Notfallmediziner fordern Überarbeitung der Richtlinie zur Ersteinschätzung

Berlin – Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hält die neue Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für nicht geeignet, um in Notaufnahmen medizinische Notfälle schnell von weniger drängenden Fällen zu unterscheiden.
„Es ist weder ein klarer Mehrwert noch eine mögliche Verbesserung der Akutversorgung oder eine bedarfsgerechte Steuerung von Notfallpatienten erkennbar“, sagte der DIVI-Präsident Felix Walcher, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg.
Der G-BA hatte am 6. Juli in der Richtlinie Vorgaben für ein standardisiertes Ersteinschätzungsverfahren in Notaufnahmen von Krankenhäusern definiert. Sollte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Richtlinie nicht beanstanden, tritt sie nach ihrer Veröffentlichung im Bundesanzeiger automatisch in Kraft.
Eine solche Beanstandung durch das BMG mit nachfolgender Überarbeitung der Richtlinie fordert die DIVI. Die Fachgesellschaft erläutert ihre Kritik in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sowie alle Gesundheitsminister der Länder. Sie kritisiert dabei mehrere Bereiche.
Erstens setze die Richtlinie darauf, dass der ambulante Bereich die Notaufnahmen entlasten könne. „Wenn beide Sektoren bedient werden sollen, müssen verbindliche Vorgaben für die vorzuhaltenden Ressourcen auch im KV-Bereich gemacht werden. Diese Vorgaben fehlen aktuell noch“, heißt es dazu in dem Brief.
Die DIVI empfiehlt „bevor die Richtlinie umgesetzt werden kann, sollten die Versorgungsstrukturen, zum Beispiel in der kassenärztlichen Versorgung, so gestaltet sein, dass eine angemessene Notfallversorgung sichergestellt“ sei.
Außerdem sehe der G-BA-Beschluss vor, die Ersteinschätzung in der Notaufnahme ab 2027 nur noch durch examiniertes Pflegepersonal mit Zusatzqualifikation Notfallpflege oder durch Notfallsanitäter durchführen zu lassen. Die DIVI bezweifelt, dass dazu eine ausreichend hohe Anzahl qualifizierter Fachkräfte verfügbar ist.
„Und selbst wenn, dann brauchen wir diese hochqualifizierten Mitarbeiter vor allem zur Versorgung am Patienten und nicht gefangen in administrativen Prozessen“, sagte Martin Möckel, Mitglied der DIVI-Sektion „Strukturen in der Klinischen Akut- und Notfallmedizin“.
In dem Brief weist die DIVI daraufhin, dass die internationalen Ersteinschätzungssysteme dafür konzipiert und validiert seien, gerade kein hochspezialisiertes Fachpersonal zu benötigen, um zu einer zuverlässigen Ersteinschätzung zu gelangen.
„Es sollte möglich sein, dass entsprechend geschultes und erfahrenes Personal anderer Gesundheitsberufe in der Notaufnahme auch außerhalb der Qualifikation Notfallpflege das Ersteinschätzungsverfahren anwenden darf“, empfiehlt die Fachgesellschaft.
Die Ersteinschätzungs-Richtlinie sieht außerdem vor, dass bei Unklarheiten der Patientensteuerung in den ambulanten Sektor eine Fachärztin oder ein Facharzt mit Zusatzqualifikation Klinische Akut- und Notfallmedizin verfügbar sein muss, um die Weiterleitung zu veranlassen und zu dokumentieren. Dies könne aber vielerorts nicht umgesetzt werden, ist die DIVI überzeugt.
Abschließend kritisiert die Fachgesellschaft, dass sich die G-BA-Richtlinie ausschließlich auf Patienten bezieht, die gesetzlich versichert sind. Damit werde ein erheblicher Teil der Patienten – laut der DIVI zwischen 20 und 25 Prozent – nicht berücksichtigt, zum Beispiel Privatpatienten, Selbstzahler und Patienten deren Versorgung die Berufsgenossenschaften übernehmen.
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