Ausland

Niederlande erlauben ab Februar Sterbehilfe auch für Kinder

  • Montag, 29. Januar 2024
/Gorodenkoff, stock.adobe.com
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Den Haag – Seit 2002 ist die aktive Sterbehilfe in den Niederlanden legal. Ab Donnerstag geht das Land einen weiteren Schritt: Künftig soll auch bei schwer leidende Jungen und Mädchen unter zwölf Jahren unter bestimmten Voraussetzungen aktive Sterbehilfe erlaubt werden.

Die Verordnung, die den rechtlichen Spielraum für Ärzte in Notfallsituationen klarer abstecken soll als das Strafgesetzbuch, wurde jetzt im Staatsanzeiger veröffentlicht.

Laut Innenministerium betrifft die Regelung eine „kleine Gruppe“ von fünf bis zehn Kindern pro Jahr, „bei de­nen die Möglichkeiten der Palliativmedizin nicht ausreichen, um ihr Leiden zu lindern“. Damit folgt das Land seinem Nachbarn Belgien, das 2014 als weltweit erstes Land ein Gesetz verabschiedet hatte, das Sterbehilfe bei Kindern erlaubt.

In der neuen Verordnung sind noch keine Betreuungsanforderungen für die Beendigung des Lebens von Kin­dern enthalten. Ärzte sollen jetzt Standards entwickeln. Weiter heißt es, dass es „selbstverständlich ist, dass die Meinung des Kindes so weit wie möglich in einer dem Verständnis und dem Alter des Kindes angemesse­nen Weise eingeholt werden sollte“.

Und dass auf die Beendigung des Lebens verzichtet werden sollte, wenn ein Kind selbst zum Ausdruck bringt, dass es „seine derzeitige Situation der Beendigung des Lebens vorzieht“.

Bereits bisher können niederländische Jugendliche, die älter als zwölf Jahre sind, Sterbehilfe beantragen. Bis zum Alter von 16 Jahren ist die Zustimmung der Eltern erforderlich. Seit 2005 dürfen auch missgebildete Neu­geborene straffrei getötet werden, wenn Bedingungen eingehalten werden.

Von Anfang an gab es Warnungen vor einer „schiefen Ebene“. Als die Niederlande 2002 als erstes Land welt­weit aktive Sterbehilfe legalisierten, äußerten Kritiker Befürchtungen vor einer schleichenden Normalisie­rung.

Der Trend ist seither eindeutig: Nicht nur, dass Belgien im selben Jahr nachzog und Luxemburg 2009 folgte. Selbst das katholisch geprägte Spanien hat 2021 sowohl aktive Sterbehilfe als auch Beihilfe zum Suizid er­laubt, Portugal folgte 2023.

Auch innerhalb der Niederlande haben sich Grenzen beständig verschoben. Die Zahlen steigen: 2022 kamen 8.720 Menschen durch aktive Hilfe von Ärzten zu Tode. Das entspricht einem Anstieg von 13,7 Prozent zum Jahr 2021. 2022 entfielen rund 5,1 Prozent aller 169.938 Sterbefälle auf Tötung auf Verlangen (2021: 4,6 Prozent).

Auch die Diagnosen haben sich ausgeweitet: So ist laut Gesetz aktive Sterbehilfe nur bei schweren, unheilba­ren und unerträglichen Krankheiten zugelassen. Inzwischen akzeptieren Ärzte jedoch auch „Lebensmüdigkeit“ oder Altersgebrechen als Grund.

Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2020 ist die Tötung auf Verlangen von schwer dementen Patienten zulässig, wenn sie zuvor eine entsprechende Patientenverfügung formuliert haben, aber sich zum Zeit­punkt der geplanten Tötung gegen die Todesspritze wehren.

Das mit Abstand häufigste Leiden für den Todeswunsch war 2022 eine Krebserkrankung (57,8 Prozent). Beson­ders starke Anstiege gab es bei zwei Gruppen: So wurden 288 demenzerkrankte Menschen getötet – ein Plus von 34 Prozent gegenüber 2021. Ebenfalls überdurchschnittlich gestiegen ist die Zahl der Betroffenen mit einer „Häufung von Altersbeschwerden“ (plus 23,5 Prozent).

Aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Palliativstiftung, Thomas Sitte, ist die Ausweitung der aktiven Sterbehilfe auf Kinder eine inakzeptable Entscheidung – aber zugleich folgerichtig. Auch in Deutsch­land rechnet Sitte wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe über kurz oder lang mit der Zulassung der aktiven Sterbehilfe.

Der Palliativmediziner hat selbst von Eltern seiner kleinen Patienten verzweifelte Bitten auf Sterbehilfe gehört: „Eine Tötung dieser Kinder war niemals notwendig“, unterstrich er aber. „Es war immer als Lösung möglich, eine künstliche Lebenserhaltung nicht fortzuführen und vorhandenes Leiden palliativ zu lindern.“

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht Warnungen vor einer schleichenden Gewöhnung als bestät­igt an. „Die Niederlande zeigen, dass sich eine Gesellschaft mit der organisierten Tötung von Menschen arran­gieren kann“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Zugleich sei das Nachbarland bei der Versorgung mit Hospiz- und Palliativdiensten für Kinder schlecht aufgestellt.

kna

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