Fachgesellschaft warnt vor neuem Verfahren für Ersteinschätzung in Notaufnahmen

Berlin – Die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) hat ihre Kritik an der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Ersteinschätzung in Notaufnahmen bekräftigt. „Der vorliegende Beschluss konzentriert sich auf die Abweisung der Patientinnen sowie Patienten und nicht auf deren Versorgung“, sagte der DGINA-Präsident Martin Pin.
Die Einführung eines Ersteinschätzungsverfahrens ohne wissenschaftliche Validierung gefährde die Patientensicherheit, warnte er. Dies solle durch hohe und auf absehbare Zeit nicht umsetzbare Personalanforderungen an Pflegekräfte und den ärztlichen Dienst kompensiert werden, so Pin.
Der G-BA hatte am 6. Juli ein standardisiertes Verfahren zur Einschätzung der Behandlungsdringlichkeit von Hilfesuchenden in Notaufnahmen definiert. Die Richtlinie sieht vor: Handelt es sich laut Ersteinschätzung um einen medizinischen Notfall, sollen Patienten ambulant im Krankenhaus weiterversorgt oder auch stationär aufgenommen werden. Ist ein sofortiger Behandlungsbedarf nicht angezeigt, soll die weitere Versorgung in einer Vertragsarztpraxis erfolgen.
Dafür hat der G-BA weitere Abstufungen festgelegt, bei der Patienten zwei Dringlichkeitsgruppen zugeordnet werden: In der ersten Gruppe soll die Versorgung innerhalb von 24 Stunden entweder ambulant im Krankenhaus oder in einer Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) am oder im Krankenhaus stattfinden. Auch die Betreuung in einem medizinischen Versorgungszentrum des Krankenhauses ist möglich.
Besonders kritisch sieht die DGINA die allgemeine Stoßrichtung der Richtlinie: „Es geht offenbar darum, möglichst viele Menschen, die sich selbst ins Krankenhaus einweisen, von dort wieder wegzuschicken, ohne dass sie angemessen ärztlich begutachtet wurden“, sagte der DGINA-Präsident.
Zudem würden die Kliniken durch ein Weiterschicken nicht entlastet. „Wir rechnen im Gegenteil eher mit einer höheren Belastung durch einen zusätzlichen Aufklärungs-, Dokumentations- und Organisationsaufwand“, erklärte Christoph Dodt, Chefarzt am Notfallzentrum der München Klinik Bogenhausen. Durch die Richtlinie werde die Behandlung von als weniger dringlich Eingestuften unnötig verkompliziert, bürokratisiert und verteuert, so seine Kritik.
Anders als in der G-BA-Richtlinie vorgesehen, regt die DGINA an, die Behandlungsdringlichkeit von Menschen, die ohne Einweisung medizinische Hilfe suchen, nicht erst im Krankenhaus zu ermitteln. Die Fachgesellschaft fordert vielmehr eine zielgerichtete Steuerung über eine Leitstelle, die telemedizinische Konsultationen anbietet und Termine bei Niedergelassenen vermitteln kann. „Wer ambulant in die Klinik kommt, sollte dort auch abschließend behandelt werden, notfalls durch die Unterstützung von Kassenärztinnen und -ärzten“, so Pin.
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat die G-BA-Richtlinie in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Gesundheitsminister der Länder ebenfalls kritisiert.
Der Spitzenverband der Fachärzte (Spifa) unterstützte hingegen den G-BA. Es gehe mit der Richtlinie darum, dauerhaft und nachhaltig Patientenströme zu entwickeln, die die überfüllten Notaufnahmen entlasteten. Darüber hinaus müssten Patienten lernen, dass nicht jede körperliche Beschwerde ein Notfall sei, der im nächstgelegenen Krankenhaus versorgt werden müsse.
„Hier sind auch die Bundesländer und Kommunen in der Pflicht, entsprechend darüber zu informieren, wohin sich Patientinnen und Patienten mit ihrem gesundheitlichen Anliegen wenden können, bevor sie ins nächstgelegene Krankenhaus marschieren.“
Der SpiFa bekräftigt überdies die Forderung nach einem absoluten Aufnahmeverbot von Patienten für Krankenhäuser ohne integrierte Notfallzentren (INZ) und fordert die Regierungskommission auf, Ihre Empfehlungen für die Notfallreform entsprechend zu ergänzen. „Ohne eine entsprechende Regelung macht das ganze Reformkonzept keinen Sinn. Denn damit bliebe prinzipiell bei der Notfallversorgung Alles beim Alten und sie würde lediglich um die INZ ergänzt,“ sagte der SpiFa-Vorstandsvorsitzende Dirk Heinrich.
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