„Es braucht jetzt sehr schnell Verbesserungen hinsichtlich der Stabilität der TI“
Berlin – Seit Anfang Oktober greift für Leistungserbringer im Gesundheitswesen – wie Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken – die gesetzliche Verpflichtung, mit der elektronischen Patientenakte (ePA) zu arbeiten. Bisher konnten Ärztinnen und Ärzte die ePA auf freiwilliger Basis nutzen, der Einsatz wurde nach Tests in ausgewählten Regionen nach und nach ausgedehnt. Über Erwartungen und Herausforderungen sprach das Deutsche Ärzteblatt mit KBV-Vorstandsmitglied Sibylle Steiner.

5 Fragen an Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV)
Die elektronische Patientenakte (ePA) ist seit dem 1. Oktober Pflicht. Der Start verlief nicht reibungslos und begann mit technischen Problemen. Ist das exemplarisch für die derzeitige Situation der ePA?
Exemplarisch würde ich nicht sagen, aber leider nicht überraschend. Wir haben solch ein Szenario im Vorfeld mehrfach angemahnt, weil wir Anzeichen aus den Praxen hatten, dass die Telematikinfrastruktur nicht stabil läuft. Die Folgen sind für die Praxis gravierend, wenn man nicht auf die ePA zugreifen, Dokumente nicht hochladen oder einsehen kann. In unserer aktuellen Umfrage berichteten 75 Prozent der Befragten, dass sie im letzten Monat technische Probleme hatten. So schafft man keine Akzeptanz für die ePA.
Wenn die Technik nicht mitspielt oder ein PVS-Modul für die ePA noch nicht eingerichtet ist, sollen dennoch Sanktionen greifen. Sind Sie mit der Politik im Gespräch, dass in diesen Fällen den Praxen mehr Zeit eingeräumt wird?
Grundsätzlich kritisieren wir, dass man an den Fristen und Sanktionen festhält, denn auch das reduziert die Akzeptanz von digitalen Anwendungen. Etwa 90 Prozent der Praxen haben ein ePA-Modul ausgeliefert bekommen. Das heißt aber für die restlichen 10 Prozent, dass Sanktionen im Raum stehen, wofür die Praxisinhaber aber nichts können. Sollten die entsprechenden Anbieter es bis 2026 nicht schaffen, dann droht sogar ein Abrechnungsausschluss. Das ist inakzeptabel.
Wir sind dazu im Gespräch mit dem Bundesgesundheitsministerium, inwiefern man Übergangsregelungen treffen kann. Zudem gibt es auch den Fall, dass jemand seine Praxis abgeben möchte und daher nicht mehr in das PVS investiert. Daher müsste mindestens ein Übergangszeitraum für diejenigen, deren PVS-Anbieter noch nicht geliefert hat, von 12 Monaten und für diejenigen, die planen, ihre Praxis abzugeben, müsste ein noch längerer Zeitraum gelten. Unser Gesundheitssystem kann es sich nicht leisten, dass Praxen aus solchen Gründen vorzeitig aus der Versorgung ausscheiden.
Die Krankenhäuser sind längst nicht so weit wie die Arztpraxen. Sollte hier seitens der Politik mehr Druck ausgeübt werden? Entlassbriefe in der ePA wären ja ein großer Fortschritt für die Praxen.
Sie haben vollkommen recht, die Praxen versprechen sich einen großen Mehrwert von der ePA in der Kommunikation mit den Krankenhäusern. Derzeit sagen uns die Praxen allerdings, sie müssten noch Faxgeräte vorhalten, um mit den Kliniken und der Pflege zu kommunizieren. Leider sind einer aktuellen Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft bis zum 1. Oktober nur 9 Prozent und zum Jahresende 42 Prozent der Häuser ePA-fähig. Das muss schnell besser werden.
Wir sprachen über die technischen Probleme. Würde ein Meldesystem helfen, mit dem Praxen Fehler an PVS-Hersteller schicken, wie es die Bundesärztekammer vorgeschlagen hat?
Ja, das halten wir auch für sinnvoll, auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung der ePA. Die Rückmeldungen müssten aus meiner Sicht an die Hersteller gehen, aber auch an die Gematik. Für die Hersteller ist es wichtig, da unserer Umfrage zufolge 40 Prozent zwar mit der ePA zufrieden sind, 40 Prozent aber unzufrieden und 20 Prozent unentschieden. Das ist das eine. Hinzu kommt noch, wie PVS-Hersteller Funktionalitäten umsetzen. Wie zum Beispiel die Eingabe von Metadaten oder wie viele Klicks muss ich bei bestimmten Prozessen machen. Eine funktionelle und komfortable Umsetzung würde den Praxen sicher Zeit sparen.
Aber es muss auch eine Rückmeldung an die Gematik geben. Denn es braucht jetzt sehr schnell Verbesserungen hinsichtlich der Stabilität der TI. Zwei weitere Dinge, die bei uns ganz oben auf der Agenda stehen: Die Möglichkeit zur Volltextsuche sowie die einfachere Eingabe von Metadaten oder sogar eine Vorbelegung mit diesen Daten. Das wäre eine Aufgabe für die PVS-Hersteller. Grundsätzlich müssen wir dahin kommen, dass die ePA mehr und mehr strukturierte Daten hat. Der Anfang ist ja mit der elektronischen Medikationsliste gemacht, die durchaus einen Mehrwert darstellt.
Thema Finanzierung: Dazu gehört die Erstbefüllung der ePA, aber auch die technische Ausstattung in den Praxen und im schlimmsten Fall der Wechsel zu einem anderen PVS, wenn das ePA-Modul nicht geliefert werden kann. Wie bewerten Sie die Situation?
Was die Erstbefüllung betrifft, haben wir mit dem GKV-Spitzenverband vereinbart, es zunächst bei den elf Euro Vergütung zu belassen. Aber mit der neuen Opt-out-ePA sind neue Aufgaben auch für die Ärzte und Psychotherapeuten verbunden. Darüber müssen wir mit dem GKV-Spitzenverband noch verhandeln. Und was die Frage der Finanzierung der technischen Ausstattung betrifft: ja, sie muss finanziert werden. Dazu haben wir ein Praxis-Zukunftsgesetz gefordert, mit dem Anreize gesetzt werden sollen für die Verwendung von modernen Praxis-IT-Systemen.
Vergleicht man dies mit den Milliardeninvestitionen in Digitalisierung in den Krankenhäusern, zuletzt auch für IT-und Cybersicherheit, dann muss man ganz klar eine Ungleichbehandlung des ambulanten Sektors konstatieren. Die Praxen sind dagegen bislang immer in Vorleistung gegangen und gut digitalisiert.
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