Ärzteschaft

Psychothera­peutische Versorgung nicht durch Internet­interventionen ersetzen

  • Mittwoch, 9. Mai 2018
/Maybaum
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Erfurt – Der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt hat sich heute dagegen ausgesprochen, die von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten vorgenommene psychotherapeutische Versorgung psychisch Kranker durch internetbasierte Interventionen zu ersetzen.

Die fachlich spezifischen Behandlungen könnten höchstens „im Sinne einer vorge­schalteten diagnostischen Abklärung und begleitender Intervention, zum Beispiel durch eine Betreuung mit internetbasierter Intervention durch Medizinische Fachangestellte (MFA) in hausärztlichen Praxen, ergänzt werden“, betonten die Delegierten.

Jochen Gensichen /Gebhardt
Jochen Gensichen /Gebhardt

Zuvor hatte der Ärztetag kontrovers über dieses Thema diskutiert. Der Leiter des Instituts für Allge­meinmedizin an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, Jochen Gensichen, hatte die Bedeutung der Hausärzte für die Versorgung von Patienten mit psychischen Erkrankungen hervorgehoben. 61 Prozent der AOK-Versicherten mit einer Depression würden ausschließlich vom Hausarzt versorgt, elf Prozent ausschließlich von einem Psychiater und 20 Prozent von beiden gemeinsam, sagte Gensichen.

Er warb dafür, dass hausärztliche MFA zusätzlich zur normalen Therapie ein Case-Management durchführen, bei dem sie depressive Patienten einmal im Monat telefonisch nach ihrem Befinden und nach ihren Beschwerden fragen und gegebenenfalls Handlungsoptionen vorschlagen.

Ein systematisches Nachhaken scheine einen Effekt zu haben, sagte Gensichen. Denn die Patienten hätten das Gefühl, dass sich jemand um sie kümmere. Und ein struk­turiertes Herangehen an den strukturierbaren Teil der Behandlung von Depressiven gebe dem Hausarzt mehr Übersicht über die Behandlung. Er betonte, dass es dabei nicht um Internet­interventionen gehe.

Diagnose muss immer vom Psychiater kommen

Claudia Ritter-Rupp, Delegierte aus Bayern, sprach sich dagegen aus, psychisch Kranke über das Internet zu behandeln. „Es gibt eine Vielzahl von Onlineprogrammen, die auf den Markt drängen und die aggressiv vermarktet werden“, sagte sie. „Für Patienten gibt es eine unüberschaubare Zahl von Apps minderer Qualität.“

Claudia Ritter-Rupp /Gebhardt
Claudia Ritter-Rupp /Gebhardt

Dabei bedürfe es bei psychischen Erkrankungen einer sorgfältigen Diagnostik. „Man kann das nicht Online-Fragebögen überlassen“, betonte sie. „Hinter harmlosen Erschei­nungen können sich schwere Störungsbilder verbergen. Onlineübungen und auch freundliche Anrufe ersetzen den Psychotherapeuten nicht.“

Die Ärztliche Direktorin und Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Alexianer-St.-Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee, Iris Hauth, gab ihr grundsätzlich Recht: „Die Diagnose muss immer von einem Psychiater kommen.“ Zur Prävention oder als Add-on könnten internetbasierte Programme allerdings helfen. Diese müssten qualifiziert sein und dürften nicht „von irgendeinem Start-up in Zusammenarbeit mit irgendeiner Krankenkasse“ kommen.

Christa Bartels aus Nordrhein wies darauf hin, dass Patienten ihre psychischen Probleme lieber mit ihrem Arzt besprächen. Es sei etwas anderes, ob Patienten in der Sprechstunde ihrem Arzt gegenüber säßen oder mit einer MFA am Telefon sprächen.

fos

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