Rolle der Ärzteschaft in der NS-Zeit: 10. Herbert-Lewin-Preis verliehen

Berlin – Mit dem Herbert-Lewin-Forschungspreis „Aufarbeitung der Geschichte der Ärztinnen und Ärzte in der Zeit des Nationalsozialismus“ werden Arbeiten ausgezeichnet, die sich mit der Rolle der Ärzteschaft während der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Heute wurde der Herbert-Lewin-Preis gemeinsam vom Bundesgesundheitsministerium (BMG), der Bundesärztekammer (BÄK), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) zum zehnten Mal verliehen.
Volker Hess, Professor für Geschichte der Medizin an der Charité und Mitglied der Jury, würdigte die beiden prämierten Arbeiten vor allem auch, weil sie das Spektrum der in den letzten 20 Jahren vorgelegten Preisschriften enorm erweitert hätten, da sie einen anderen methodischen Ansatz und analytischen Fokus gewählt haben.
So erhielt Lea Münch für ihre Arbeit „Innenansichten der Psychiatrie im Elsass zur Zeit des Nationalsozialismus. Lebensgeschichten zwischen Strasbourg und Hadamar“ den ersten Preis. Die Studie beleuchtet individuelle Schicksale psychiatrischer Patientinnen und Patienten. Rund 270.000 Menschen seien zwischen August 1940 und Anfang 1942 aus dem annektierten Elsass, in das unbesetzte Vichy Frankreich ausgewiesen und abgeschoben worden - darunter auch die Insassen von Pflegeheimen und psychiatrischen Anstalten.
Was das konkret für das Leben der Betroffenen und ihre Familien, Freunde, sozialen Netzwerke sei quantitativ kaum zu erfassen, wohl aber aus der Perspektive der Betroffenen, also der Patientenperspektive. Das mache die Arbeit von Münch aus, erklärte Hess. Lea Münch begegne jedem dieser Schicksale mit einer zurückhaltenden Empathie. Was ihr ermöglicht, fast intim, aber wertschätzend auf die Geschichte dieser Menschen einzugehen. Auf diese Weise werden die Praktiken der psychiatrischen Versorgung und nationalsozialistischen Medizin in ihrer brutalen Banalität sichtbar und sehr anschaulich greifbar, betonte Hess.
Mit dem zweiten Preis wurde Dana Derichs ausgezeichnet. Ihre Arbeit „Die Medizinstudentinnen der Universität Erlangen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus“ analysiert Lebenswege und Karrieren von Frauen in der Medizin. Zwar sei schon oft über Frauen im Nationalsozialismus geschrieben worden, erläuterte Hess, aber nie ist sei die Gruppe der Studentinnen in einer sozialhistorisch so vorbildlichen Untersuchung kollektiv biografisch dargestellt worden.
Sorgsam lote Derichs die Ambivalenz im Leben der Medizinstudentinnen aus. Einerseits litten sie unter der nationalsozialistischen Familienpolitik. Es wurde die Zulassung weiblicher Studierender auf zehn Prozent begrenzt. Dann verloren verheiratete Ärztinnen ihre Kassenzulassung, und in Krankenhäusern wurden bevorzugt Männer unverheiratete männliche Ärzte eingestellt. Andererseits aber profitierten die Studentinnen Hesse zufolge mit Beginn des Krieges von der nationalsozialistischen sozialistischen Modernisierung. Sie ließen sich nicht nur bereitwillig in die nationalsozialistischen Organisationen einbinden und in verschiedener Weise militärisch in Dienst nehmen. Sie rückten auch im Studium wie im Gesundheitswesen in die vakanten Stellen auf, so Hess.
Die Auswahl der Preisträgerinnen erfolgte durch eine unabhängige Jury. Die Jurymitglieder wurden von den Trägerorganisationen benannt, zudem gehören ein Vertreter des Zentralrates der Juden in Deutschland sowie ein Vertreter jüdischer Ärztinnen und Ärzte dazu. Der Herbert-Lewin-Preis ist mit insgesamt 15.000 Euro dotiert und kann von der Jury auf mehrere verschiedene Arbeiten aufgeteilt werden.
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