Psychotherapie bei älteren Menschen dient auch der körperlichen Gesundheit
Berlin – Traumatische Erlebnisse beschleunigen die Alterung und kosten gesunde Lebensjahre. Mit einer Psychotherapie erhalten ältere Menschen nicht nur ihre psychische, sondern auch ihre körperliche Gesundheit.
Auf diesen Zusammenhang hat Manfred Beutel, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz, anlässlich des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, der nächste Woche in Berlin stattfindet, hingewiesen.
Zwischen 20 und 30 Prozent der deutschen Bevölkerung berichten Beutel zufolge in großen Studien über Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung oder dysfunktionale Familienumgebungen mit Gewalt oder Substanzmissbrauch.
„Solche Kindheitsbelastungen haben nicht nur ungünstige Auswirkungen auf emotionale Bindungsfähigkeit und soziale Kompetenzen. Sie hinterlassen auch negative biologisch messbare Spuren im Körper“, sagte der Kongresspräsident.
Dazu zählten etwa die chronische Aktivierung des Stresssystems und die Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung. Die schädlichen Folgen reichen nach Angaben Beutels bis auf die molekularbiologische Ebene, wie die Forschung nachweisen konnte. So fänden sich bei Personen, die früh psychische Traumata erlebt haben, verkürzte Telomere, also die Schutzkappen an den Enden der Chromosomen.
Kürzere Telomere werden mit einer geringeren Lebenserwartung in Verbindung gebracht. „Traumatische Erlebnisse lassen unseren Körper schneller altern“, stellte Beutel fest. „Sie können die Immunabwehr beeinträchtigen, Herzkreislauferkrankungen fördern und die Muskelkraft schneller schwinden lassen, insbesondere, wenn die Traumata zu psychischen Erkrankungen führen.“ Am Ende stehe der Verlust gesunder Lebensjahre.
Doch es gibt Beutel zufolge Schutzfaktoren, die man nutzen könne. „Eine sichere Bindung, positive Erwartungen von Hilfe und Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen entwickeln sich in der Beziehung zu Vertrauenspersonen und können diesen negativen Einflüssen von ungünstigen Lebenserfahrungen entgegenwirken“, erklärte Beutel. Die Existenz einer solchen Vertrauensperson sei allerdings nicht immer gegeben. „Das können wir nur bedingt beeinflussen“, so Beutel.
Darüber hinaus könne Psychotherapie bei der Aufarbeitung der Traumata helfen, soziale Einbindung und Resilienz fördern. „Sie kann auch einen gesünderen Umgang mit dem eigenen Körper fördern und dadurch negativen körperlichen Folgen entgegenwirken“, so Beutel. Diese Option stehe allen Betroffenen offen.
Zunehmend ergreifen auch Ältere die Chance. „Selbst wenn ältere Menschen unter erheblichen psychosozialen Belastungen zu leiden hatten oder ihres Lebens überdrüssig wurden, haben sie Psychotherapie bis vor einigen Jahren wenig in Anspruch genommen“, berichtete Beutel. Das habe mit mangelnder Offenheit der Betroffenen zu tun gehabt, die nicht gewohnt waren, über ihre Gefühle mit fremden Personen zu sprechen.
„Aber auch Altersstereotypen der Therapeutinnen und Therapeuten trugen dazu bei, die das Änderungspotenzial älterer Menschen durch Psychotherapie unterschätzten“, sagte der Mainzer Experte. „Hier gibt es einen Wandel, und es kommen mehr ältere Menschen in Behandlung.“
Der Bedarf ist da. „Verluste von Nahestehenden, eigene Krankheit oder die unerwartete Konfrontation mit unverarbeiteten Belastungen können im Alter seelische Erkrankungen hervorrufen, vor allem, wenn die Widerstandskraft oder Selbständigkeit nachlässt“, erklärt der Kongresspräsident.
Durch Einbußen der Gesundheit oder Fähigkeiten können Ängste oder Depressionen wieder auftreten oder sich verschlimmern. „In diesem Sinne ist Psychotherapie bei Älteren nicht nur zur Behandlung seelischer Störungen angezeigt, sondern dient auch der Erhaltung von Aktivität und Gesundheitsverhalten und damit der Vorbeugung des Abbaus geistiger und sozialer Funktionen“, betont Beutel.
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