungen festgelegt, bei der Patienten zwei Dringlichkeitsgruppen zugeordnet werden.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) sieht die Richtlinie kritisch. „Es geht offenbar darum, möglichst viele Menschen, die sich selbst ins Krankenhaus einweisen, von dort wieder wegzuschicken, ohne dass sie angemessen ärztlich begutachtet wurden“, sagte der DGINA-Präsi­dent Martin Pin.

Ebenso hält die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) die neue Richt­linie für nicht geeignet, um in Notaufnahmen medizinische Notfälle schnell von weniger drängenden Fällen zu unterscheiden.

„Es ist weder ein klarer Mehrwert noch eine mögliche Verbesserung der Akutversorgung oder eine bedarfsge­rechte Steuerung von Notfallpatienten erkennbar“, sagte der DIVI-Präsident Felix Walcher, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg.

Die Richtlinie ist zwar vom G-BA beschlossen worden, aber ist noch nicht abschließend in Kraft getreten. Derzeit prüft das Bundesgesundheitsministerium die Richtlinie.

hil

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