Psychisch kranke Kinder: KBV und Berufsverbände stellen Konzept für vernetzte Versorgung vor

Berlin – Mit dem Aufbau von Kompetenzverbünden, die eine vernetzte und kontinuierliche Therapie von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen gewährleisten, soll sich deren Versorgung verbessern. Ein entsprechendes Konzept haben heute in Berlin die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (bkjpp) und die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) vorgestellt.
Das Konzept ist aus der KBV-Vertragswerkstatt hervorgegangen und soll Teil des Bundesmantelvertrags werden. Darüber muss die KBV jetzt mit den gesetzlichen Krankenkassen verhandeln. Man wolle keine selektivvertragliche Lösung, erklärte Susanne Armbruster, Leiterin der Abteilung „Flexible Versorgungsformen und Patientenorientierung“ der KBV. Das neue Angebot solle allen Kindern und Jugendlichen mit komplexen psychischen Erkrankungen offenstehen, unabhängig davon, bei welcher Krankenkasse diese versichert seien.
Lebenswelten der Kinder einbeziehen
Kern des Versorgungskonzepts ist es Armbruster zufolge, mehr niedrigschwellige Angebote zu schaffen und die Lebenswelten der Kinder wie Kindergarten, Kita und Schule in die Therapie einzubeziehen. Kinder- und Jugendpsychiater sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sollen nach dem KBV-Konzept die Behandlung der Kinder steuern. Damit die Abstimmung mit anderen Gesundheitsberufen wie Haus- und Kinderärzten, Ergotherapeuten und Logopäden, aber auch mit stationären Einrichtungen reibungslos funktioniert, sollen sie mit diesen verbindliche Kooperationsvereinbarungen schließen. Auch Selbsthilfegruppen sowie die Jugend- und Gesundheitshilfe sind in das Behandlungskonzept eingebunden.
„Wir wollen die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten für psychisch kranke Kinder und Jugendliche erweitern“, sagte die Vorstandsbeauftragte des bkjpp, Christa Schaff. Eine koordinierte Behandlung sei insbesondere für die Eltern psychisch kranker Kinder oder Jugendlicher wichtig, denn diese seien häufig extrem verunsichert. Studien belegten, dass rechtzeitige Behandlungsangebote, zentrale Ansprechpartner, die Koordination der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, Absprachen zwischen den Therapeuten und eine gute Begleitung bei Übergängen zwischen ambulantem und stationärem Sektor von den betroffenen Eltern sehr geschätzt würden und zur Stabilisierung der Gesamtsituation beitragen könnten.
Lücke in Versorgung schließen
Mit dem neuen Versorgungskonzept wolle man über das hinausgehen, was auch jetzt schon gut laufe, erklärte Schaff. So soll beispielsweise eine Lücke in der gruppentherapeutischen Versorgung geschlossen werden. Derzeit scheitere eine Gruppentherapie häufig an der geringen Zahl von Patienten mit ähnlichen Störungen. Künftig sollen solche Therapien auch praxisübergreifend angeboten werden können und vor allem einen psychoedukativen Charakter haben, das heißt, Jugendliche, aber auch deren Umfeld, sollen im Umgang mit der Erkrankung geschult werden. „Neu ist auch die aufsuchende Betreuung“, erläuterte Schaff. Sie richte sich beispielsweise an Jugendliche, die nicht in der Lage seien, selbst in die Praxis zu gehen, weil sie an einer Angst- oder Zwangsstörung litten.
„Der Vertrauensaufbau zu Hause ist ein wichtiger Baustein, der im Moment fehlt“, sagte Schaff. Geplant ist darüber hinaus eine Therapieassistenz durch eine „WiGKI“, eine qualifizierte Begleitperson für psychisch kranke Kinder und ihre Familien, die diese in ihrem Lebensumfeld im Umgang mit der Erkrankung unterstützt. „Wir sehen im vorliegenden Vertrag eine große Chance, die Symptome komplex psychisch kranker Kinder und Jugendlicher ambulant schneller und somit auch besser behandeln zu können und eine Chronifizierung der Erkrankung zu vermeiden“, sagte Schaff. Der bkjpp hoffe sehr, dass der Vertrag zeitnah und bundesweit umgesetzt werden könne.
20 Prozent der Kinder sind psychisch auffällig
Komplexe psychische Erkrankungen wirkten sich auf die soziale Funktionsfähigkeit, den Bildungserfolg und die beruflichen Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen aus, erklärte die DPtV-Fachbeauftragte für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie Michaela Willhauck-Fojkar. Trotz zahlreicher ambulanter Angebote gebe es Kinder und Jugendliche, die nicht ausreichend von den bestehenden Behandlungsmöglichkeiten profitierten. Die geplanten Kompetenzverbünde schlössen hier Lücken im bisherigen Therapiespektrum.
In Deutschland seien etwa zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen von psychischen Erkrankungen betroffen, etwa 20 Prozent wiesen psychische Auffälligkeiten auf, sagte der KBV-Vorsitzende Andreas Gassen. Der Behandlungsbedarf sei groß und steige weiter. „Wir werden deshalb nicht darum herumkommen, Geld in die Hand zu nehmen, um die Versorgung im Sinne des Verbundkonzepts wirksam zu verbessern“, erklärte Gassen. Ganz konkret gelte diese Aufforderung den Kassen, die man jetzt als Vertragspartner gewinnen müsse: „Das Konzept liegt vor. Das erleichtert Verhandlungen.“
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