Niedergelassene wollen Impfpriorisierung aus Arztpraxen fernhalten

Berlin – Die Praxen der niedergelassenen Ärzte dürfen nicht zum zentralen Ort von Entscheidungen und Diskussionen darüber werden, wer vorrangig gegen SARS-CoV-2 geimpft werden soll. Das haben heute verschiedene Vertreter der Ärzteschaft betont. Sie nehmen damit Stellung zum Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) einer SARS-CoV-2-Impfverordnung.
„Eine Priorisierung darf nicht in den Arztpraxen erfolgen“, sagte Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Weder die Auslastung in den Praxen durch die Patientenversorgung noch die epidemiologische Lage lasse es zu, die Praxen mit dem millionenfachen Ausstellen von Impfberechtigungen zu belasten. Es sei daher zwingend erforderlich, dass die derzeit vorliegende Impfverordnung in diesem Punkt konkretisiert wird.
Hofmeister begrüßte, dass die Ständige Impfkommission (STIKO) nun eine erste Empfehlung zur Priorisierung ausgesprochen hat. „Dies ist ein wichtiger erster Schritt. Wenn dann die Menge der vorhandenen Impfstoffdosen steigt und insbesondere einfachere Lagerungsbedingungen bestehen, ist es angezeigt, die Impfungen von Zentren in die Arztpraxen zu verlagern. Spätestens bis dahin sollte die STIKO ihre Empfehlungen ergänzt haben“, führte er aus.
Ebenfalls dringend nachgebessert werden müsse die Einordnung des Personals des ambulanten Notdienstes und der vertragsärztlichen Praxen als prioritär zu impfende Kohorte. Insbesondere bei der Behandlung von unbekannten Patienten, deren Vorgeschichte und Diagnosen man nicht kenne, sei ein erhebliches Infektionsrisiko gegeben. „Ein drohender Ausfall von ambulantem Notdienst und Praxen hätte katastrophale Auswirkungen auf den Verlauf der Pandemie“, erklärte er.
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, der zugleich Präsident der Bundesärtekammer (BÄK) ist. Die Versorgung und medizinische Verantwortung mache nicht an der Klinikpforte halt, sagte er. Die Einordnung von Ärzten in der ambulanten Versorgung müsse revidiert werden. Er halte es für „paradox“, dass die Niedergelassenen als Risikogruppe später an der Reihe seien, sie aber zugleich durch Atteste aktiv priorisieren sollten.
Generell sieht Reinhardt den Vorschlag der STIKO, in den Praxen per Attest de facto eine neue Priorisierungsinstanz einzuführen, kritisch. „Wenn es nicht gelingt, und daran sind Zweifel angebracht, für diese Attestierung klar definierte Kriterien zu formulieren, dann birgt dies nicht nur nachhaltiges Konfliktpotenzial für das Arzt-Patientenverhältnis, sondern ist auch organisatorisch nicht zu bewältigen.“
Auch die Vereinigung der Kassenärzte im Rheinland kritisiert, dass niedergelassene Ärzte nach dem Konzept der STIKO erst spät gegen das Coronavirus geimpft werden sollen. „Eine Priorisierung ist unumgänglich“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, Frank Bergmann, der Rheinischen Post heute. Aus Sicht der Kassenärzte wäre es aber einleuchtend, dass neben dem Kreis der über 80-Jährigen, der Senioren- und Pflegeheimbewohner auch haus- und fachärztliche Praxen von der Impfkommission mit hoher Priorität eingestuft würden, sagte Bergmann.
Der Vorstand und der Hauptausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) hat sich gestern gegen die Ausstellung von Attesten in Arztpraxen für die Coronaimpfung ausgesprochen. Der Entwurf des BMG für eine „Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2“ sieht vor, dass Bürger zum Nachweis ihres Anspruchs auf Coronaimpfungen ein Attest über ihr erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf vorlegen müssen. Diese Atteste sollen in den Praxen von niedergelassenen Ärzten ausgestellt werden.
„Es darf nicht sein, dass das Bundesgesundheitsministerium die Entscheidungen für oder gegen eine Coronaimpfung den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten aufbürdet. Klare Priorisierungsentscheidungen müssen von den politischen Entscheidungsträgern kommen“, betonte Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KVN. Viele Praxen arbeiteten zudem schon jetzt aufgrund der Coronapandemie an der Belastbarkeitsgrenze, so Jörg Berling, stellvertretender KVN-Vorstandsvorsitzender. Für Gespräche und eventuelle Untersuchungen für Atteste zur Impfberechtigung bestehe keine Zeit.
Auch Medi Geno Deutschland lehnt eine Triage der Patienten per Attest ab. „Das ist Aufgabe des Staates und muss über ein Einladungssystem umgesetzt werden, wie es das zum Beispiel beim Mammographiescreening gibt“, erklärt der Medi-Geno-Chef Werner Baumgärtner. Wenn man jetzt noch jeden Tag der Arbeitszeit mit der Ausstellung von Attesten und den dafür notwendigen Gesprächen verliere, gehe das zulasten der akut und chronisch kranken Patienten.
Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) erklärte ebenfall, es sei Sache der Politik, klare Prioritäten festzulegen und diese auch in der Öffentlichkeit zu kommunizieren, anstatt die Verantwortung dafür individuell den Praxen zu übertragen.
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