G-BA beschließt Verfahren zur Ersteinschätzung in Notaufnahmen

Berlin – In Notaufnahmen soll ab Juni 2024 ein standardisiertes und qualifiziertes Ersteinschätzungsverfahren installiert werden. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) heute beschlossen. Damit müssen Krankenhäuser die Inhalte der Richtlinie für ihr Angebot in der Notfallversorgung erfüllen.
Dazu gehören Mindestanforderungen an das Verfahren für die Ersteinschätzung eines – subjektiven oder objektiven – Notfalles, an die digitalen Assistenzsysteme sowie die Qualifikation von pflegerischem und ärztlichen Personal.
Mithilfe der Ersteinschätzung soll künftig verlässlich beurteilt werden, wie schnell eine hilfesuchende Person versorgt werden muss – noch in der Notaufnahme oder beispielsweise 24 Stunden später in der vertragsärztlichen Versorgung.
Sofern ein sofortiger Behandlungsbedarf festgestellt wird, sollen Patientinnen oder Patienten ambulant im Krankenhaus weiterversorgt oder auch stationär aufgenommen werden. Ist ein sofortiger Behandlungsbedarf nicht angezeigt, soll die weitere Versorgung in einer Vertragsarztpraxis erfolgen.
Dafür hat der G-BA weitere Abstufungen festgelegt, bei der Patienten zwei Dringlichkeitsgruppen zugeordnet werden: In der ersten Gruppe soll die Versorgung innerhalb von 24 Stunden entweder ambulant im Krankenhaus oder in einer Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) am oder im Krankenhaus stattfinden. Hat ein Krankenhaus auch ein Medizinisches Versorgungszentrum, ist auch dort die Weiterbehandlung möglich.
Ist eine Versorgung nicht innerhalb der nächsten 24 Stunden notwendig, erhalten Versicherte einen Vermittlungscode, mit dem sie über die Terminservicestellen der KV einen Termin in einer Vertragsarztpraxis buchen können.
In der Richtlinie, die mit den Stimmen der drei Unparteiischen Mitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und dem GKV-Spitzenverband verabschiedet wurde, sind mehrere Übergangsfristen vorgesehen.
Für die Ausbildung von Personal gilt diese bis Ende 2027, die Einführung eines digitalen Instrumentes für das Verfahren muss bis März 2025 gewährleistet werden, einen Terminvermittlungscode soll bereits zum 1. Januar 2024 eingeführt werden.
Eine verbindliche Terminbuchung in einer konkreten Arztpraxis, wie es in ursprünglichen Plänen für die G-BA-Richtlinie vorgesehen war, ist allerdings nicht mehr möglich. Diesem Plan hatte die Bundespolitik durch einen Änderungsantrag im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz die gesetzgeberische Grundlage entzogen. Dies hatte viel Kritik auf sich gezogen und zog noch mehrere Briefwechsel hinter sich her.
Generell ist die Historie die Richtlinie in der Beschlussfassung durch den G-BA sehr wechselvoll – denn die Gesundheitspolitik im Bundestag hatte schon in der vergangenen Legislatur dem Gremium den Auftrag dazu gegeben.
Danach war sehr unterschiedlich damit umgegangen worden: Mal gab es an das Gremium offenbar Signale, man solle zügiger beschließen. Monate später wurden kurzfristige Anhörungstermine seitens des Bundesgesundheitsministerium abgesagt.
Dann wurde wieder angemerkt, man solle das Verfahren nicht so zügig vorantreiben, da die Ersteinschätzungsrichtlinie die geplante Krankenhausreform, an die sich eine Notfallreform anschließen soll, torpediere.
Diesen Umgang kommentierte Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, in der heutigen Plenumssitzung mehrfach süffisant: „Ich glaube, dass der G-BA heute einen Beschluss fasst, mit dem die Welt ein kleines bisschen besser wird, bis die Welt durch die große Notfallreform ganz gut wird.“
In der Pressemitteilung nach dem Beschluss liest sich das versöhnlicher: „Im Vorfeld des heutigen Beschlusses waren Stimmen zu hören gewesen, ob Regelungen des G-BA angesichts der anstehenden Krankenhausreform verzichtbar sind – dem ist nicht so“, so Hecken.
Denn erstens sei derzeit offen, wann die Reform tatsächlich stehen werde. Und zweitens werde es einige Jahre dauern, bis die für die Krankenhausreform angedachten Strukturveränderungen reale Versorgungspraxis seien. Daher müsse es für die längeren Übergangszeiten auch „praktikable und sachgerechte" Lösungen geben.
Das nun beschlossene Ersteinschätzungsverfahren ist ein Kompromiss zwischen den Vorschlägen des GKV-Spitzenverbandes und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie von Hecken selbst, der seinerseits auch einen Vorschlag erarbeitet hatte.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) stimmte gegen den Beschluss, die Patientenvertretung enthielt sich der Stimme. Die Vertretung der Bundesländer, die in diesem Fall auch ein Votum abgeben darf, sei „mehrheitlich dagegen“, zitierte Hecken. „Das freut mich, da das bedeutet, es gibt auch Länder, die unserem Vorschlag zustimmen.“
Die DKG war in die Plenumsdebatte mit einem eigenen Vorschlag gegangen, der vorsah, dass bis zur Etablierung der von der Regierungskommission vorgesehenen integrierten Leitstellen, Hilfesuchende nicht an den Tresen in Kliniken abgewiesen werden sollten, ohne eine ärztliche Einschätzung über die Dringlichkeit des Falles bekommen zu haben.
Die DKG bemängelt, dass es ein valides Ersteinschätzungssystem, das bis Mitte 2025 eingeführt werden soll, noch nicht gibt. „Eine solche Abweisung von Patienten ohne ärztliche Abklärung ist aus Sicht der DKG bis auf weiteres nur dann möglich, wenn eine im Krankenhaus unmittelbar erreichbare Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung diese Patienten direkt übernehmen kann“, erklärte der Vorsitzende der DKG Gerald Gaß im Nachgang der Sitzung.
In der Plenumsdebatte kritisierte er, dass die telefonische Ersteinschätzung durch die KVen unter der Nummer 116117 auch nicht immer wieder so gut funktioniere, nicht jedem wäre dabei geholfen, wenn es um „subjektive Notfälle" gehe.
Dies sei aus Sicht der DKG ein Verstoß gegen den gesetzlichen Auftrag, den der Gesetzgeber mit dem Änderungsantrag im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz vorgesehen hatte. „Deshalb muss jetzt die Richtlinie im weitere Verfahren auch durch die Rechtsaufsicht im Bundesgesundheitsministerium gestoppt werden“, so Gaß weiter.
Der Unparteiische Hecken sieht dem offenbar gelassen entgegen: „Ich erwarte mit Spannung, was nun das Bundesgesundheitsministerium will“, sagte er in der Plenumsdebatte. Er sei auch sehr gespannt auf die Krankenhausreform, die derzeit geplant werde. Ebenso blicke er mit Spannung auf die Debatte mit den Bundesländern, wenn es künftig nur noch 600 integrierte Notfallleitstellen geben solle. „Das wird eine intensive Debatte mit den Bundesländern“, prophezeite er.
Der GKV-Spitzenverband begrüßt dagegen die Entscheidung und bezeichnet es als den „ersten wichtigen Schritt zur Reform der Notfallversorgung“. Mit der Entscheidung werden die Notfallaufnahmen entlastet. „Was leider noch fehlt, ist die Möglichkeit, Menschen direkt einen verbindlichen Termin in einer ambulanten Praxis zu geben - das wäre für Hilfesuchende ein großer Mehrwert“, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin beim GKV-Spitzenverband, in einer Mitteilung.
Die Patientenvertretung hatte sich bei der Abstimmung enthalten und verweis dabei darauf, dass die verbindliche Weiterleitung der Patienten in die ambulante Versorgung schon heute nicht zuverlässig funktioniere. Patientinnen und Patienten gingen aus der Sicht von Patientenvertreterin Karin Stötzner auch nicht „einfach so“ in die Notaufnahme, sie wünschten sich über ihr subjektives Befinden eine professionelle Einschätzung, erklärte Stötzner.
Wenn Codes an Patienten für die Weiterbehandlung vergeben werden, dann müsse dies mit einer verbindlichen Terminbuchung geschehen, sagte sie. „Die Erwartungen an die Politik bei der Krankenhausreform sowie bei der Notfallreform sind sehr hoch, dass es hier deutlich bessere und verbindliche Sicherstellungssysteme gibt“, erklärte sie.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: