Quarantäneüberwachung sollte nicht an Gesundheitsämtern hängen bleiben

Berlin – Bund und Länder haben gestern beschlossen, die Regelungen für Reiserückkehrer aus Coronarisikogebieten zu verändern. Diese müssen demnach ab dem 1. Oktober verpflichtend in eine 14-tägige Quarantäne. Ein negativer Test auf SARS-CoV-2, der die Quarantäne beenden kann, soll frühestens nach fünf Tagen möglich sein.
Die Bundesärztekammer (BÄK) betonte, die Überwachung der häuslichen Quarantäne dürfe nicht auf die Ordnungsämter abgewälzt werden. „Die Amtsärzte sind voll damit ausgelastet, Infektionsketten nachzuverfolgen und Quarantänemaßnahmen einzuleiten“, sagte BÄK-Chef Klaus Reinhardt. Überwachung und Sanktionierung der Maßnahmen müssten andere übernehmen. Reinhardt nannte zum Beispiel Polizei und Ordnungsämter.
Reinhardt mahnte zudem mehr Einheitlichkeit an. Es trage nicht zur Akzeptanz von Präventionsmaßnahmen bei, dass sich Meldestrukturen und Quarantänebestimmungen der Gesundheitsämter teilweise sogar von Kommune zu Kommune unterscheiden würden, kritisierte der BÄK-Präsident. „Wir brauchen bundesweit viel stärker aufeinander abgestimmte und konzertierte Entscheidungs- und Informationsstrukturen im öffentlichen Gesundheitsdienst.“
Zögerlichkeit warf Reinhardt Bund und Ländern bei der angekündigten Stärkung der Gesundheitsämter vor: „Wir hätten uns gewünscht, dass sich Bund und Länder intensiver mit der Umsetzung des sogenannten Paktes für den öffentlichen Gesundheitsdienst beschäftigt hätten.“ Dieser Pakt wird derzeit von Bund und Ländern erarbeitet. Eine Konferenz bei Merkel am 8. September soll hier nächste Schritte einleiten.
„Deutschland erlebt die größte Gesundheits- und Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte, und in vielen Gesundheitsämtern muss immer noch analog statt digital gearbeitet werden“, kritisierte Reinhardt. „Und dass, obwohl die Pandemie ein hoch dynamisches Geschehen ist. Das muss sich ändern, und zwar sofort.“
Reinhardt begrüßte das beschlossene befristete Verbot für bestimmte Großveranstaltungen. „Öffentliche und private Großveranstaltungen können schnell zu Infektionsherden werden“, sagte er. „Bevor wir Schulschließungen oder sogar einen erneuten wirtschaftlichen Lockdown riskieren, sollten wir größere soziale Zusammenkünfte begrenzen“, so Reinhardt. „Im Moment ist einfach nicht die Zeit für Jahrmärkte und Schützenfeste.“
Das von Bund und Ländern angekündigte Ende der Kostenübernahme für freiwillige Tests von Reiserückkehrern aus Nicht-Risikogebieten sei angesichts der endlichen Ressourcen richtig und notwendig.
„Die Teststrategie von Bund und Ländern sollte darüber hinaus neben anlassbezogenen Testungen auch vermehrt auf Schnelltests setzen“, bekräftigte Reinhardt. Diese Tests lieferten bereits nach etwa einer Stunde ein Ergebnis. „Ärzte können Patienten direkt in den Praxen oder in Teststationen beraten und entsprechenden Quarantänemaßnahmen veranlassen.“
Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) begrüßte, dass von der vorherigen Strategie des Testens asymptomatischer Personen nach der Einreise aus Nicht-Risikogebieten Abstand genommen wurde. Der Beschluss stelle einen Paradigmenwechsel in der Teststrategie der Bundesregierung und der Bundesländer dar.
„Wir unterstützen ausdrücklich, dass Testungen auf ein vernünftiges Maß zurückgefahren werden. Es kann keine kostenlosen Testungen zulasten der Krankenkassen für Jede und Jeden geben, der einen Test machen möchte“, sagte Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des SpiFa. Man müsse sorgsam mit Testressourcen und Laborkapazitäten umgehen.
Der SpiFa hält es zudem weiterhin für zumutbar, dass rückkehrende Urlauber aus Risikogebieten, die ihren Aufenthalt im Ausland freiwillig gewählt haben, auch für die Kosten der Testung aufkommen müssen.
Grundsätzliche Kritik kam von der FDP. „Der Ansatz dieser Einigung ist schon falsch“, sagte Andrew Ullmann, FDP-Obmann im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Notwendig sei eine gemeinsame europäische Teststrategie zum Umgang mit Risikoregionen. „Nur so kann der grenzübergreifende Reiseverkehr, somit auch PKW, Bus und Bahn, effizient auf das Coronavirus getestet werden“.
Ullmann warf der Bundesregierung vor, es nicht zu schaffen, eine bundesweit einheitliche Regelung zu treffen. Sie versuche es gar nicht erst, eine europäische Teststrategie anzugehen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft bezeichnete er als „ambitionslos und bereits jetzt bei der COVID-19 Krise gescheitert“.
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