Psychotherapeuten prangern Einmischung der Kassen in laufende Therapien an
Berlin – Der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) hatte seine Landesverbände Ende 2019 dazu aufgerufen, Fälle von Einmischungen der Krankenkassen in die psychotherapeutische Behandlung zu dokumentieren. Seitdem seien 100 Fälle gemeldet worden, bei denen Krankenkassenmitarbeiter versuchten, Patienten einzuschüchtern oder drohten die Krankschreibung aufzuheben, wenn sie die Vorschläge der Kasse nicht befolgten, kritisiert der Verband heute.
„Dass unsere Patienten durch Angestellte der Kassen zu nicht indizierten Therapiemaßnahmen gedrängt werden, sie von diesen verunsichert und eingeschüchtert werden – mit oft weitreichenden negativen Folgen für den Genesungsprozess – ist ein Skandal“, sagte Benedikt Waldherr, Vorsitzender des bvvp, ein mit ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten gemischter Verband.
Viele Krankenkassen setzten sich offenbar systematisch darüber hinweg, dass ausschließlich Ärzte und Psychotherapeuten das Recht hätten, Diagnosen, Indikationen und Behandlungsempfehlungen auszusprechen, kritisierte der Psychotherapeut.
Nach einem Mitgliederaufruf zur Dokumentation von Einmischungsfällen gingen aus elf der 15 Landesverbände des bvvp anonymisierte Fallskizzen und Protokolle ein, die der bvvp auswertete. Aus der Auswertung geht hervor, dass Krankenkassen ihre Versicherten häufig dazu drängen, Anträge für eine Rehabilitationsmaßnahme zu stellen, auch wenn eine solche Maßnahme vom behandelnden Psychotherapeuten nicht empfohlen wurde.
Auffällig ist nach Angaben des bvvp in der Auswertung auch die Häufung von Fällen, in denen die Krankenkassen die Patienten auffordern, andere Behandlungsangebote als die Richtlinienpsychotherapie zu nutzen. Dabei würde von Patienten beispielsweise verlangt, an einer Gesundheitsberatung der Krankenkasse oder an einer Online-Intervention teilzunehmen.
Oft würden Patienten auch dazu gedrängt, sich trotz laufender psychotherapeutischer Behandlung Fachärzten oder Psychiatern vorzustellen. In einzelnen Fällen sei insistiert worden, die Patienten sollten sich besser in eine Klinik oder ambulant in einer Tagesklinik behandeln lassen. Ältere Patienten seien unter anderem dazu gedrängt worden, einen Rentenantrag zu stellen.
Auch mit Nachfragen zum Stand der psychotherapeutischen Behandlung, dem Drängen auf Einnahme von Medikamenten, oder auf Teilnahme an beruflichen Umschulungsprogrammen „üben die Krankenkassen Druck aus und stören damit spürbar den Heilungsprozess“, kritisiert Waldherr.
Er mahnte, man dürfe nicht zulassen, „dass Krankenkassen systematisch derartige Grenzüberschreitungen vornehmen, insbesondere wenn Patienten lange arbeitsunfähig sind und Krankengeld beziehen“.
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