Pandemiebereitschaftsverträge: Auch Hersteller GSK steigt aus

Berlin – Die Pandemiebereitschaftsverträge des Bundes verlieren erneut Unternehmen als Vertragspartner. Nachdem das Heidelberger Unternehmen Celonic im vergangenen Herbst ausgestiegen war, hat nun auch der Impfstoffriese GSK mit dem Konsortiumpartner CureVac den Vertrag beendet. Mit den Pandemiebereitschaftsverträgen will sich die Bundesregierung im Falle einer nächsten Pandemie schnellen Zugriff auf Impfstoffproduktionen sichern.
Die Verträge waren im Mai 2022 geschlossen worden und beinhalten bis Ende 2029 Gelder in Höhe von 2,861 Milliarden Euro. Die fünf Unternehmen stellen unterschiedliche Arten von Impfstoffen her. Mit dieser „Portfolio“-Idee soll es möglich sein, im Ernstfall auf die notwendige Technologie zurückgreifen zu können.
Der Vertragsausstieg von GSK wurde „im April 2024 terminiert“, erklärte das Unternehmen gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. „Aufgrund des sich rasch verändernden epidemiologischen Umfelds nach der COVID-19-Pandemie entschied sich das Konsortium bestehend aus CureVac und GSK nach beratenden Gesprächen mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und dem Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika (ZEPAI) den Pandemiebereitschaftsvertrag zu beenden“, heißt es weiter auf Anfrage. Wirksam wurde das Vertragsende Ende Mai. Der Haushaltsausschuss des Bundestages soll darüber am 8. Mai informiert worden sein, heißt es aus Kreisen des Ausschusses.
GSK und CureVac haben damit die im Vertrag vorgesehene Qualifizierungsphase nicht abgeschlossen, in denen das 2021 gegründete und für die Verwaltung der Bereitschaftsverträge zuständige ZEPAI die Unternehmen prüft, ob sie die Bedingungen für die Pandemiebereitschaft erfüllen. Daher seien keine Bundesgelder an GSK/CureVac bisher geflossen, so das Unternehmen.
Die weiteren drei Unternehmen, die in das Portfolio der Bereitschaftsverträge gehören, wollen die Verträge aber weiterhin erfüllen, erklären sie auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes.
So hat IDT Biologika, das im Vertragsportfolio für Vektorimpfstoffe zuständig ist, nach eigenen Angaben innerhalb von 14 Monaten die Bereitschaftsphase des Vertrages erreicht. „Nach der Unterzeichnung der Verträge am 3. Mai 2022 begann die Qualifizierungsphase, die IDT Biologika nach nur 14 Monaten erfolgreich abgeschlossen hat. Anschließend hat das ZEPAI den Eintritt in die Bereitschaftsphase zum 7. August 2023 bestätigt“, schreibt das Unternehmen.
Insgesamt stellt IDT Biologika Herstellungskapazitäten für 80 Millionen Dosen pro Jahr eines Vektorimpfstoffs bis 2029 am Standort in Dessau-Roßlau bereit. Dort wurde laut Unternehmensangaben ein „multifunktionales Produktionsgebäude für die Wirkstoffherstellung, eine neue Hochgeschwindigkeitsabfülllinie sowie ein zusätzliches Tiefkühllager“ aufgebaut.
Die Wacker Chemie AG aus München, die gemeinsam mit CordenPharma im Portfolio als Hersteller für mRNA-Impfstoffe zuständig sind, hatte vorgestern ein mRNA-Kompetenzzentrum in Halle/Saale eröffnet und an dem Standort mehr als 100 Millionen Euro investiert. In dem Werk sollen auch die Wirkstoffe im Rahmen der Pandemiebereitschaft hergestellt werden, teilte das Unternehmen mit. Über die finazielle Ausstattung der Verträge sowie die bisherigen Zahlungen des Bundes „machen wir keine Angaben“, hieß es auf Anfrage.
An dem Standort Halle soll auch für andere Kunden produziert werden, die Kapazitäten seien in Halle durch die Investition „mehr als verdreifacht“ worden, heißt es weiter. Insgesamt können jährlich 200 Millionen Impfdosen produziert werden. Mit dem Pandemiebereitschaftsvertrag sichert sich die Bundesregierung 80 Millionen Impfstoffdosen pro Jahr im Falle einer Pandemie.
Biontech aus Mainz betonte, dass der „Pandemiebereitschaftsvertrag zwischen der Bundesregierung und BioNTech nach wie vor besteht“, so eine Sprecherin des Unternehmens auf Anfrage. Biontech ist ebenfalls für die Produktion von mRNA-Impfstoffe in dem Portfolio der Bundesregierung. Im Notfall würde Biontech Produktionskapazitäten für die Herstellung von 80 Millionen mRNA-basierten Impfstoffdosen bereitstellen, hieß es bei Vertragsabschluss im März 2022. Weitere Details des Vertrages unterlägen der Vertraulichkeit, hieß es weiter.
Freiwerdende Gelder
Mit der Kündigung von GSK/CureVac werden nun auch wieder Gelder im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums frei – für die fünf Verträge insgesamt waren für 2024 544 Millionen Euro geplant, für 2025 sind es sogar 604 Millionen Euro. Wie viel die Kündigung durch GSK nun ausmacht, darüber möchte niemand offiziell sprechen. Für das Haushaltsjahr 2024 wurden durch die Kündigung von Celonic zwischen 50 und 56 Millionen Euro frei, heißt es aus Kreisen des Haushaltsausschusses. Genauere Zahlen gibt es mit Blick auf das Vertragsgeheimnis nicht.
Klar ist nur, dass für das Jahr 2026 bis zu 604 Millionen Euro zur Verfügung stehen würden, für das Jahr 2027 bis zu 563 Millionen Euro, für 2028 bis zu 326 Millionen Euro und zum Schluss im Jahr 2029 bis zu 59 Millionen Euro. Diese Zahlen können nun deutlich nach unten korrigiert werden.
Helge Braun (CDU), Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Bundestages, hatte sich in der Bundestagsdebatte über den Gesundheitsetat am 1. Februar 2024 darüber beschwert, dass das Bundesgesundheitsministerium den Ausschuss nicht frühzeitig über den damaligen Ausstieg von Celonic informiert hatte. Ohne Absprache hätte das BMG entschieden, einen zusätzlichen Vertrag über Totimpfstoffe anzustreben, dabei hatte man GSK als potenziellen Lieferanten für diese Art der Vakzine bereits im Portfolio.
Der neue Vertrag soll aber nicht geschlossen worden sein, und dies ist offenbar auch nicht geplant: „Eine Neuausschreibung oder Erweiterung von Pandemiebereitschaftsverträgen ist nicht vorgesehen. Die bestehenden Verträge decken die Pandemiebereitschaft ab“, teilte das BMG dem Deutschen Ärzteblatt mit.
„Über die nun erfolgte Kündigung von GSK ist der Ausschuss aber rechtzeitig informiert worden“, sagte Braun im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Am Sinn der Pandemiebereitschaftsverträge hält Braun fest, kritisiert aber, dass das Bundesgesundheitsministerium keinen Stresstest mit den einzelnen Unternehmen veranlasst habe. Bei dem Test kann geprüft werden, ob diese die notwendigen Kapazitäten im Pandemiefall überhaupt vorhalten könnten. „Das Bundesgesundheitsministerium geht offenbar eher davon aus, durch den Portfolioansatz mit unterschiedlichen Herstellern und unterschiedlichen Impfstoffen eine gute Lösung gefunden zu haben“, so Braun weiter. „Das ist für einen Haushälter eine unbefriedigende Antwort.“
Mit der Kündigung nun durch GSK/CureVac sowie zuvor Celonic sieht Braun „keinen Automatismus, einen weiteren Vertrag zu schließen.“ Aus seiner Sicht ist die weltweite Produktion von mRNA-Impfstoffen sehr hoch. Von Hilfsorganisationen wird geschätzt, dass weltweit rund 40 Milliarden Dosen produziert werden könnten. Auch bei Totimpfstoffen sei die Produktion in Europa hoch, von hier aus werde 75 Prozent des Weltmarktes bedient, so Braun. Eine Schwachstelle hat er im BMG-Portfolio eher bei den proteinbasierten Impfstoffen ausgemacht, da hier durch die Kündigung von Celonic keine Optionen mehr vorhanden sind.
„Was passiert, wenn solch ein Impfstoff die Lösung für die nächste Pandemie sein wird? Da fragen wir uns schon, warum das BMG da nicht hinterher ist“, so Braun. Auch bei diesem Impfstoff sieht das Ministerium keine Veranlassung, die Verträge zu erweitern.
Finanziell sei die Kündigung der Verträge für den Bundeshaushalt keine Belastung: „Die Verträge sind so gestrickt, dass erst Gelder fließen, wenn die Bereitschaftsphase des Vertrages erreicht ist. Offenbar haben die zwei Unternehmen das Interesse verloren, diese Bereitschaftsphase zu erreichen“, so Braun zum Deutschen Ärzteblatt.
Durch die Kündigung des ersten Vertrages von Celonic, die erst spät im Rahmen der Haushaltsverhandlungen bekannt wurde, konnte das BMG die Gelder in seinem Haushaltsplan erhalten. Diese wurden zur Gegenfinanzierung beispielsweise der Suizidprävention oder von Long-COVID-Forschungsprojekten genutzt.
Ob das für die folgenden Haushaltsjahre auch möglich ist, ist angesichts der aktuellen Debatte um den Haushalt 2025 ungewiss. „Die nun erfolgten Kündigungen vonseiten der Hersteller sind eine große Chance für den Bund, nicht notwendige Impfstoffkapazitäten zu vermeiden und Steuermittel für dringendere Aufgaben einzusetzen“, erklärt Paula Piechotta, Haushaltspolitikerin von den Grünen und zuständig für den Etat Gesundheit, auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes. Das Bundesgesundheitsministerium verweist darauf, dass „das regierungsinterne Aufstellungsverfahren zum Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2025 und des Finanzplans bis 2028 läuft und ist noch nicht abgeschlossen“ sei und daher das Ergebnis dieser Verhandlungen abzuwarten sei.
Den Pandemiebereitschaftsverträgen steht Piechotta inzwischen kritisch gegenüber. „Die Idee der Pandemiebereitschaftsverträge ist eine Idee aus der Hochzeit der Pandemie, in der Impfstoffe extrem rar waren und klassische Beschaffung aufgrund von Exportbeschränkungen nicht mehr greifen konnten.“
Aus ihrer Sicht zeigte sich aber zum Zeitpunkt des Bundestagsbeschlusses im März 2022, dass es weltweite Überkapazitäten bei der Impfstoffproduktion gab, so dass die Verträge weder „zeitgemäß noch wirtschaftlich waren.“ Der Haushaltsausschuss habe zum Vertragsabschluss „fraktionsübergreifend erhebliche Bedenken“ geäußert. Mit den beiden Kündigungen zeige sich nun, „dass trotz der außerordentlich lukrativen Konditionen Pandemiebereitschaftsverträge im Regelfall nicht mit sinnvollen Unternehmensstrategien kompatibel sind.“
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