5 Fragen an...

„Dort wird gerade die Glaubwürdigkeit von Impfempfehlungen insgesamt infrage gestellt“

  • Dienstag, 1. Juli 2025

Berlin/Dresden – Sämtliche Mitglieder des US-amerikanischen Impfgremiums wurden entlassen, nun stehen neue Themen auf der Agenda: In den USA fahren Präsident Donald Trump und Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. auch beim Thema Impfen einen anderen Kurs als die vorherige Regierung.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland, Reinhard Berner, sieht die Entwicklung des US-amerikanischen Pendants ACIP mit Sorge, etwa wegen der möglichen Rückkehr impfpräventabler Erkrankungen, er warnt aber auch vor einer Dramatisierung.

Reinhard Berner, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission /M. Kretzschmar, Universitätsklinikum Dresden
Reinhard Berner, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission /M. Kretzschmar, Universitätsklinikum Dresden

5 Fragen an Reinhard Berner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik Dresden und STIKO-Vorsitzender

US-Gesundheitsminister Kennedy hat kürzlich auf einen Schlag alle 17 Mitglieder des US-Impfgremiums entlassen und ausgewählte Nachfolger eingesetzt. Wie bewerten Sie das?
Es ist eine Katastrophe, dass das so passiert ist. Eine gesamte Kommission abzuberufen und ihr Interessenkonflikte mit der Industrie und damit faktisch Bestechlichkeit vorzuwerfen, stellt die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit nationaler Impfgremien insgesamt infrage. Dieser Schritt wirkt über Amerika hinaus.

Dabei haben die Mitglieder des ACIP selbstverständlich in der Vergangenheit stets etwaige Interessenkonflikte offengelegt. Das kann man nachlesen. Den ehemaligen Mitgliedern kann man demzufolge keine substanziellen Vorwürfe machen.

Kennen Sie die neuen ACIP-Mitglieder?
Die acht Nachfolger, die Kennedy berufen hat, sind mir persönlich nicht bekannt. Einige der Namen hat man schon gehört, auch aus Pandemiekontexten, konkrete Inhalte jedoch kann ich damit noch nicht verbinden.

Es ist momentan auch noch unklar, ob das Gremium damit vollständig ist. Wäre bei der STIKO nur ein Bruchteil der eigentlich 17 Mitglieder anwesend, könnten wir gar nicht über Empfehlungen abstimmen. Wenn die ACIP nun mit so wenigen Mitgliedern die Arbeit aufnimmt und Entscheidungen trifft, ist das schon etwas fragwürdig.

Welche Rolle hat das amerikanische Impfgremium bisher für die STIKO gespielt?
Wir beobachten die Empfehlungen der internationalen Impfkommissionen sehr genau. Auch die Einschätzungen des ACIP sind für die STIKO von großem Interesse, auch wenn wir bei unseren Empfehlungen stets nationale Besonderheiten berücksichtigen. Daher unterscheiden sich unsere Empfehlungen manchmal substanziell von denen der US-Amerikaner oder anderer Impfkommissionen.

Wir bewerten die Studienergebnisse zu Impfstoffen in einem eigenen Verfahren und auf der Grundlage einer eigenen Evidenzsynthese. Es gibt keinen Mechanismus, Empfehlungen oder Entscheidungen, etwas nicht zu empfehlen, von den Bewertungen anderer nationaler Gremien abhängig zu machen.

Letztlich ist es aber doch in aller Regel so, dass sich die Schlussfolgerungen von Land zu Land ähneln, da natürlich die Datenbasis die gleich ist. Wie sich das in Zukunft in den USA gestalten wird, muss man abwarten. Wir werden das weiterverfolgen.

In ihrer ersten Sitzung vergangene Woche hat das neu besetzte ACIP unter anderem entschieden, dass für Influenza-Schutzimpfungen Einzeldosen ohne das Konservierungsmittel Thiomersal verwendet werden sollten. Gab es dafür einen Anlass?
Die Diskussion über Quecksilberverbindungen als Konservierungsstoff in Impfstoffen gibt es bereits seit Langem. Thiomersal wurde beispielsweise in Gebinden genutzt, aus denen mehrere Einzeldosen entnommen werden, zum Schutz vor Kontamination.

Schon in den 1990er-Jahren wurde die Sorge geäußert, dass das Konservierungsmittel mit Autismus und neurologischen Entwicklungsstörungen in Verbindung stehen könnte – allerdings kamen alle Analysen zu dem Schluss, dass dieser Zusammenhang nicht besteht. Sie kamen auch einhellig zu dem Ergebnis, dass das der Vorteil der Impfstoffwirkung das allerletzte theoretische Restrisiko überwiegt.

Aber da es die Diskussion gab, wurde bei uns in Europa damals vorsorglich empfohlen, den Stoff insbesondere aus Kinderimpfstoffen zu entfernen. In Deutschland gibt es schon lange kein Thiomersal mehr in Einzelimpfstoffdosen.

Das neue ACIP hat außerdem angekündigt, über kumulative Effekte des Kinderimpfprogramms sprechen zu wollen. Diese besondere Betonung dieses Themas verwundert etwas. Denn das ist eine grundsätzliche und fundamentale Aufgabe jeder Impfkommission. Auch bei der STIKO prüfen wir ständig, wie Impfstoffe so kombiniert werden können, dass mit möglichst wenigen Impfungen ein maximaler Effekt erzielt wird.

Sehen Sie eine Gefahr, dass Narrative wie die einer angeblich mangelnden Sicherheitsprüfung von Impfungen auch zu uns herüberschwappen? Oder sind diese sowieso schon da?
Viele der Narrative sind schon da. Ob sie wegen der Entwicklung in den USA weiter befeuert werden, muss man abwarten. Letztlich wird dort aber gerade die Glaubwürdigkeit von Impfempfehlungen insgesamt infrage gestellt, wenn man mit einem Federstrich eine ganze Kommission unter unbelegten Vorwürfen austauscht. Das wird durchaus Auswirkungen haben.

Man muss sich aber auch davor hüten, das bezogen auf die Lage hier in Deutschland zu dramatisieren. Im Übrigen sind die Ergebnisse der ersten ACIP-Sitzung insgesamt nicht so spektakulär gewesen. Die entscheidende Frage ist jedoch, was uns mittel- und langfristig erwartet.

Man darf sich aber auch keine Illusionen machen: Ein Rückgang von Impfquoten in den USA kann für die Rückkehr bestimmter Erkrankungen verheerende Auswirkungen haben.

ggr

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