„Die Stimmverteilung ist zunehmend problematisch“
Berlin – Der Gemeinsame Bundessausschuss (G-BA) hat mit den über 20 Gesetzen dieser Legislaturperiode immer mehr Aufgaben und Ausarbeitungen zu Details übertragen bekommen. Einen Bericht über das Arbeitsjahr 2016 hat das Deutsche Ärzteblatt in Ausgabe 3/2017 veröffentlicht.
Im Interview mit dem unparteiischen Vorsitzenden des G-BA, Josef Hecken, spricht er über die Auswirkungen der G-BA-Arbeit auf den Arbeitsalltag von Ärzten, über das immer größere Arbeitspensum des Gremiums und die Freiheit vom politischen Druck, den es bei Entscheidungen im G-BA gibt. Doch wie bewerten die vier „Bänke“ im G-BA – das sind für die Vertragsärzte und -psychotherapeuten die KBV, für die Krankenhäuser die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), für die Krankenkassen der GKV-Spitzenverband sowie die Patientenvertreter – die Arbeit des vergangenen Jahres?

Fünf Fragen an Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und Mitglied im G-BA, zum Arbeitspensum des G-BA im Jahr 2016, den Strukturen im Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung sowie zur künftigen Zusammenarbeit mit den anderen Bänken.
DÄ: Rückblick auf das Arbeitsjahr 2016: Welche Aufgaben hat der G-BA aus Ihrer Sicht gemeistert, was ist allerdings dabei liegen geblieben?
Georg Baum: Auch 2016 hat der G-BA die Rahmenbedingungen für die medizinische Versorgung maßgeblich weiterentwickelt. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz aus dem Jahr 2015 wurden der Selbstverwaltung zahlreiche neue Aufgaben übertragen. Dass die Selbstverwaltungspartner den größten Teil der Aufgaben fristgerecht umsetzen konnten, stellt die Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung und das Verantwortungsbewusstsein der Partner eindrucksvoll unter Beweis. Viele Aufgaben sind im Konsens gelöst worden. Der G-BA hat maßgeblich zur Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung beigetragen. Zu nennen sind Weiterentwicklungen in der Qualitätssicherung, wichtige weitere Nutzenbewertungen im Arzneimittelbereich, Weiterentwicklungen der vertragsärztlichen Bedarfsplanung, die Richtlinie zum Entlassmanagement oder wichtige Anpassungen und Korrekturen im Bereich der Personalvorgaben für die neonatologische Versorgung.
Doch nicht alle Entscheidungen sind aus Sicht der DKG sachgerecht getroffen worden. Dazu gehört die mehrheitlich gegen die DKG getroffene Entscheidung zum Sicherstellungszuschlag. Dass die Geburtsabteilungen nicht von den Zuschlägen erfasst werden, ist unter Daseinsvorsorgegesichtspunkten und den tatsächlichen Problemen in vielen Regionen nicht nachvollziehbar.
DÄ: Bekommt der G-BA inzwischen zu viele Arbeitsaufträge aus dem Bundesgesundheitsministerium? Ist die Fülle der Aufgaben noch leistbar?
Baum: Die Aufgabenfülle ist extrem. Grundsätzlich muss sich die Politik fragen, ob die Übertragung einzelner Aufgaben sinnvoll ist oder bestimmte Entscheidungen doch von der Politik getroffen werden. Und dabei geht es weniger um die Arbeitsbelastung, sondern eher um die Frage der staatspolitischen Verantwortung und des staatspolitischen Verständnisses, und damit verbunden um die Frage, welche Aufgaben der Staat selbst gesetzgeberisch lösen muss und welche er auch zukünftig an die Selbstverwaltung delegieren kann. Zu den Aufgaben des Staates gehören aus unserem Verständnis bedeutende Umgestaltungen im System, zum Beispiel das Stufenkonzept für die Notfallversorgung. Zudem stellt sich die Frage, welche der Aufgaben die Selbstverwaltungspartner unter dem Dach des Gemeinsamen Bundesausschusses und welche der Aufgaben sie auf dem Wege zwei- oder dreiseitiger Vereinbarungen und damit außerhalb der Strukturen des G-BA lösen sollten. Letzteres sollte Vorrang haben: Vertrag statt Richtlinie.
DÄ: Wie bewerten Sie Ihre eigene Rolle als Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft im G-BA?
Baum: Die DKG hat sich immer konstruktiv in die Debatten eingebracht. Unsere Bereitschaft zeigt sich auch in der Abarbeitung von Vorgaben, die durchaus mit höheren Anforderungen und bürokratischen Lasten für die Krankenhäuser verbunden sind. Grundsätzlich ist es für alle Verbände der Leistungserbringer nicht unproblematisch, an solchen Vorgaben mitzuwirken. Darin liegt aber die Besonderheit des selbstverwalteten Gesundheitswesens und gleichzeitig eine Stärke der eigenverantwortlichen Selbststeuerung.
DÄ: Ist das jetzige Konstrukt des G-BA den künftigen Herausforderungen gewachsen oder benötigt es Reformen?
Baum: Grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass nur die Verbände im G-BA Entscheidungen treffen können, die die Umsetzungs- und Finanzierungsverantwortung tragen. Deshalb kann die Rolle der Patientenvertreter nicht in diese Verantwortungsebene gehoben werde. Gleiches gilt auch für die Bundesärztekammer, die in der Rolle des formal Beteiligten im Rahmen ihrer Zuständigkeit für das ärztliche Berufsrecht eingebunden ist.
Zunehmend problematisch zeigt sich die Stimmverteilung im Plenum. Während die GKV-Seite als monolithischer Block agieren kann, muss sich die Leistungserbringerseite zunächst inhaltlich zu einer gemeinsamen Positionierung zusammenfinden. Das gelingt insbesondere an der Nahtstelle von stationärer zu ambulanter Versorgung leider häufig nicht. Hier wäre es wünschenswert, die Leistungserbringerbank fände zu einem neuen gemeinsamen Selbstverständnis in der Selbstverwaltung.
Der G-BA handelt als untergesetzliche Instanz. Dabei muss gewährleistet sein, dass Mehrheitsentscheidungen, die gegen eine Bank getroffen werden, auch innerhalb des gesetzlich gesteckten Rahmens bleiben. Untergesetzliche Rechtssetzung darf sich nicht über das Gesetz stellen. Dies sicherzustellen, ist mit dem Instrument der Rechtsaufsicht nur begrenzt möglich. Wenn erweiterte Fachaufsicht des Ministeriums nicht gewünscht ist, muss als Alternative an eine engere parlamentarische Beobachtung gedacht werden. Ansätze in dieser Richtung wurden zum Beispiel vom Bundesfachausschuss der CDU entwickelt.
DÄ: Ein Ausblick auf das Jahr 2017: Was erwarten Sie von der Arbeit in den Gremien, welche Schwerpunkte müssen gesetzt werden?
Baum: 2017 wird das Jahr, in dem maßgebliche Entscheidungen im Bereich der Qualität zu fällen sein werden. Qualitätsindikatoren, Mindestmengen, Qualitätsverträge und die qualitätsabhängige Vergütung seien hier genannt. Dies wird zu spannenden aber auch kontroversen Diskussionen führen. Da in diesem Jahr nicht mit großen gesetzgeberischen Maßnahmen und Reformen zu rechnen ist, wird das Handeln der Selbstverwaltung im Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Diskussion stehen.
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