„Der G-BA ist zu einer zentralen Schaltstelle geworden“
Berlin – Der Gemeinsame Bundessausschuss (G-BA) hat mit den über 20 Gesetzen dieser Legislaturperiode immer mehr Aufgaben und Ausarbeitungen zu Details übertragen bekommen. Einen Bericht über das Arbeitsjahr 2016 hat das Deutsche Ärzteblatt in Ausgabe 3/2017 veröffentlicht.
Im Interview mit dem unparteiischen Vorsitzenden des G-BA, Josef Hecken, spricht er über die Auswirkungen der G-BA-Arbeit auf den Arbeitsalltag von Ärzten, über das immer größere Arbeitspensum des Gremiums und die Freiheit vom politischen Druck, den es bei Entscheidungen im G-BA gibt. Doch wie bewerten die vier „Bänke“ im G-BA – das sind für die Vertragsärzte und -psychotherapeuten die KBV, für die Krankenhäuser die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), für die Krankenkassen der GKV-Spitzenverband sowie die Patientenvertreter – die Arbeit des vergangenen Jahres?

Fünf Fragen an Andreas Gassen, KBV-Vorsitzender und Mitglied im G-BA, zum Arbeitspensum des G-BA im Jahr 2016, den Strukturen im Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung sowie zur künftigen Zusammenarbeit mit den anderen Bänken.
DÄ: Rückblick auf das Arbeitsjahr 2016: Welche Aufgaben hat der G-BA aus Ihrer Sicht gemeistert, was ist allerdings dabei liegen geblieben?
Andreas Gassen: Der G-BA hat auch im letzten Jahr seine Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt. Beispiele sind die Vorgaben zur Krankenhausplanung (planungsrelevante Qualitätsindikatoren, Sicherstellungszuschläge und Notfallstrukturen), die Strukturreform im Bereich der Psychotherapie sowie der weitere Aufbau und die Integration des IQTIG in den Geschäftsbereich des G-BA. Hervorheben möchte ich auch den Beschluss einer einheitlichen Qualitätsmanagement-Richtlinie für alle Sektoren sowie den Start des ersten sektorenübergreifenden Qualitätssicherungsverfahrens. Völliges Neuland hat der G-BA mit der Errichtung des Innovationsfonds beschritten. Auch hier kann festgestellt werden: Die erforderliche Arbeit wurde geleistet. Liegen geblieben ist wenig.
Problematisch ist gelegentlich die lange Dauer von Verfahren. So wurde beispielsweise die gesetzlich bestehende Möglichkeit, Disease Management Programme zwecks Beschleunigung auf Grundlage Nationaler Versorgungsleitlinien zu entwickeln, bisher noch nicht genutzt. Der jährliche Controlling-Bericht des G-BA an den Deutschen Bundestag zeigt jedoch, dass die Performance gut ist und Zeitfristen bei der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben in der Regel auch eingehalten werden.
DÄ: Bekommt der G-BA inzwischen zu viele Arbeitsaufträge aus dem Bundesgesundheitsministerium? Ist die Fülle der Aufgaben noch leistbar?
Gassen: Das auch im internationalen Vergleich hohe Versorgungsniveau in Deutschland geht mit komplexeren Versorgungsstrukturen einher. Das merken wir auch bei der Arbeit im G-BA. Er ist zu einer zentralen Schaltstelle geworden, die bislang noch nicht „Land unter“ gemeldet hat. An den richtigen Stellen Input zu liefern, erfordert auch einen hohen Aufwand für die Trägerorganisationen und bindet nicht unerhebliche personelle und finanzielle Kapazitäten. Die Aufträge sollten daher einer systematischen Planung folgen. Sie sollten aus einer versorgungsbezogenen Perspektive je nach Relevanz priorisiert werden.
Grundsätzlich sollte zudem konsequent das Subsidiaritätsprinzip beachtet werden. Wo bewährte, oft regionale Lösungen und Strukturen existieren, ist die Notwendigkeit für zentrale Vorgaben oder die Übernahme zusätzlicher Aufgaben immer infrage zu stellen. Als Beispiel sei hier die Qualitätssicherung genannt, bei der die Kassenärztlichen Vereinigungen seit Jahrzehnten tätig sind und Expertise aufgebaut haben.
DÄ: Wie bewerten Sie Ihre eigene Rolle als Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im G-BA?
Gassen: Die KBV hat jahrzehntelange Erfahrung in der G-BA-Arbeit. Wir verstehen uns als eine tragende Säule einer funktionierenden und gelebten Selbstverwaltung. Zahlreiche Beratungsanträge werden von uns fachlich vorbereitet und vorangetrieben. Natürlich gab es auch Ärgernisse im vergangenen Jahr. Nachdem das Plenum des G-BA die Stimmberechtigung der KBV in Fragen der Notfallversorgung und Sicherstellungszuschläge für Krankenhäuser als gegeben ansah, wurde dies vom Bundesgesundheitsministerium beanstandet.
In Zeiten sektorenübergreifender Normen ist diese Entscheidung rückwärtsgewandt und unverständlich und kratzt an den Grundfesten einer funktionierenden Selbstverwaltung. Notabene: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist bei Fragen der Bedarfsplanung der Vertragsärzte stimmberechtigt.
DÄ: Ist das jetzige Konstrukt des G-BA den künftigen Herausforderungen gewachsen oder benötigt es Reformen?
Gassen: Bislang konnte unter Beweis gestellt werden, dass auch komplexe, zeitlich sehr eng gefasste Prozesse wie die Arzneimittelbewertung im Rahmen des AMNOG-Verfahrens und nunmehr auch das Methodenbewertungsverfahren mit Medizinprodukten hoher Risikoklassen schnell und zeitnah bewältigt werden können. Wichtig wird es dabei sein, den G-BA nicht zu überfordern. Werteentscheidungen beispielsweise, die einen gesellschaftlichen Konsens erfordern, sollten primär nicht dem G-BA aufgebürdet werden. Ich denke da zum Beispiel an Fragen der pränatalen Diagnostik in der Schwangerschaft. Ähnliches gilt für strukturelle Entscheidungen. Der G-BA kann den Bundesländern durch seine Beschlüsse nicht ihre Verantwortung für die Krankenhausplanung abnehmen. Es ist im Übrigen gut und richtig, dass der G-BA industriefrei ist. Und frei von wirtschaftlichen Interessen muss er auch bleiben.
DÄ: Ein Ausblick auf das Jahr 2017: Was erwarten Sie von der Arbeit in den Gremien, welche Schwerpunkte müssen gesetzt werden?
Gassen: Die Agenda des G-BA wird weitestgehend von außen bestimmt: Gesetzgebungsverfahren, die Aufbereitung der Beschlüsse zu neuen Arzneimitteln für Arztinformationssysteme oder Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie Gerichtsurteile zur Bedarfsplanung bestimmen die Themen, mit denen sich der G-BA beschäftigt. Eine eigenständige, ausschussübergreifende Schwerpunktbildung wie beispielsweise gezielte Maßnahmen zur Verbesserung einzelner Bereiche existiert noch nicht.
Ich denke dabei etwa an die Versorgung für Menschen mit seltenen Erkrankungen. Dafür ließen sich alle Regelungskompetenzen des G-BA (zum Beispiel Arzneimittel, Bedarfsplanung, Qualitätssicherung, Disease Management Programme) miteinander vernetzen – und zwar entlang des Versorgungspfades. Eine solche Vernetzung zu erarbeiten, könnte ein wichtiger Punkt der Tätigkeit für 2017 werden. Daneben bestehen für einzelne Teilbereiche schon Schwerpunkte, zum Beispiel im Bereich der Disease Management Programme oder der Bedarfsplanung.
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