Pflegeversicherung soll strukturell und finanziell reformiert werden

Berlin – Trotz der erneuten Anhebung des Beitragssatzes zu Beginn des Jahres liegen die Ausgaben in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) weiterhin über den Einnahmen. Nach Angaben des GKV-Spitzenverbands schloss die SPV die ersten drei Quartale des laufenden Jahres mit einem Defizit in Höhe von 550 Millionen Euro ab. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflege hat nun erste, noch nicht abgestimmte Eckpunkte für eine nachhaltige Struktur- und Finanzierungsreform in der Pflegeversicherung erarbeitet.
Unter anderem soll auf „zentrale Maßnahmen auf der Ausgabenseite abgestellt“ werden, heißt es in dem Entwurf, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Ein Schwerpunkt soll dabei auf der Stärkung der Prävention liegen, um so „Pflegebedürftigkeit möglichst zu vermeiden oder hinauszuzögern und damit die Ausgabendynamik spürbar zu dämpfen“.
Angedacht ist etwa die Erprobung einer freiwilligen Vorsorgeuntersuchung im Sinne eines Gesundheits-Check-ups („U 60+“) rund um den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand sowie eine systematische und verstärkte Ausrichtung der Strategien, Programme, Fördermittel und Leistungen der Krankenkassen auf die spezifischen Bedarfe von Menschen mit Pflegebedarf und deren An- und Zugehörigen.
Zusätzlich sollen die Schwellenwerte in der Begutachtungssystematik von Pflegebedürftigkeit auf ein „fachlich empfohlenes Maß angepasst“ werden.
Betont wird, dass Pflegebedürftige im Rahmen des Teilleistungssystems grundsätzlich weiterhin einen Teil der Pflegekosten selbst tragen müssten – allerdings strebe man im Zuge der geplanten Reform an, die Entwicklung der Eigenanteile vor allem im stationären Bereich zu begrenzen. Hierzu werden im Eckpunktepapier zwei mögliche Varianten angeführt.
Die erste Option stellt die Einführung eines monatlichen Sockelbetrags im stationären Bereich dar. Pflegebedürftige würden dann künftig nur diesen Sockelbetrag als pflegebedingten Eigenanteil bezahlen. Sämtliche darüberhinausgehenden Aufwendungen übernähme die SPV.
Die zweite Option sieht vor, die Leistungsbeträge der Pflegeversicherung regelmäßig anzupassen, um die realen Kostenentwicklungen im ambulanten und stationären Bereich abzubilden. So würde eine schleichende Entwertung vermieden und der Anstieg der pflegebedingten Eigenanteile begrenzt. Einen weiteren Baustein sollen Zusatzversicherungen bilden.
Zum Thema Pflegevorsorgefonds heißt es im Papier, dieser solle „deutlich gestärkt“ werden. Der Fonds soll künftig auf Dauer angelegt sein, „eine wesentlich höhere Kapitalausstattung“ erhalten und renditeorientierter aufgestellt werden. Auch soll „Zweckbindung, Professionalität und Schutz vor politischer Zweckentfremdung dauerhaft gewährleistet“ sein.
Maßnahmen auf der Einnahmenseite sollen die trotz der geplanten Maßnahmen auf der Ausgabenseite verbleibende Deckungslücke zwischen den zu erwartenden Beitragseinnahmen für die SPV und ihren Ausgaben schließen.
Ab dem Jahr 2027 soll beispielsweise die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung angehoben werden, um die Einnahmen der SPV aus beitragspflichtigem Einkommen zu stärken. Auch soll ein ausgabenseitiger Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegepflichtversicherung erfolgen, um eine „gerechtere Lastenverteilung“ herzustellen.
Für geburtenstarke Jahrgänge soll ein gestaffelter Zusatzbeitrag erhoben werden, um „einen zeitlich befristeten demografischen Mehrbedarf“ zu decken. Vorgesehen ist außerdem, dass Arbeitgeber für geringfügig Beschäftigte künftig einen Pauschalbeitrag zur Pflegeversicherung leisten – analog zu Kranken- und Rentenversicherung.
Vorgesehen ist auch, den Bundeszuschuss zur Pflegeversicherung dauerhaft um jährlich ein Milliarde Euro zu erhöhen sowie die während der Coronapandemie entstandenen Ausgaben der SPV vollständig aus Steuermitteln zu erstatten.
„Die Bundesregierung spricht mit den Ländern jetzt endlich auch über die Versorgungssicherheit. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Die jetzt bekannt gewordenen Vorschläge verlieren sich aber nach wie vor in Finanzierungsdetails mit fragwürdiger Umsetzungsperspektive“, kommentierte der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer, das Eckpunktepapier.
Wichtig sei jetzt, die professionelle pflegerische Versorgung für eine steigende Zahl von Pflegebedürftigen zu sichern. Dazu brauche man Personal, sichere und schnelle Refinanzierungen, einen Digitalisierungsschub und weniger Bürokratie, so Meurer. Im vorliegenden Papier seien erste Ansätze enthalten – nun sei eine Konkretisierung notwendig.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: