Ärzteschaft: Hass und Antisemitismus dürfen keinen Platz haben
Berlin – Vor dem Hintergrund zunehmender antisemitischer Kundgebungen und Übergriffe sowie im Vorfeld der morgigen Verleihung des Herbert-Lewin-Preises 2023 hat sich die deutsche Ärzteschaft heute erneut deutlich positioniert. Das Signal: „Hass und Antisemitismus dürfen keinen Platz haben.“ Er darf „hierzulande niemals geduldet werde“.
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, sicherte dem Zentralrat der Juden in Deutschland die Solidarität der Ärzteschaft mit den jüdischen Kollegen sowie allen Juden in Deutschland zu. „Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland, unter ihnen auch viele jüdische Ärztinnen und Ärzte, bedroht und Gewalt ausgesetzt sind“, sagte Reinhardt nach einem Gespräch mit Zentralratspräsident Josef Schuster.
Gerade Deutschland stehe in der Pflicht, alles dafür zu tun, dass sich jüdische Menschen in öffentlichen Räumen ohne Angst vor Diffamierung und Gewalt frei bewegen können. Das gelte natürlich auch und gerade für jüdische Ärzte im Einsatz für ihre Patienten.
Mit großer Sorge betrachtet die Bundesärztekammer zudem die aktuelle Lage in Israel und im Gaza-Streifen. „Die Terrorangriffe der Hamas haben tausendfach Leid über die Menschen in Israel und die Zivilbevölkerung im Gazastreifen gebracht. Noch immer werden im Gaza-Streifen hunderte Geiseln festgehalten. Diese Menschen müssen unverzüglich freigelassen und in ihrer Heimat medizinisch versorgt werden“, sagte Reinhardt.
Mit Blick auf die schweren Kämpfe im Gaza-Streifen forderte der BÄK-Präsident, medizinische Einrichtungen und medizinisches Personal zu respektieren. Krankenhäuser dürften nicht als militärische Einrichtungen missbraucht werden. Patienten und alle, die sich um sie kümmerten, dürften nicht zu menschlichen Schutzschilden gemacht werden.
„Bei allen Kampfhandlungen muss der Schutz der Zivilbevölkerung und der medizinischen Einrichtungen beachtet werden“, sagte er. Notwendig seien zudem humanitäre Korridore für Nahrungsmittellieferungen, Arzneimittel und medizinisches Material. „Hass und Antisemitismus dürfen keinen Platz haben“, sagte Reinhardt, „nicht in Israel, nicht in Deutschland und nirgendwo sonst auf dieser Welt“.
Das betonte heute auch erneut die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). „Die aktuellen antisemitischen Vorfälle unterstreichen einmal mehr, wie wichtig es ist, dass wir Haltung zeigen. Wir müssen sichtbar und deutlich zum Ausdruck bringen: Wer gegen Jüdinnen und Juden hetzt oder zur Gewalt aufruft, hat in unserer Gesellschaft nichts verloren und wird mit den Mitteln des Rechtsstaats zur Rechenschaft gezogen“, sagte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV.
Es sei erschreckend und inakzeptabel, dass sich Juden in Deutschland nicht mehr sicher fühlten. Gassen: „Hier müssen wir dagegenhalten – als Ärzteschaft und als Gesellschaft insgesamt. Unsere Vergangenheit ist eine Verpflichtung für die Zukunft.“
Der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister erinnerte an das grausame Schicksal der durch die Nationalsozialisten ermordeten sechs Millionen Jüdinnen und Juden. „So etwas darf nie wieder geschehen! Deshalb ist der Kampf gegen Antisemitismus, gegen Diskriminierung und jegliche Form der Menschenfeindlichkeit nicht nur eine Aufgabe des Staates. Als Zivilgesellschaft sind wir ausnahmslos alle gefragt“, betonte der KBV-Vize.
Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der KBV, verwies mit Blick auf den Namensgeber des Forschungspreises, den 1982 verstorbenen deutschen Arzt und Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Herbert Lewin, auf den Umgang mit den jüdischen Kolleginnen und Kollegen.
„Nachdem 1938 die Reichsverordnung in Kraft getreten war, wurde jedem Arzt mit jüdischen Wurzeln im Deutschen Reich die Approbation entzogen. Diese Vergangenheit muss uns lehren, niemals wegzuschauen, wenn Menschen aufgrund ihrer Religion oder ihrer Herkunft angegriffen oder benachteiligt werden.“
Zur Aufarbeitung der Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus beteiligt sich die KBV am Herbert-Lewin-Preis, den sie zusammen mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), der Bundesärztekammer (BÄK), der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) ausschreibt. Die diesjährige Verleihung des Forschungspreises zur Rolle der Ärzteschaft in der NS-Zeit findet morgen statt.
Die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) verurteilte ebenfalls Antisemitismus und insbesondere Aggression und Gewalt gegen jüdische Mitbürger. „Wir können nicht akzeptieren, dass jüdische Menschen in Deutschland wieder um ihre Unversehrtheit fürchten müssen“, erklärte ÄKWL-Präsident Johannes Albert Gehle. „Unsere Gesellschaft darf nicht zulassen, dass erneut Menschen wegen religiöser Intoleranz ausgegrenzt oder gar angegriffen werden.“
„Angst macht krank“, machte Gehle deutlich, dass es in der aktuellen Situation nicht nur um grundsätzliche Werte der Gesellschaft, sondern auch um das konkrete Schicksal jedes Einzelnen geht. Ärztinnen und Ärzte seien deshalb besonders aufmerksam: „Zum ärztlichen Beruf gehört immer auch der Einsatz für Prävention – das beinhaltet die individuelle Gesundheit und die Vorbeugung von Krankheiten, aber auch die Bewahrung von Lebensverhältnissen, in denen niemand Angst vor Gewalt haben muss.“
Gewalt, warnt der Ärztekammerpräsident, werde in allen Bereichen des Lebens immer häufiger sichtbar. Das hätten in den vergangenen Jahren leider auch verstärkt diejenigen erlebt, die sich im Rettungsdienst, im Gesundheitswesen, bei Feuerwehr und Polizei für die Sicherheit und die Gesundheit anderer engagieren. „Für Ärztinnen und Ärzte ist dabei ganz selbstverständlich, ohne Vorbedingungen und unabhängig von Alter, Glaube, Herkunft oder sozialer Stellung eines Menschen zu helfen.“
Gewalt gegen Menschen anderen Glaubens sei niemals zu rechtfertigen und nicht zu akzeptieren, erklärte Gehle. „Generell geht es stets darum, einem anderen Menschen gegenüber Respekt zu zeigen. Keinesfalls darf aus Angst oder Gleichgültigkeit in der gegenwärtigen Situation ein leerer Raum um die Betroffenen entstehen – unsere Gesellschaft muss sich in diesem Punkt jetzt unbedingt solidarisch zeigen.“
In den vergangenen Wochen hatten sich mehrere Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen bereits gegen Antisemitismus positioniert.
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