Ökonomischer Druck führt zu Teufelskreis
Berlin – Auf einer Veranstaltung der Bundesärztekammer (BÄK) haben sich Experten für eine Umgestaltung des Systems der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) ausgesprochen. „Ich halte das DRG-System im Kern für richtig“, sagte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery bei der Tagung „BÄK im Dialog – Patientenversorgung unter Druck“ vorgestern in Berlin. „Es gibt keine Alternative dazu.“ Es sei jedoch falsch, dass System zu 100 Prozent über DRGs zu finanzieren, so wie es in Deutschland geschehe.
Montgomery beschrieb, dass die Ärzte durch eine „zunehmende Merkantilisierung im Gesundheitswesen“ unter einen Druck gerieten, der auch die Patientenversorgung beeinflusse. Dabei betonte er den Unterschied zwischen Merkantilisierung und Ökonomie.
„Wir Ärzte sind der Ökonomie verpflichtet“, erklärte der BÄK-Präsident. „Ein sparsames, wirtschaftliches Verhalten ist ein Grundprinzip, das auch Ärzten abverlangt werden kann. Denn nichts ist unsolidarischer, als mit dem Geld der Versicherten verschwenderisch umzugehen.“ Ökonomisches Handeln habe im Gesundheitswesen insofern seine Berechtigung. Die Ökonomie müsse aber den Zielen der Medizin dienen und nicht umgekehrt.
Ethik in die Ökonomie integrieren
Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Ludwig-Maximilians-Universität München, beschrieb den Teufelskreis aus ökonomischem Druck, der mehr Stress bei den Ärzten und Pflegekräften erzeuge, wodurch sich deren Krankenstand erhöhe. In der Folge sinke die Qualität der Versorgung, was die Wettbewerbsfähigkeit des Krankenhauses reduziere. Dadurch steige der ökonomische Druck weiter.
Die Ursache für diese Situation liege nicht in der Ökonomie, sondern in der Politik, meinte Marckmann. Das DRG-System führe zu Fehlanreizen, wie einer Mengenausweitung von stationären Leistungen, die von der Politik nicht korrigiert würde. Dazu komme die unzureichende Investitionskostenfinanzierung durch die Bundesländer, die zu einer systemwidrigen Querfinanzierung der Betriebskosten durch die Krankenhäuser führe. Auch das werde nicht geändert.
Marckmann sprach sich dafür aus, die Ethik nicht gegen die Ökonomie zu stellen, sondern ethische Vorgaben in das ökonomische System zu integrieren. „Ein Krankenhaus wird nicht ethisch geführt, sondern betriebswirtschaftlich“, betonte er. „Mit Ethik dagegenzuhalten, wird nicht funktionieren.“ Ethische Vorgaben in ein Finanzierungssystem zu integrieren, sei jedoch nicht leicht, denn Führungsqualität und ein guter Umgang mit Mitarbeitern, zum Beispiel, seien schlecht zu objektivieren. Solche Informationen könnten allerdings über Mitarbeiterbefragungen erhoben werden. „Wenn sich die Mitarbeiter wohlfühlen, wenn sie motiviert sind, kann dadurch auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Krankenhauses gestärkt werden“, sagte Marckmann.
Deutschland ist für Investoren attraktiv
Diskutiert wurde bei der BÄK-Tagung auch über die zunehmende Aktivität von Private-Equity-Unternehmen im deutschen Gesundheitswesen. „Eine qualitativ hochwertige Versorgung in Stadt und Land bedingt, dass Monopole vermieden und der freiberufliche Charakter der ärztlichen Tätigkeit sowie die Wahlfreiheit der Patienten erhalten werden“, betonte Montgomery. „Wir brauchen Regelungen, mit denen die Größe von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Ketten auf ein für die Versorgung sinnvolles Maß begrenzt wird.“ Vorstellbar sei zum Beispiel eine zeitliche Begrenzung der Zulassung von MVZ.
Die Sichtweise der Investoren erklärte Franz-Robert Klingan von der Unternehmensberatung Bain & Company. „Es gibt eine Menge an Kapital, das eine Anlage sucht“, sagte er. Die Investoren seien dabei rationale Menschen, die ihr Geld dort anlegten, wo es eine Rendite erwirtschafte. Und das sei im deutschen Gesundheitswesen der Fall.
„Denn es gibt ineffiziente Leistungsbereiche, in denen Kapazitätsreserven bestehen“, so Klingan. „Der Anreiz für die Investoren ist: Alle werden gleich vergütet. Wer mit diesem Geld ineffizient arbeitet, erhält weniger Rendite. Wer aber effizient arbeitet, erhält mehr.“ Auch im Pflegebereich sei das so.
Ärzteschaft soll selbst in Unternehmen investieren
Deutschland sei dabei besonders attraktiv für die Eigenkapitalgeber, weil es hier relativ stabile und verlässliche Rahmenbedingungen gebe. Deshalb sei auch nicht davon auszugehen, dass die Attraktivität des deutschen Gesundheitswesens für Private-Equity-Unternehmen nachlasse. Bereits heute sei eine erhebliche Konsolidierung im Markt eingetreten.
„In der ambulanten Versorgung sind viele einzelne Praxen zu MVZ-Ketten zusammengeführt worden“, sagte Klingan. Ein Grund dafür sei auch, dass Ärzte, die ihre Praxis verkaufen wollen, häufig keinen Nachfolger fänden. Wenn dann ein Investor komme und die Praxis zu einem vernünftigen Wert abnehme, ergriffen viele Ärzte diese Chance. Zudem wachse auch die Nachfrage nach einer Angestelltentätigkeit.
Wenn das Rad in diesem Bereich allerdings zu weit gedreht werde, wenn zum Beispiel die Patient-Arzt-Beziehung durch diese Entwicklung eingeschränkt werde, sei es die Aufgabe der Ärzteschaft, darauf hinzuweisen und Stellung zu beziehen, meinte Klingan. Wenn die Politik die regulatorischen Vorgaben dann verändere, würden auch die Investoren vorsichtiger werden. Schließlich gehe es ihnen darum, eine Rendite zu erhalten. Klingan rief zudem die Ärzteschaft dazu auf, selbst in eigene Unternehmen zu investieren. „Wenn Sie das tun, haben Sie eine andere Form der Kontrolle“, sagte er.
Strategiewechsel der Politik notwendig
BÄK-Vorstandsmitglied Susanne Johna forderte einen „Strategiewechsel“ der Politik. Der Fokus müsse auf eine bedarfsorientierte Versorgung, statt auf die Reduktion der Kosten gelegt werden. „Für uns klinisch tätige Ärzte ist der ökonomische Druck durch Benchmarking und Zielvorgaben sowie Arbeitsverdichtung und Personalabbau täglich spürbar“, sagte Johna.
Ihre BÄK-Vorstandskollegin Heidrun Gitter ging auf die Zielvereinbarungen in Chefarztverträgen ein und berichtete über die Arbeit der eigens hierfür eingerichteten Koordinierungsstelle bei der Bundesärztekammer. „Zielvereinbarungen können sinnvoll sein, etwa wenn sie die Verbesserung der Versorgungsqualität und der Abläufe oder die Nutzung von Beinahe-Fehlermeldesystemen zum Inhalt haben“, sagte sie. Problematisch werde es dann, wenn Zielvereinbarungen dazu führten, dass ärztliche Entscheidungen zu Lasten des Patienten beeinflusst werden.
Ellen Lundershausen, ebenfalls Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer, richtete den Blick auch auf die eigenen Reihen und appellierte an die Chefärzte und Weiterbilder, Haltung zu zeigen. „Wenn junge Ärzte einen kritischen Chef haben, werden sie selbst einmal kritischer gegenüber der Geschäftsführung auftreten“, sagte sie.
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